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Bereits im Juni zeigten massive Proteste aus der ungarischen Bevölkerung, dass das Gesetz, das 'Werbung' für Homosexualität verbieten soll, vielleicht nicht die überwältigende Unterstützung hat, die die Regierung sich wünscht (wir berichteten).
Eine repräsentative Umfrage, die von Amnesty International Ungarn und der ungarischen LGBTIQ*-Organisation Háttér Society in Auftrag gegeben und von Medián durchgeführt wurde zeigt ein überraschend tolerantes Land: Eine Mehrheit der Ungarn steht nicht hinter Viktor Orbáns queerfeindlichen Gesetzen. Sie möchte unter anderem nicht, dass die Regierung entscheidet, was in den Schulen im Rahmen der Sexualerziehung gelehrt wird.
Orbans Kurs gegen Queers ...
Im Mai 2020 machte es die Regierungsmehrheit trans- und intersexuellen Menschen unmöglich, ihr Geschlecht rechtlich anzuerkennen (männer* berichtete). Dies war der erste gesetzgeberische Akt in der Hasskampagne der Regierung gegen LGBTQI*-Personen. Im Juni dieses Jahres schlug ein weiteres geplantes, homo- und transfeindliches Gesetz des ungarischen Regierungsoberhauptes international hohe Wellen (wir berichteten). Dieses Gesetz verbietet unter anderem, dass Schüler*innen über LGBTIQ*-Themen aufgeklärt werden.
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Der Wind des liberalen Europas wehte Ungarns Premierminister Viktor Orban beim EU-Gipfel in Brüssel am 25. Juni 2021 entgegen. Dass er auch aus dem eigenen Volk stürmt, mag den Wahlkämpfer kalt erwischen.
... und was die Ungarn davon halten
Kein einziges von Orbáns queerfeindlichen Gesetzen wird trotz massiver Propaganda von Kinder- und Familienschutz von der Bevölkerung getragen. So sind drei Viertel der Ungarn der Meinung, dass trans* Personen erlaubt sein müsse, ihr Geschlecht und ihren Namen in ihren Dokumenten offiziell angleichen zu lassen. Zwei Drittel halten es für falsch, dass in Schulen nicht mehr über sexuelle Minderheiten aufgeklärt wird. In der aktuellsten repräsentativen Umfrage in der deutschen Bevölkerung sprechen sich übrigens 62% der Männer und 73% der Frauen dafür aus, sexuelle Vielfalt als Schulstoff im Sexualkundeunterricht zu unterrichten (männer* berichtete).
„Es ist sonnenklar, dass die Mehrheit nicht will, dass der Staat über die Sexualerziehung in den Schulen entscheidet oder ob ihre Kinder etwas über sexuelle und geschlechtliche Minderheiten erfahren. Sie halten es für wichtig, dass junge Menschen von diesen Themen erfahren und den Lehrern und ihren Entscheidungen vertrauen. Die Position der Mehrheit ist also klar: Sie wollen das beleidigende homophobe und transphobe Gesetz nicht.“
Dávid Vig, Direktor Amnesty International Ungarn.
Bei diversen weiteren Fragen rund um Vielfalt und Toleranz gegenüber sexueller und geschlechtlicher Vielfalt gab es eine große Mehrheit derjenigen, die sich gegen die queerfeindliche Regierungspropaganda aussprechen.
Die wichtigsten Zahlen im Überblick
Amnesty International Ungarn und die Háttér Society verbreiten die Botschaft der Umfrage mit Grafiken wie dieser - darauf steht:
„90 % der Ungarn sind der Meinung, dass Schulen altersgerechte Sexualerziehung anbieten sollten.“
- … Fast die Hälfte der Befragten, nämlich 46 Prozent, gaben an, jemanden aus der LGBTIQ*-Gemeinschaft persönlich zu kennen.
- … 59 Prozent gaben an, die gleichgeschlechtliche Ehe zu befürworten. Die Zahlen steigen offensichtlich: Bei der Eurobarometer Umfrage im Jahr 2019 waren nur 33 Prozent der Ungarn für die Gleichstellung der Ehe.
- … Besonders diese Zahl dürfte Orbán gar nicht gefallen: 73 Prozent wiesen die falsche Behauptung der Regierung zurück, dass Schwule und Lesben „die Kinder verderben“. Und sogar 83 Prozent glauben nicht, wie die Regierung erzählt, dass die Beschäftigung mit queeren Themen in der Schule jemanden „schwul machen“ würde.
- … Mit 74,5 Prozent sind drei Viertel der ungarischen Gesellschaft der Meinung, dass trans* Personen die Möglichkeit haben sollten, ihr Geschlecht und ihren Namen in ihren Dokumenten offiziell zu ändern.
- … Zwei Drittel, also 66 Prozent, halten es für richtig, dass junge Menschen im Rahmen des Lehrplans über sexuelle Minderheiten informiert werden.
- … Eine überwältigende Mehrheit: 90 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass in den Schulen eine altersgerechte Sexualerziehung stattfinden sollte und dass es den Eltern und Lehrern und nicht der Regierung überlassen bleiben sollte, was in diesem Bereich gelehrt wird.
Geht man davon aus, dass Viktor Orbán und seine rechtspopulistische Fidesz-Partei ihren Wahlkampf für die Parlamentswahlen im kommenden Jahr nach den evangelikal-rechten Strategien von Trump's oder Bolsonaro's Kampagnen stricken wollen, dürften die Ergebnisse für einige Kopfschmerzen sorgen. Der Appell an die angeblich heile Vater-Mutter-Kind-Familie, die Mär von der Frühsexualisierung oder der Indoktrination durch eine internationale Homolobby verfangen bei den Ungarn ganz offensichtlich nicht.
„Unsere Untersuchung hat auch bestätigt, dass die ungarische Gesellschaft mehr Akzeptanz zeigt als die Regierung. Eine Politik, die auf Lügen und Hass basiert, ist gesellschaftlich nicht mehrheitsfähig. Deshalb ist es wichtig, dass sich jeder für LGBTQI-Menschen einsetzt und dem Hass nicht nachgibt.“
Luca Dudits, Sprecherin Háttér Society.