Die Wahlstudie der Universität Gießen in Zusammenarbeit mit dem LSVD+ wirft einen detaillierten Blick auf das Wahlverhalten von LSBTIQ*-Personen in Deutschland. Diese dritte Studie ihrer Art zur Bundestagswahl unterstreicht die Bedeutung einer separaten Betrachtung dieser Bevölkerungsgruppe, da herkömmliche Wahlstudien sexuelle Identität und Orientierung vernachlässigen.

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Prof. Dr. Dorothée de Nève & Niklas Ferch M. A. von der Uni Gießen
Mit einer geschätzten Anzahl von 1,8 bis 3 Millionen Wahlberechtigten stellt die LSBTIQ*-Community eine bedeutende Wählerschaft dar. Aufgrund – selbstverständlich – fehlender staatlicher Erhebung dieser Daten wurde die Studie mit einer selbstselektiven Stichprobe durchgeführt. Die Validität der Ergebnisse wird jedoch durch ihre Plausibilität, Kontinuität und Substanz gewährleistet.
Die Ergebnisse
Die Studie, die mit 6320 wahlberechtigten Teilnehmern die bisher umfangreichste ihrer Art ist, wurde durch Social-Media-Kampagnen unterstützt.

Grafik: Uni Gießen / LSVD+
Die Ergebnisse zeigen eine deutliche Präferenz der LSBTIQ*-Community für Bündnis 90/Die Grünen (43,5 %), gefolgt von der Linken (24,9 %). SPD (7,2 %), CDU/CSU (3,3 %) und Volt (3 %) liegen deutlich dahinter, während AfD (2,8 %) und FDP (2 %) noch geringere Werte erreichen.
Jüngere Wähler (unter 30 Jahren) bevorzugen tendenziell die Linke, während die Grünen in der Altersgruppe der 40- bis 49-Jährigen am stärksten sind. Bei SPD und CDU/CSU ist der Anteil älterer Wähler höher. Zudem gibt es regionale Unterschiede: Die Linke hat in Ostdeutschland mehr Zuspruch, während die Grünen in Westdeutschland stärker sind.

Grafik: Uni Gießen / LSVD+
Die Studie zeigt, dass SPD, Grüne und Linke noch Mobilisierungspotenzial in der LSBTIQ*-Community haben, während die AfD ihr Potenzial bereits weitgehend ausgeschöpft hat. Im Vergleich zur Wahlstudie 2021 haben mit Ausnahme der Linken alle Parteien an Rückhalt verloren, wobei die SPD einen besonders starken Rückgang verzeichnet.

Grafik: Uni Gießen / LSVD+
Interessanterweise gibt es außerdem eine relativ hohe Wähler*innenwanderung, wobei FDP und Grüne noch die treuesten Wählerinnen haben. Viele unentschlossene Wähler*innen stammen aus dem progressiven Lager.
Teilergebnisse verschiedener Gruppen
Die Studie untersuchte auch die Präferenzen verschiedener Gruppen innerhalb der LSBTIQ*-Community*. Schwule Männer haben eine höhere Präferenz für SPD, CDU/CSU, AfD und FDP im Vergleich zur Gesamtstichprobe und zu Lesben. Lesben wählen überwiegend die Grünen und die Linke. Queere Personen, Bisexuelle und Transpersonen, insbesondere Transmänner, tendieren stark zur Linken.
Deutliche Unterschiede bei Themen und Standpunkten

Grafik: Uni Gießen / LSVD+
Die inhaltlichen Standpunkte sind der Hauptgrund für die Wahlentscheidung, gefolgt von der bisherigen Arbeit der jeweiligen Partei. Bei AfD und BSW spielen die Spitzenkandidatinnen eine größere Rolle. LSBTIQ*-freundliche Politiken in Wahlprogrammen sind besonders wichtig für Wählerinnen der Linken, Grünen und Volt. Die Verwendung gendersensibler Sprache ist ein wichtiges Thema für Wählerinnen von Linken, Grünen und SPD, während es für Wählerinnen von AfD, BSW und Union kein Anliegen ist.

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Die Gleichstellung von LSBTIQ* im Adoptionsrecht wird von den Wählerinnen fast aller Parteien befürwortet. Das Selbstbestimmungsgesetz wird von Wählerinnen links der Mitte unterstützt, während die CDU/CSU, BSW und insbesondere die AfD zurückhaltender sind. Wählerinnen der AfD sehen LSBTIQ*-Personen in Deutschland als gleichberechtigt an, während dies Wählerinnen der Grünen und Linken anders sehen. Die wichtigsten gesellschaftlichen Themen sind Bildungspolitik, Gesundheitspolitik und Rechtsstaatlichkeit, wobei Homofeindlichkeit, Diskriminierung und LSBTIQ*-Rechte für die Community besonders wichtig sind.
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Gender-Gap auch bei Queers
Die Studie zeigt auch Unterschiede in der Demografie der Wählerinnen einzelner Parteien. Wählerinnen der Grünen sind eher weiblich, haben einen Hochschulabschluss und bewerten ihre wirtschaftliche Lage als gut. Wählerinnen der Linken sind oft non-binär, trans, Single und bewerten ihre wirtschaftliche Lage eher schlecht. SPD-Wähler sind oft männlich, Beamte und über 40 Jahre alt. CDU/CSU-Wähler sind oft Männer und haben freie Berufe. Volt-Wählerinnen sind oft trans und unter 40. AfD-Wähler sind meist Männer, selbstständig, haben eine abgeschlossene Lehre und bewerten ihre wirtschaftliche Lage als schlecht.
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Wählerinnen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken begründen ihre Wahlentscheidung oft damit, dass sie sich gegen einen politischen Backlash und die Einschränkung von LSBTIQ*-Rechten stellen wollen. Bei den AfD-Wählern wird die Ablehnung von Migration und Islam als Begründung genannt.