Der Leistungssport fordert Athleten körperlich wie mental. Aber während sich Zuschauer über spektakuläre Übungen freuen, sehen sich einige Turner zunehmend mit einem ganz anderen Stressfaktor konfrontiert: ihrer Wettkampfbekleidung. Eng anliegende Turntrikots, die bislang Standard im Männersport waren, geraten jetzt in die Kritik – und zwar von den Athleten selbst.
Frederick Richards mutiger Schritt
Frederick Richard, erfolgreicher US-Athlet, bekannt aus dem Olympia-Finale 2024 in Paris, wagte jüngst einen ungewöhnlichen Schritt: Beim USA Gymnastics Winter Cup trat er nicht in der klassischen, engen Turnbekleidung auf, sondern entschied sich bewusst für eine lockere Variante – ein Tanktop und bequeme Shorts. Sein Ziel: weniger Druck auf Athletenkörper und Psyche. Die Folge war zwar ein Punktabzug, doch für Richard ging es um mehr: „Ich will meinem jüngeren Ich helfen, das sich damals schämte, einen sogenannten ‚Mädchensport‘ in engen Trikots auszuüben. Heute möchte ich erreichen, dass kein Kind ähnliche Unsicherheiten empfinden muss.“
Körper zeigen – oder lieber nicht?
Richards Entscheidung löste eine breite Diskussion aus. Befürworter begrüßen die Initiative für mehr Selbstbestimmung und individuellen Komfort im Turnsport. Kritiker werfen allerdings ein, dass Athleten schon immer Teil einer sportlichen Inszenierung waren und die Debatte Ausdruck einer unnötigen Scham sei. Besonders kontrovers wird diskutiert, ob männliche Athleten nun Erfahrungen machen, die weibliche Sportlerinnen längst kennen und akzeptieren mussten.
Ohne Shirt zum Erfolg?
Andere Stimmen innerhalb der Turnszene wünschen sich dagegen sogar eine stärkere Betonung des Körpers. Ex-Olympia-Teilnehmer Sam Mikulak etwa setzt sich seit Jahren dafür ein, dass männliche Turner oberkörperfrei antreten dürfen, um den athletischen Aspekt ihres Sports noch stärker hervorzuheben. Er argumentiert, dass Schwimmer schließlich ebenfalls ihre Athletik durch ihre Bekleidung hervorheben und Turner ebenfalls von einer ähnlichen Freizügigkeit profitieren könnten, um sich wohler zu fühlen und bessere Leistungen zu erbringen. Gegenüber Wall Street Journal betont er: „Die Leute machen sich über uns lustig, weil wir keine Unterwäsche tragen. Sie machen sich über uns lustig, weil wir Strumpfhosen tragen. Aber wenn sie sehen würden, wie gut wir in Form sind, würde das vielleicht einen Unterschied machen.“
Interessanterweise traten die Athleten der antiken Olympischen Spiele sogar vollständig nackt an – aus praktischen Gründen, um nicht in ihrer Bewegung eingeschränkt zu sein, aber auch, um den idealisierten Körperbau zur Schau zu stellen. Eine Tradition, deren Wiederbelebung heute wohl kaum zu erwarten ist.
Was bleibt? Selbstbestimmung und Respekt
Frederick Richards Initiative könnte den Auftakt für tiefere Diskussionen über Körpergefühl und Komfort im Sport markieren. Dabei sollte stets die Entscheidung der Athleten im Mittelpunkt stehen – egal, ob sie eng oder locker bekleidet antreten. Für Turner, Fans und Zuschauer könnte diese Debatte langfristig positive Veränderungen bedeuten.
*Quellen: USA Gymnastics Winter Cup, Instagram @frederickflips, ESPN Opinion, Sports Illustrated, Outsports, Wall Street Journal, British Museum: Ancient Olympics