Ein Kölner Amtsgericht hatte gegen einen polnischen Theologen Strafbefehl wegen Volksverhetzung erlassen, weil dieser in einem Artikel Homosexuelle im katholischen Klerus wüst beschimpfte und beleidigte. Die Regierung in Warschau sieht im Urteil „freiheitsfeindliche Tendenzen“ und eine Gefährdung europäischer Standards.
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Dariusz Oko (2019)
Dariusz Oko ist Leiter des Lehrstuhls für Philosophie der Erkenntnis an der Philosophischen Fakultät der Päpstlichen Universität Johannes Paul II in Krakau. Der 61-Jährige äußerte sich in der Vergangenheit immer wieder ablehnend über Homosexualität und Gendergerechtigkeit und ist unter anderem Autor eines Buches über angebliche schwule Seilschaften in der Kirche. Kritiker*innen bezeichnen das Buch mit dem übersetzten Titel „Lavendel-Mafia“ als offen homophob.
„Über die Notwendigkeit, homosexuelle Cliquen in der Kirche zu begrenzen“
In der katholischen Zeitschrift Theologisches veröffentlichte Dariusz Oko einen zweiteiligen Artikel mit der Überschrift „Über die Notwendigkeit, homosexuelle Cliquen in der Kirche zu begrenzen“ (erschienen in der Ausgabe Januar/Februar 2021 und in der Ausgabe März/April 2021). Darin enthalten sind ausführliche Darstellungen über die „Macht der Homoklans“ und der „Homomafia“, wie Oko homosexuelle Geistliche im katholischen Klerus nennt. In weiterer Folge findet der Theologe noch weit diffamierendere Bezeichnungen wie „Krebsgeschwür“, „Kolonie von Parasiten“ und „homosexuelle Plage“, gegen die man sich zur Wehr setzen müsse. Es sei notwendig, in der Kirche „ein ganzes System zum Schutz ‚wehrloser Erwachsener‘ zu schaffen, die zum Opfer von homosexuellen Raubtieren in Soutane oder Kutten geworden sind oder werden könnten“. Viele Verbündete, so Oko, würden ihn dabei unterstützen, sich „gegen die Genderideologie und die Homo-Ideologie in der Welt sowie gegen die Homo-Lobby und die Homo-Häresie in der Kirche zu verteidigen“.
Münchner Priester erstattete Anzeige wegen Volksverhetzung
Als der Münchner Priester Wolfgang F. Rothe den ersten Artikels Okos zu Gesicht bekam, war er schockiert über die Hetze, die ihm aus dem Artikel entgegenschlug. Rothe zeigte den Theologen Dariusz Oko sowie den verantwortlichen Redakteur der Zeitschrift Theologisches, Johannes Stöhr, bei der Staatsanwaltschaft Köln wegen Volksverhetzung an. Es dürfe innerhalb der katholischen Kirche keinen Platz für solchen Hass und Hetze geben, sagte Rothe. „Das Problem in der Kirche ist nicht Homosexualität, sondern Homophobie.“
Rothe, der kirchlichen Reformbewegungen wie „Maria 2.0“ oder „Wir sind Kirche“ nahesteht, engagiert sich schon lange für Homosexuelle in der katholischen Kirche. Im Mai hatte er die Aktion #liebegewinnt mitgetragen und während eines Gottesdiensts in München gleichgeschlechtliche Paare gesegnet – gegen den erklärten Willen des Vatikans (wir berichteten).
Rothe während der Segnung eines lesbischen Paares am 10. Mai 2021. #liebegewinnt
Das Amtsgericht Köln gab Rothe recht und verurteilte Oko nach § 130 Strafgesetzbuch, Volksverhetzung, zu einer Geldstrafe von 4.800 Euro. Der Strafbefehl ist noch nicht rechtskräftig, Berichten zufolge hat der Anwalt des Angeklagten bereits Einspruch eingelegt, das bedeutet, es kommt wahrscheinlich zu einer Hauptverhandlung.
Weitere Belastungsprobe zwischen Deutschland und Polen
Nach der Verurteilung meldete sich der stellvertretende polnische Justizminister Marcin Romanowski zu Wort und nannte das Urteil „eine Bedrohung der Grundfreiheiten und europäischen Standards“, wie die Nachrichtenagentur dpa berichtete. Unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit werfe „die willkürliche Beurteilung des wissenschaftlichen Beitrags von Professor Oko als Verbreitung von Hass“ Zweifel auf, sagte Romanowski der Nachrichtenagentur dpa. Dem deutschen Rechtssystem attestierte er „freiheitsfeindliche Tendenzen“.
In Polen schlug Romanowski, der Mitglied der nationalkonservativen Partei „Solidarisches Polen“ (SP) ist, einen etwas raueren Ton an. Auf Twitter postete er:
„Nach Ansicht des deutschen Gerichts hat Pfarrer Prof. Dariusz Oko zum Hass aufgestachelt, indem er in einem wissenschaftlichen Artikel eine Gruppe von Vergewaltigern innerhalb der Kirche entlarvte. Damit hat das Gericht die akademische Freiheit mit Füßen getreten und gezeigt, dass es die Täter höher schätzt als die Opfer. Wir sollten nicht zulassen, dass sich in Polen eine solche Paranoia entwickelt.“
Auch Dariusz Oko meldete sich in polnischen Medien zu Wort und versuchte, den Fall für sich auszuschlachten. „Unsere Gegner“, kritisierte Oko im regierungsnahen Fernsehsender TVP, „folgen der Gender-Ideologie, die im hohen Maße im Westen herrscht und den Gender-Sozialismus hervorruft. (…) Sie herrscht auch in Deutschland weitgehend vor und ist verantwortlich für die Unantastbarkeit von Homosexuellen“.
In einer Ausgabe der Wochenzeitung Sieci mit dem Titel „Verurteilt wegen der Wahrheit“ verglich Oko das Prinzip der Einhaltung von Menschenrechten gar mit den Mechanismen totalitärer Systeme.
„Menschen, die Gott nicht im Herzen haben und das Christentum ablehnen, haben früher entweder an den Bolschewismus oder den Nationalsozialismus geglaubt. Und als diese Sozialismen so diskreditiert waren, dass man sie nicht mehr bekennen konnte, begannen sie, sich zum Geschlechtersozialismus zu bekennen. Seine Struktur und Funktionsweise ähneln denen früherer Sozialismen. Sie wollen die totale Macht über uns haben, über unseren Verstand.“
Solche Kampfansagen gegen den „Gendersozialismus“ als Schlachtrufe des Kulturkrieges zwischen Konservativen und Progressiven kommen jenen zugute, die den Spieß umdrehen wollen, erklärt der Direktor des Deutschen Polen Instituts, Peter Oliver Loew, gegenüber dem ZDF. Sie passen „in ihr Narrativ, dass sie sich als letzte Verfechter angeblich wahrer Werte gegen Deutschland und die EU stellen“.