In Lettland stehen Frauen vor der Geburt 56 Tage „Mutterschaftsurlaub“ und nach der Geburt 56 Tage „Geburtsurlaub“ zu, insgesamt also 112 Tage bezahlter Mutterschaftsurlaub. Väter erhalten nach der Geburt eines Kindes zehn Tage bezahlten Elternurlaub. Steht dieser auch homosexuellen Elternpaaren zu? Und welche Auswirkungen hat das aktuelle Urteil zu lesbischen Co-Müttern auf den Reformstau in Sachen Anerkennung homosexueller Partnerschaften?
Wie der öffentliche Rundfunk Lettlands LSM berichtet (Quelle), hatte eine lettische Mutter beim Verfassungsgericht Klage eingereicht, weil ihrer Partnerin der bezahlte zehntägige Elternurlaub, der dem Vater eines Kindes nach dem Arbeitsgesetz zusteht, nicht gewährt wurde. Die Klägerin gab an, mit der Entscheidung des Arbeitgebers werde ihrer Partnerin nicht gestattet, sie und ihr Kind körperlich und emotional zu unterstützen. Das laufe dem Kindeswohl zuwider und verstoße gegen Artikel 110 der Verfassung, der besagt, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, alle Familien zu schützen.
Das Verfassungsgericht gab der Mutter am 12. November recht. In der Verfassung, so das Gericht, sei festgeschrieben, dass das Gesetz jede Familie schützt, auch Regenbogen-Familien. Gegen das Urteil kann keine Berufung eingelegt werden.
Grundsatzurteil im Namen der Kinderrechte
In der Begründung betonte das Gericht, dass die Interessen und Rechte eines Kindes Vorrang haben. Deshalb müsse sichergestellt werden, dass Kinder in einem familiären Umfeld aufwachsen und dass Verordnungen zum besten Wohle der Kinder erfolgen. Das Gericht räumte ein, dass
eine Reihe bestehender Vorschriften auf gleichgeschlechtliche Partner ausgedehnt werden können.
Das Recht, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, stelle jedoch keinen Rechtsrahmen für gleichgeschlechtliche Partnerschaften dar.
Grafik: IGLA-Europe Rainbow Map. Lettland. https://www.rainbow-europe.org/#8642/0/0
Homophobie in Lettland
Homophobe Bemerkungen und auch Hassverbrechen gegen queere Menschen stehen in Lettland an der Tagesordnung. Das Land liegt weit hinter dem EU-Durchschnitt, wie aus der jährlichen Veröffentlichung von ILGA-Europe über die Menschenrechtssituation queerer Menschen in Europa hervorgeht. Lediglich in der Kategorie „Zivilgesellschaftlicher Raum“ (hellblau) erreichte Lettland 100 Prozent.
Die Mehrheit der lettischen Gesellschaft steht Homosexualität ablehnend gegenüber. Während 72 Prozent der Befragten in der EU kein Problem mit gleichgeschlechtlichen Beziehungen haben, sind es in Lettland nur 25 Prozent. Auch bei der Zustimmung zur gleichgeschlechtlichen Ehe hinkt Lettland hinterher: Diese liegt in der EU bei 69 Prozent, verglichen mit 24 Prozent in Lettland.
Die fehlende Akzeptanz in der lettischen Bevölkerung hat mitunter damit zu tun, dass der Staat selbst eine ablehnende Haltung gegenüber queere Lebensformen, die dem Verständnis einer traditionellen Familie zuwiderlaufen, einnimmt.
Einführung einer zivilen Partnerschaft jüngst gescheitert
Erst am 29. Oktober lehnte das Parlament der Republik Lettland, die Saeima, eine Initiative von 10.392 lettischen Bürger*innen auf das Recht der „Registrierung gleichgeschlechtlicher Partner“ ab, berichtete LSM. 55 Abgeordnete stimmten gegen die Initiative, 30 stimmten dafür, ein Mitglied enthielt sich der Stimme. Der Rest der 100 Saeima-Abgeordneten nahm überhaupt nicht an der Abstimmung teil. Eine Stimmenthaltung gilt in Lettland als aktive Wahl.
Foto: Saeima / CC BY-SA 2.0 / wikimedia
Janīna Kursīte-Pakule. Foto: CC BY-SA 2.0, Link
Die Mandats-, Ethik- und Einreichungskommission hatte im Vorfeld der Abstimmung dazu geraten, die Initiative abzulehnen. Janīna Kursīte-Pakule, Leiterin der Mandats-, Ethik- und Einreichungskommission, erklärte, die Initiative verstoße gegen die Verfassung. „Hauptbestandteil von Artikel 110 der Verfassung ist, dass der Staat die Vereinigung zwischen Mann und Frau schützt und unterstützt. Wir können die Verfassung nicht mit den Unterschriften von 10.000 oder 15.000 Menschen ändern.“
Jānis Dombrava von der „Nationalen Allianz ‚Alles für Lettland‘ – ‚Vaterland und Freiheit/LNNK‘“ argumentierte, aus Sicht der sozialen Sicherheit gäbe es in Lettland dringendere Dinge, die angegangen werden müssten. Aber anstatt sich mit diesen sozial weniger attraktiven Themen zu befassen, sei es „für Kollegen einfacher, Regenbogenhemden anzuziehen“ und nicht darüber zu sprechen.
Die Antwort des unabhängigen Mitglieds Jūlija Stepaņenko von „Ehre, Riga zu dienen“ auf das Argument, gleichgeschlechtliche Paare seien rechtlich nicht geschützt und befänden sich in einer schlechteren Position als andere Familien, lautete, gleichgeschlechtliche Paare könnten doch zusammenleben und es müsse „nichts geregelt werden“. „Wenn Sie keine Erbschaft beanspruchen, wenn sie einander lieben, dann sollen sie leben, wie sie wollen“ , sagte Stepaņenko.
Enttäuschung bei den Initiatoren
Foto: facebook.com/arturs.toms.pless
Toms Plešs
Die Bürgerinitiative protestierte gegen das Ergebnis. Kirils Ķirsis und Laura Rigerte, zwei der Organisator*innen der Demonstrationen, forderten:
„Wir glauben, dass der Staat einen rechtlichen Rahmen schaffen muss, damit zwei erwachsene Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht Beziehungen legal registrieren können“,
Inese Voika von der Partei Attīstībai/Par! (Entwicklung/Für!) forderte die Saeima auf, „nicht zur letzten Bastion der Finsternis und Angst zu werden“. Es dürfe nicht sein, dass die in einem anderen EU-Land anerkannte Ehe in Lettland nicht anerkannt wird, und eine „Ehe, die in Stockholm gültig war, [in Lettland] nicht mehr gültig ist“.
Der Abgeordnete Toms Plešs, ebenfalls von der Partei Attīstībai/Par!, sagte, er schäme sich, dass in Lettland immer noch nicht jeder Mensch wertvoll sei. Plešs betonte, man müsse endlich damit aufhören,
„unsere Gesellschaft in die bevorzugten und die unerwünschten Familien einzuteilen, denn jede Familie hat einen Wert, der geschützt werden muss“.
Das Urteil des Verfassungsgerichtes erinnert an den mühsamen deutschen Weg zur Ehe für alle: Auch hierzulande musste das Verfassungsgericht dem Gesetzgeber mehrfach auf die Sprünge helfen.