Viele queere Menschen kennen das Gefühl, nicht dazuzugehören. Manche erleben Ausgrenzung in der Schule, Unsicherheit im Job oder Ablehnung durch die eigene Familie. Eine neue Auswertung des britischen Statistikamts ONS untermauert nun mit aktuellen Zahlen: Lesbische, schwule und bisexuelle Menschen erleben häufiger psychische Krisen – und sind messbar stärker gefährdet, sich selbst zu verletzen oder das eigene Leben zu beenden.
Verletzen, um zu spüren
Selbstverletzendes Verhalten – etwa durch Schneiden oder Vergiften – ist häufig ein Ventil für psychischen Schmerz. Es ist kein Versuch, Aufmerksamkeit zu erregen, sondern Ausdruck von Überforderung, innerer Not oder emotionaler Taubheit. Laut ONS verletzen sich homo- und bisexuelle Menschen sich im Schnitt zweieinhalb Mal so häufig selbst wie heterosexuelle. Besonders betroffen sind junge Erwachsene im Alter von 16 bis 24 Jahren, Frauen sowie People of Color innerhalb der queeren Community.
Wenn das Leben zu viel wird
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Suizidraten: Laut ONS liegt die altersbereinigte Rate unter lesbischen, schwulen und bisexuellen Menschen bei 50,3 Suiziden pro 100.000 Personen – beinahe doppelt so hoch wie bei heterosexuellen (23,1). Besonders deutlich fällt der Unterschied zwischen den Geschlechtern aus: Queere Frauen nehmen sich mehr als dreimal so häufig das Leben wie heterosexuelle. Bei Männern ist das Risiko immerhin fast doppelt so hoch.
Leben am Rand: Strukturelle Ursachen
Zwar erhebt die ONS-Analyse keinen Anspruch darauf, direkte Ursachen für die erhöhten Risiken zu benennen, aber die psychosozialen Belastungsfaktoren, die queere Menschen überproportional betreffen, sind gut dokumentiert: Stigmatisierung, Diskriminierungserfahrungen, internalisierte Homonegativität, Coming-out-Druck, familiäre Ablehnung und eine oft mangelnde Sichtbarkeit queeren Lebens im öffentlichen Raum prägen viele Biografien. Hinzu kommen strukturelle Barrieren im Gesundheitssystem: Der Zugang zu passender psychosozialer Unterstützung ist oft eingeschränkt, viele Beratungsstellen sind unterfinanziert, Therapien selten queerkompetent, und medizinisches Personal häufig unzureichend für die spezifischen Bedarfe der Community sensibilisiert.
Wo bleibt die trans Perspektive?
Die Analyse des ONS berücksichtigt ausschließlich die sexuelle Orientierung – nicht die Geschlechtsidentität. Trans, inter und nicht-binäre Personen wurden nicht separat erfasst, da entsprechende Daten im Zensus 2021 nicht erhoben wurden. Dabei ist gerade diese Gruppe laut internationalen Studien besonders stark suizidgefährdet. In Kanada gaben in einer landesweiten Befragung 2022 über 60 % der trans Jugendlichen an, Suizidgedanken gehabt zu haben. *Quellen: ONS, Trans Pulse Canada Survey (2022)
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