BUNDESTAG ERKLÄRT VERFOLGERSTAATEN FÜR SICHER

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Der Bundestag hat heute mit Mehrheit von 424 Abgeordneten Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsländer eingestuft. 143  Abgeordnete votierten mit Nein, drei enthielten sich.  

Foto: Deutscher Bundestag / Simone M. Neumann

Henny Engels, Sprecherin des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD): Die von CDU/CSU und SPD im Bundestag beschlossene Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien zu so genannten „sicheren Herkunftsstaaten“ ist eine menschenrechtliche Bankrotterklärung. In allen drei Ländern sind Schwule und Lesben massiven Verfolgungen ausgesetzt, ist einvernehmliche Sexualität unter Erwachsenen gleichen Geschlechts mit hohen Gefängnisstrafen bedroht. Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) fordert den Bundesrat auf, dieses rechtswidrige Gesetz zu stoppen.“

Foto: Angelika Kohlmeier

Schon im Vorfeld äußerte sich Volker Beck für die Grünen im Bundestag: „Das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten höhlt das individuelle Grundrecht auf Asyl aus und steht mit dem Verbot der Diskriminierung von Flüchtlingen wegen ihrer Herkunft, das in der Genfer Flüchtlingskonvention verankert ist, nicht im Einklang. Die Anwendung des Konzepts soll die Asylverfahren beschleunigen und die Behörden von Bund, Ländern und Kommunen entlasten. Dies ist ein wichtiges Anliegen, rechtfertigt jedoch nicht die erhebliche Beschränkung von Verfahrensrechten, Rechtsschutzmöglichkeiten sowie sozialen und wirtschaftlichen Rechten von Schutzsuchenden nicht. Deshalb lehnen wir das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten ab. Die Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten setzt nach den Vorgaben des Grundgesetzes und der EU-Verfahrensrichtlinie voraus, dass landesweit Sicherheit vor politischer Verfolgung für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen besteht. Diese Voraussetzung ist in Algerien, Marokko und Tunesien nicht erfüllt. Daher begegnet das vorliegende Gesetz auch erheblichen verfassungsrechtlichen und unionsrechtlichen Bedenken.“

Foto: Christian Knuth

Elfi Scho-Antwerpes von der SPD-Bundestagsfraktion stimmte gegen das Gesetz. Gegenüber blu sagte sie: „Ich kann das nicht mit meinem Gewissen und meinen ethischen Überzeugungen in Übereinstimmung bringen. Hätte ich mit Ja gestimmt, wäre meine Glaubwürdigkeit dahin!“ In einer Pressemitteilung führt sie weiter aus: „Ich halte die Anerkennung der Maghrebstaaten Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten für einen Fehler. Schnellere Asylverfahren und eine Entlastung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sind wünschenswert, das mit diesem Gesetz gewählte Instrument ist jedoch falsch.

Die Situation der Menschen, die beispielsweise aufgrund ihrer sexuellen Identität verfolgt würden, sei dadurch verschlechtert worden. „In allen drei Ländern ist Homosexualität strafbar und gesellschaftlich nicht akzeptiert. Schon aus Angst vor Übergriffen und einer möglichen Rückführung in das Heimatland werden Menschen aus der LSBTI-Community den wahren Grund ihrer Flucht zunächst nicht angeben und sich nicht outen“, so Frau Scho-Antwerpes. Menschen, die ohnehin stark traumatisiert seien, hätten nach einer Ablehnung des Asylgesuchs in ihren Heimatländern schlimmste Konsequenzen zu befürchten und benötigen einen besonderen Schutz. Es bedürfe hier einer besonderen Form der Ethik.

Zu einer glaubwürdigen Politik gehört für mich, dass wir in Deutschland schutzsuchenden Menschen helfen und die Arbeit der unzähligen Helferinnen und Helfer wertschätzen. Wir wollen Mauern in den Köpfen einreißen und nicht in Form von „sicheren Herkunftsstaaten“ per Gesetz aufbauen.“ 

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