Die Menschenrechtsorganisation OutRight Action International hat einen alarmierenden Bericht veröffentlicht, der die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Queers auf der ganzen Welt dokumentiert.
Wenngleich die COVID-19-Pandemie kein Land und keine Person unberührt lässt, sind die Herausforderungen für LGBTIQ*-Personen infolge des Virus spezifisch und verstärkt. In einem offenen Brief von über 100 Organisationen wurde erstmals Mitte März vor den möglichen Auswirkungen gewarnt (wir berichteten), eine erste große wissenschaftliche Auswertung bestätigt nun die Befürchtungen.
Transgender besonders betroffen
Die Menschenrechtsorganisation OutRight Action International hat von März bis April 2020 für ihren Bericht „Verstärkte Sicherheitsanfälligkeit: Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf LGBTIQ-Personen“ 60 Forschungsinterviews mit queeren Menschen aus 38 Ländern durchgeführt. Vergangene Woche wurden die Ergebnisse veröffentlicht.
„Obwohl jeder auf dieser Welt in gleichem Maße anfällig für Infektionen ist, wirkt sich die Pandemie nicht auf jeden gleichermaßen aus. Was wir festgestellt haben, ist, dass im gesamten Spektrum der Vielfalt unserer Gemeinschaft vor allem Transgender-Menschen und hier insbesondere Transgender-Frauen schwer betroffen waren.“
Amie Bishop, Senior Research Adviser bei OutRight und Autorin des Berichts
Sieben Themenfelder
Der 78-seitige Bericht hat sieben Schlüsselthemen herausgestellt, mit denen queere Menschen während der Pandemie konfrontiert sind.
- Zerstörung der Lebensgrundlage und zunehmende Unsicherheit in Bezug auf Nahrung und Unterkunft infolge des Verlusts von Arbeitsplätzen. Die Überrepräsentierung von LGBTIQ*-Personen im informellen Sektor und breite Diskriminierung bei der Beschäftigung führen zu einem schnelleren wirtschaftlichen Zusammenbruch.
Foto: Pavel Lepikhin
Titelbild Zusammenhalten
Auch im reichen Deutschland fürchten schwule, lesbische und andere queere Institutionen um ihre Existenz – wir berichten fortlaufend
- Störungen beim Zugang zur Gesundheitsversorgung (einschließlich wichtiger HIV-Medikamente und geschlechtsspezifischer Behandlungen) und Zurückhaltung bei der Inanspruchnahme von medizinischer Versorgung aufgrund von Diskriminierung, Stigmatisierung und der Verweigerung von medizinischen Dienstleistungen.
- Das Risiko für häusliche und familiäre Gewalt, der häufigsten Form von Gewalt, mit der LGBTIQ*-Menschen im Alltag konfrontiert sind, ist aufgrund von Ausgangssperren und mangelndem Zugang zu einschlägigen Hilfsorganisationen erhöht.
- Soziale Isolation und gesteigerte Angstgefühle durch die Abschottung von Ersatz-Familien aus der queeren Community.
männer* startete in Reaktion auf die Folgen der Isolation ein neues Webcam-Talk-Format mit dem village.berlin
- Zunahme von gesellschaftlicher Diskriminierung und Stigmatisierung (Sündenbock-Mentalität). LGBTIQ*-Menschen werden für Notsituationen verantwortlich gemacht, was zu weiterer Stigmatisierung, Marginalisierung, Gewalt und Gefahr führt.
- Der Missbrauch staatlicher Macht steigt insbesondere in jenen Ländern, die anfällig für Autoritarismus und regressive Geschlechterideologien sind. Unterdrückung, Ausgrenzung und Kriminalisierung nehmen zu, einige Staaten nutzen die Notsituation, um LGBTIQ*-Personen gezielt zu bekämpfen.
Foto: Kremlin.ru / CC-BY 4.0 / wikimedia.org
Das wohl erschreckendste diesbezügliche Negativbeispiel aus der Europäischen Union: Ungarn (wir berichteten)
- Besorgnis hinsichtlich des wirtschaftlichen Überlebens von queeren Organisationen, die für unzählige LGBTIQ*-Leute eine Lebensader darstellen. Organisationen sehen sich heute mit einer ungewissen Zukunft konfrontiert. Zu erwarten sind Mittelkürzungen, Arbeitseinschränkungen und die Verlagerung von Aktivitäten in das Internet bei steigendem Bedarf an direkter, praktischer Unterstützung.