Frankreich: Ghana und Senegal sind KEINE sicheren Herkunftsländer

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In einer Entscheidung, die vor allem vom Schutz von LGBTIQ*-Personen motiviert war, ließ der französische Staatsrat die afrikanischen Länder Benin, Senegal und Ghana von der Liste der sogenannten „sicheren“ Einwanderungsländer streichen. 

Wie Le Monde berichtete, entschied der Conseil d’Étatam 2. Juli, die Länder Benin, Senegal und Ghana von der Liste der sogenannten „sicheren“ Einwanderungsländer streichen zu lassen. Kriterien für die „sichere“ Liste sind unter anderem, ob ein Land die Menschenrechte und die Grundsätze der Freiheit, der Demokratie und des Rechtsstaats respektiert. 

Für Benin hatte das Office français de protection des réfugiés et apatrides (Französische Amt zum Schutz von Flüchtlingen und Staatenlosen), kurz OFPRA, bereits im September 2020 beschlossen, den Status als „sicheres Herkunftsland“ für zwölf Monate auszusetzen, ohne das Land von der Liste zu streichen. Dies wurde jetzt nachgeholt.

In Bezug auf Senegal und Ghana begründete der Conseil d’État seine Entscheidung mit Gefahren im Zusammenhang mit der „sexuellen Orientierung“, denen queere Menschen in diesen Ländern ausgesetzt sind:

„In Anbetracht der Tatsache, dass im Senegal und in Ghana Rechtsvorschriften bestehen, die homosexuelle Beziehungen unter Strafe stellen, und in Anbetracht der Tatsache, dass es nach wie vor Verhaltensweisen gibt, die befürchten lassen, dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung tatsächlich der Gefahr von Verfolgung oder unmenschlicher und erniedrigender Behandlung ausgesetzt sind, könnte OFPRA diese Staaten nicht als sichere Herkunftsländer betrachten, ohne einen Beurteilungsfehler zu begehen.

CE, 2. Juli 2021, Association des avocats ELENA France et autres, n°s 437141 437142 437365, B.

LGBTIQ*-Menschenrechtsorganisationen hatten geklagt

Die umstrittene „sichere“ Liste ist schon länger Gegenstand eines Rechtsstreits, der Ende 2019 nach Inkrafttreten des Asylzuwanderungsgesetzes seinen Anfang nahm. Staatsangehörigen dieser Länder drohte, sobald ihr Asylantrag erstinstanzlich abgelehnt wurde, ein Ausweisungsverfahren ohne Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen.

Nachdem OFPRA am 5. November 2019 beschlossen hatte, an der seit 2015 unveränderten Liste keine Änderungen vorzunehmen, klagten mehrere Menschenrechtsverbände, darunter ADHEOS (Association Aide Défense Homosexuelle pour l’Égalité des Orientations Sexuelles, Verein zur Verteidigung von Homosexuellen und Gleichstellung der sexuellen Orientierung), l’Ardhis (Association pour la reconnaissance des droits des personnes homosexuelles et trans à l’immigration et au séjour, Vereinigung für die Anerkennung der Rechte von Schwulen und trans* Personen auf Einwanderung und Aufenthalt) und Forum Réfugiés-Cosi beim Conseil d’État. 

Entsprechend begrüßten die Verbände die Entscheidung des Conseil d’État. Staatsangehörige dieser drei Länder unterliegen keinem beschleunigten Asylverfahren mehr und können auf ein milderes Asylverfahren in Frankreich hoffen, zudem gilt die Streichung rückwirkend. OFPRA hat darüber hinaus angekündigt, dass Anträge aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität „mit besonderer Behutsamkeit behandelt“ und von Beamt*innen geprüft werden, die „speziell für diese intimen Fragen geschult“ sind.

Die 13 verbleibenden Nationen auf der französischen Liste der sicheren Einwanderungsländer sind Albanien, Armenien, Bosnien-Herzegowina, Kap Verde, Georgien, Indien, Kosovo, Nordmazedonien, Mauritius, Moldawien, Mongolei, Montenegro und Serbien.

Und in Deutschland?

In Deutschland, wo Behörden nicht davor zurückschrecken, Asylsuchende in ihren Heimatländern zu outen (wir berichteten), gelten derzeit die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien als sichere Herkunftsstaaten. Per Definition des BAMF sind das Länder,

„von denen [sic] aufgrund des demokratischen Systems und der allgemeinen politischen Lage davon ausgegangen werden kann, dass dort generell keine staatliche Verfolgung zu befürchten ist und dass der jeweilige Staat grundsätzlich vor nichtstaatlicher Verfolgung schützen kann. [...] Es gilt dann die sogenannte Regelvermutung, dass keine Verfolgungsgefahr vorliegt.“

Die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat erfolgt per Gesetz. Mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz wurde eine Berichtspflicht eingeführt, nach der die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag alle zwei Jahre einen maßgeblich vom Bundesinnenministerium erstellten Bericht vorlegt, ob die Voraussetzungen für die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten weiterhin vorliegen. 

Angesichts der öffentlichen Aufrufe zur Ermordung Homosexueller im Senegal (wir berichteten) und der besorgniserregenden Berichte über die geplante Einführung eines drakonischen Anti-Homosexuellengesetzes in Ghana (wir berichteten) bat männer* die betreffenden Stellen um eine Stellungnahme.

Das Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat erklärte, dass Ghana und Senegal laut letztem Bericht aus dem Jahr 2019 die Voraussetzungen zur Einstufung als sichere Herkunftsstaaten erfüllten. Im Rahmen der Erstellung des nächsten Berichts im Herbst 2021 wolle die Bundesregierung aber prüfen,

„ob die Voraussetzungen für die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten vorliegen. Hierbei wird u.a. anhand der Rechtslage, Rechtsanwendung und allgemeinen politischen Verhältnisse ein Gesamturteil über die für politische Verfolgung bedeutsamen Verhältnisse in dem jeweiligen Staat getroffen“.

Vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erhielten wir die Antwort, dass auch Antragstellende aus sicheren Herkunftsstaaten während der Anhörung die Möglichkeit erhielten, anhand von Tatsachen oder Beweismitteln zu belegen, „dass ihnen – abweichend von der Regelvermutung – im Herkunftsland dennoch Verfolgung droht“. „Flüchtlingsschutz komme erst dann in Betracht“, so das BAMF,

„wenn eine Antragstellerin oder ein Antragsteller glaubhaft macht, ihm/ihr drohten bei Rückkehr in das Herkunftsland wegen der bestimmten sexuellen Ausrichtung schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen. Homosexualität war noch nie ein alleiniges Kriterium für die Zuerkennung eines Schutzstatus“.


1 Der Conseil d'État ist zum einen das oberste Verwaltungsgericht Frankreichs und darin dem deutschen Bundesverwaltungsgericht ähnlich. Zum anderen ist der Staatsrat auch ein Beratungsgremium der Regierung in Rechtsfragen. In dieser Funktion ist er mit dem deutschen Bundesministerium der Justiz vergleichbar, das die Gesetze prüft, bevor sie dem Kabinett vorgelegt werden.

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