Zwei Nachrichten lösten in den vergangenen Tagen besonders in der LGBT*IQ- Community Bestürzung aus: die offenbar schon seit geraumer Zeit geschehende Verfolgung und Folter von Homosexuellen in Tschetschenien und die brutale Attacke auf ein händchenhaltendes schwules Paar im niederländischen Arnheim durch eine Gruppe mutmaßlich marokkanischstämmiger Jugendlicher. Bei aller Unterschiedlichkeit dieser Untaten – hier eine offenbar staatlich initiierte systematische Verfolgung, dort ein impulsiver Gewaltexzess einer Gruppe von Jugendlichen – gibt es zwischen diesen Geschehnissen doch eine Gemeinsamkeit. Eine, die ein heißes Eisen berührt: die Gewaltbereitschaft in Teilen des religiös extrem konservativen Islam.

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Gewalt
Generalbeschuldigung vs. Augenverschließen
Allein die Thematisierung dieses Phänomens ruft geradezu reflexhaft diejenigen auf den Plan, die zu Recht sagen, Gewalt ginge auch von anderen Gruppen aus, zum Beispiel von Rechtsradikalen, und eine wie auch immer dargestellte kausale Verbindung von Islam und Gewaltbereitschaft leiste Intoleranz, Polarisierung und Ideologisierung Vorschub. Die Sorge, dass bei einem solchen Thema pauschalisiert und generalisiert wird, ist dabei sicher berechtigt. Das zeigen ja nun gerade die bei uns entstandenen rechten Milieus, die tendenziell jeden Immigranten, jeden Muslimen und am besten überhaupt gleich jeden vom Ursprung her nicht westlich verwurzelt erscheinenden Zeitgenossen unter Kriminalitätsverdacht stellen.
Es existiert daher ein schmaler Grat zwischen einer solchen politisch und gesellschaftlich desaströsen Generalbeschuldigung einerseits und einem Verschließen der Augen andererseits. Führt das eine zur gesellschaftlichen Polarisierung und damit zu einer Verstärkung von generellem Argwohn, vermeintlich umfassender Bedrohung und Aggressionsbereitschaft gegenüber all denen, die anders sind oder scheinen, so führt das andere zu einem naiven und nicht ungefährlichen Wegschauen gegenüber ernstzunehmenden Risiken. Und diese Risiken führen eben auch zu jenem für eine integrative, offene, plurale und bunte Gesellschaft besonders heißen Eisen, das vor einigen Wochen der niederländische Sozial- und Migrationsforscher Ruud Koopmann in einem Interview mit RP Online wie folgt angesprochen hat.

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Protest Demo
„Es ist daher ein schmaler Grat zwischen einer solchen politisch und gesellschaftlich desaströsen Generalbeschuldigung einerseits und einem Verschließen der Augen andererseits."
Es gebe weltweit rund 1,6 Milliarden Muslime, wovon ungefähr eine Milliarde volljährig seien.
„Die Hälfte davon hängt einem erzkonservativen Islam an, der wenig Wert auf die Rechte von Frauen, Homosexuellen und Andersgläubigen legt“, so Koopmans im Interview mit „RP-Online“.
Von diesen 500 Millionen seien mindestens 50 Millionen Muslime bereit, Gewalt zu akzeptieren, um ihre Religion zu verteidigen.
Die Studienlage
In eine ähnliche Richtung weisen schon seit einigen Jahren auch viele empirische Untersuchungen. So hat sich bereits in einer 2010 veröffentlichten Studie des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsens, bei der 45.000 Jugendliche befragt wurden, gezeigt, dass eine deutlich größere Anzahl von Jugendlichen aus muslimischen Zuwandererfamilien gewaltbereit ist als aus Familien mit einem anderen konfessionellen Hintergrund. Und jüngst hat eine von Oktober 2016 bis März 2017 mit französischen Jugendlichen vorgenommene Befragung ergeben, dass 32% der befragten muslimischen Jugendlichen (gegenüber 6% der befragten Christen) Gewalt und delinquentes Verhalten als Lebensentwurf akzeptieren.
Nicht verallgemeinern
Dies alles bedeutet nun sicher weder, dass der Islam an und für sich gewaltorientiert wäre noch dass dies für die Mehrzahl der Muslime gelte. Beide Behauptungen wären ebenso falsch wie ungerecht und absurd. Die Mehrheit der Muslime ist friedliebend und tolerant. Auch bedeutet es nicht, dass nicht auch von anderen Gruppierungen, wie etwa Rechtsradikalen, ein gefährliches Gewaltpotenzial ausgeht. Ohne in Scharfmacherei oder Einseitigkeit zu verfallen, kann man allerdings meines Erachtens sagen, dass schon allein angesichts der wachsenden Gesamtzahl der Muslime in Deutschland von dem religiös erzkonservativen und gleichzeitig gewaltbereiten Teil unter ihnen eine ernstzunehmende Gefahr ausgeht – ganz besonders auch für lesbische, schwule, bisexuelle und transgender Menschen. Um auf Menschen zu stoßen, die die schier unerschütterliche Haltung haben, dass Homosexuelle kein Recht auf Anerkennung, Partnerschaft oder überhaupt auf Leben beanspruchen können, muss man jedenfalls nicht nach Tschetschenien reisen. Menschen, die so denken und durchaus auch so handeln, gibt es mitten in jeder westlichen Gesellschaft.

Muslime Großbritannien
Die Zahlen einer Umfrage in Großbritannien sorgten für Aufsehen. Quelle: http://www.icmunlimited.com/polls/icm-muslims-survey-for-channel-4/
Eine 2016 in Großbritannien veröffentlichte Studie, bei der 1.000 Muslime befragt worden waren, hat dies besonders massiv zum Ausdruck gebracht. Danach meinten 52% der Befragten, Homosexualität solle illegal sein, 23% waren der Auffassung, die Scharia solle als Gesetz gelten, 5% hielten Steinigung als Bestrafung für Ehebruch oder Homosexualität für legitim. Menschen mit solchen Ansichten gibt es auch in Deutschland, mittlerweile vermutlich mehr denn je. Und dieser Gefahr gilt es ins Auge zu sehen, auch wenn das politisch unpopulär ist und es keine einfachen Rezepte dagegen gibt.
Und nun?
Natürlich braucht es intensivste Integrationsaktivitäten, wobei sich gerade der in Bezug auf Integration und Integrationsbereitschaft problematische Teil der Muslime dadurch nur schwer und oft auch nicht substanziell erreichen lässt. Ganz sicher braucht es auch nachhaltige Kontrollen, wer überhaupt mit welcher Identität in unser Land kommt und hier bleiben und leben darf. Und sicher braucht es an manchen Stellen und Plätzen – wie zum Beispiel dem mittlerweile wieder deutlich gefährlicher gewordenen Terrain um den Nollendorfplatz in Berlin – eine stärkere Polizeipräsenz sowie auch eine Strafverfolgung, die homophobe oder sonstige Gewalttaten verübende Täter nicht einfach nur mit einer für diese lächerlich geringen Sanktionierung davon kommen lassen. Und vieles, vieles mehr, was es hier braucht…

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Rassismus
Islamophobie, Rassismus & Homo- bzw. Transphobie sind alle drei hässliche Töchter des Hasses.
Fazit
Was daneben vielleicht aber auch wieder nötig ist, ist eine höhere Achtsamkeit darauf, wo und wann man/frau sich als offen homosexuell zu erkennen gibt. Nicht zuletzt dies markiert einen durchaus bitteren Aspekt dieser Geschichte: denn während zum einen der weit überwiegende Teil der Menschen in unserer Gesellschaft queere Menschen und Lebensformen akzeptiert und damit Normalität in Ausdruck und Umgang möglich macht, geht von einem kleinen, aber doch wieder größer werdenden Teil der Gesellschaft nicht nur Unverständnis und Nicht-Akzeptanz, sondern Ablehnung und Gewalt aus. Dies wird die queere Community und auch die übrige Gesellschaft vermutlich noch deutlich länger und heftiger beschäftigen als die hoffentlich auch hierzulande bald als Historie zu betrachtende Verweigerung der Ehe für Alle. Und so wie sehr viele von uns sich für die Ehe für Alle eingesetzt haben und es ja immer noch tun (müssen), so sehr sollten wir auch dieses andere, weniger schöne, aber potenziell extrem folgenreiche Thema nicht aus den Augen verlieren. Denn was hier droht ist ein extrem dichotomes Zwei-Weltensystem, bei dem eine Welt entspannter Normalität und Akzeptanz direkt neben einer Welt brutaler, lebensbedrohender Repression liegt, und man/frau sich unversehens statt in der einen in der anderen wiederfindet.