Facebook und die Angst

In den Kommentarspalten zur ROMEO-Umfrage auf Facebook konnte vermehrt Angst vor vermeintlich zugenommener queerfeindlicher Gewalt durch Menschen mit Migrationshintergrund wahrgenommen werden. Leider wieder öfter vermischt mit Islamophobie und anderen offen rassistischen Narrativen. Schauen wir auf die Zahlen der Kriminalitätsstatistik, gibt es in dieser Bevölkerungsgruppe nach wie vor keine galoppierenden Zuwächse.

Grafik: Uni Gießen / LSVD+
Die Rechtsextremen als Tatverdächtige zugeordneten Zahlen sind sowohl absolut, als auch statistisch auf Bevölkerungsteile hochgerechnet um ein vielfaches höher. Das ändert nichts daran, dass Politik sich weiter der Bekämpfung aller Formen queerfeindlicher Gewal widmen muss. Soviel sei der Ampel hier zugestanden: sie tat dies so intensiv wie in der ganzen Merkel-Ära nicht. Geholfen gegen die Angst der Kommentierenden hat dies bisher nicht. Genauso wenig wie für einen spürbaren Rückgang der Fallzahlen.
Was wir auswerten konnten: „Katastrophal“

männer* Verleger Olaf Alp hatte sich für die Europawahlausgaben unserer Stadtmagazine durch die Kommentare gewühlt, um zur Versachlichung beizutragen. Seine Erkenntnisse erläuterte er uns schriftlich:
männer*: Du hast im letzten Jahr die über 10.000 Kommentare der erste ROMEO Befragung ausgewertet. Sind diese für die Einordnung der neuen Umfrage hilfreich?
Olaf: Ich habe mir noch mal die ca. 2.500 Kommentare angesehen, die die damaligen AfD Sympathisanten abgegeben haben. Wenn es ein Wort gibt, das immer wieder auftaucht, dann die Beschreibung unserer gesellschaftlichen Lage als „katastrophal“. Das Problem ist, diese Beschreibung wird so gut wie nicht begründet. Wer vermutet, dass die Befragten sich beispielsweise schwerpunktmäßig gegen Migration aussprechen, liegt falsch. Dieses Thema taucht so gut wie gar nicht auch. Ebenso nicht, eine mutmassliche Bedrohung Schwuler durch Muslime. Natürlich kann sich das auch hinter dem Gesamtbild „katastrophal“ verbergen. Aber es läßt sich nicht verifizieren. Was in den Kommentaren rauszuhören ist, dass eine gesellschaftliche Spaltung beklagt und stark von einer „vergifteten“ Stimmung gesprochen wird. Ein interessanter Kommentar, der viele Einzelaspekte zusammenfasst, lautet: „Die planmäßige Zerstörung unserer Wirtschaft mit einer verfehlten Energie und Migrationspolitik. Meinungsfreiheit wird eingeschränkt und jeder der gegen die links/grüne Politik spricht ist ein Nazi.“
männer*: Läßt sich erklären, weshalb eine offensichtlich queerfeindliche Partei so viel Zuspruch bekommt?
Olaf: Scheinbar sind die queerpolitischen Positionen der AfD, wie die Ablehnung des Selbstbestimmungsgesetzes, für die Befragten völlig bedeutungslos. Vorherrschend war die Kritik an der Ampel, die unfähig sei, die Probleme des Landes zu bewältigen. Worin diese Probleme gesehen werden, wird leider kaum benannt. Erstaunlich ist, dass häufig behauptet wird, man befände sich in einem „links/grünen Faschismus“, der fast schon wie „1933“ wäre. Historische Kategorien werden hier in gerade zu absurder Weise benutzt bis hin zu dem Vorwurf, wir befänden uns auf dem Weg in eine „Diktatur“.

Foto: Campus
Lest auch unbedingt das Interview mit dem Forscher Dr. Patrick Wielowiejski, der sich zwei Jahre mit den „Homosexuellen in der AfD” befasst hat und dessen Erkenntnisse als Dissertation mit dem Humboldt Preis 2024 ausgezeichnet wurden. ➡️ Interview: Warum gibt es rechte Homosexuelle?
Was tun gegen die Übermacht von gezielter und ungewollter Verzerrung der Realität – neueste Zahlen sprechen von 9- bis 40-facher Überrepräsentation von Kriminalität durch Menschen mit Migrationshintergund in den Medien tun?
Mit Rechten reden?
Als Medienmarke mit einer knapp vier Jahrzehnte gewachsenen Vernetzung besorgt uns das Auseinanderdriften von queeren Communitys. Die Stärke einer so erfolgreichen gesellschaftlichen Kraft für die Durchsetzung von Menschenrechten wie die LGBTIQ*-Bewegung sie ist, war von Beginn an auch ihre vielfältige Aufstellung. Genau diese – machen wir uns ehrlich – war aber auch immer schon Gegenstand interner Debatten. Und das ist auch gut so! Selbstverständlich ist es okay, über Männlichkeitsbilder, Geschlechterrollen, Feminismus und Co nicht nur zu sprechen, sondern auch dazu und darüber zu streiten. Was aber nicht okay ist: sich gegenseitig zu entmenschlichen und grundsätzliche Werte wie Gleichheit und Würde zu missachten. Das passiert zwar nach wie vor selten, wird aber dank maschinengetriebener Aufmerksamkeitsökonomie und mutmaßlich gelenkter Beeinflussung von Außen massiv verzerrt wiedergegeben, verbreitet und damit überproportional wahrgenommen.
Wie mit Rechten reden?
Florian Filzinger ist seit Jahren im CSD Berlin aktiv und organisiert dort eine der wichtigsten deutschen Communitypreisverleihungen. Die Soul of Stonewall Awards, heute SoSa genannt. Ebenfalls versucht er über klassische Netzwerkarbeit reale Räume des Austauschs wie das Village.Berlin bekannter und damit nachhaltig genutzter zu machen. Hauptberuflich ist Florian in der Betreuung psychisch erkrankter Menschen tätig. Miteinander Reden als therapeutischer Ansatz zur Bewältigung existentieller Krisen, aber auch als generelles Tool für gesellschaftliches Miteinander ist für ihn Alltag. Um so mehr beunruhigt ihn die schreiende Sprachlosigkeit, die sich rund um das Phänomen rechter Schwuler Bahn bricht.
Er trifft damit einen Nerv, den auch die Redaktion umtreibt: Wie bekommen wir es hin, dass wir wieder mehr zusammen streiten, als uns gegeneinander mit Verurteilungen und Schuldzuweisungen zu überziehen? Florians Idee: Erstmal drüber reden. Am Mittwochabend online:
„Liebe schwule Männer, die mit dem Gedanken spielen, die AfD zu wählen: Ich lade euch herzlich ein, am kommenden Mittwoch mit mir ins Gespräch zu kommen. Lasst uns in einem offenen und respektvollen Rahmen über eure Fragen, Ängste und Beweggründe sprechen. Gemeinsam können wir herausfinden, was hinter diesen Überlegungen steckt. Dieses Treffen nenne ich AFD Anonymous (A-A-F-D). Es ist Zeit, den Dialog zu suchen – bevor es zu spät ist. Ich freue mich auf Euch.“
Was: AAfD Zoom-Sit-In I Wann: 19. Februar ab 21 Uhr I Wie: Diesen Zoomlink klicken

Hinweise zur Wahrung der Anonymität
Teilnahme ohne Profil: Es ist nicht erforderlich, ein Zoom-Profil zu erstellen, um am Sit-In teilzunehmen. Du kannst den Download oder das Öffnen der Zoom-App abbrechen (manchmal zweimal abbrechen) und auf den Link „In ihrem Browser öffnen klicken".
Anonymer Beitritt: Teilnehmer können mit einem Pseudonym und deaktivierter Kamera und Mikrofon beitreten. Auch einfach nur Zuhören ist möglich.
Teilnehmer unsichtbar schalten: Florian wird alle Teilnehmer auf „unsichtbar" stellen. Für jeden Teilnehmer ist nur Florian zu sehen
Automatisierte Stimmverzerrung: Wir empfehlen Teilnehmern eine der kostenfreien Apps und Tools wie Voice Changer, Voxal Voice Changer oder Clownfish Voice Changer zu nutzen, wenn ihr Bedenken habt, an eurer Stimme erkannt zu werden oder das Mitschnitte in einschlägigen sogenannten alternativen Medien für Propaganda und Hetze missbraucht werden. Das kann passieren!