Die zweite Parlamentswoche nach der Sommerpause war vom demokratischen Ringen um Nachbesserungen des Haushalts in den Ausschüssen und Provokationen geprägt. Bereits vergangene Woche sprach sich das Bundesfamilienministerium in einer Pressemitteilung für eine Stärkung des Programms „Demokratie Leben“ aus, u.a. soll die Opferberatung von rechtsextremen Übergriffen weiter gefördert werden. Die zuständige Ministerin Franziska Giffey geht damit auf die Kritik, die auch aus den eigenen Reihen kam, ein (blu berichtete).
AfD hält Antifaschismus für verfassungswidrig
Skurril war wieder einmal der Auftritt der AfD. In der Debatte zum Klimapaket, leugnete sie schlicht den Klimawandel. Dies war keine Einzelmeinung eines Abgeordneten, sondern ist Grundhaltung der rechtsaußen-Partei. Des Weiteren provozierte sie mit einem Antrag gegen Antifa und Linksextremismus. In der Debatte zum Antrag subsumierte Martin Hess von der AfD allen Ernstes die Proteste von Fridays For Future unter Linksextremismus und forderte in totalitärer Diktion: „Dies muss im Keim erstickt werden.“
Zur Erinnerung: Seit 1990 töteten Rechtsextreme etwa 170 Menschen, der Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke wurde von einigen AfD-Anhängern bejubelt. Linksextreme töteten im gleichen Zeitraum 5-10 Menschen (alle vor der Jahrtausendwende)
Leider nicht wirklich witzig. Um sich - zur damaligen Zeit sogar noch halbwegs nachvollziehbar - der Ideologie des Kommunismus zu erwehren, ersannen kluge konservative Köpfe eine Strategie, die alles Soziale und die Proteste dafür erst ins Naiv-Lächerlich und dann ins Gefährlich-Extremistische rückte. Die Rote-Socke-Kampagne ist wohl das erfolgreichste und längste Framing der Bundesrepublik.
Alle demokratischen Fraktionen grenzten sich von der Provokation ab und fanden überraschend deutliche Worte:
„Sie sind Antidemokraten und verkappte Faschisten im Tarnmantel der Bürgerlichkeit,“ so beispielsweise der SPD-Abgeordnete Helge Lindh zum Ende seiner Rede.
Dass die lesbische Abgeordnete Alice Weidel zusammen mit Alexander Gauland in dieser Woche als Fraktionsvorsitzende der AfD mit großer Mehrheit bestätigt wurden, überraschte nicht. Machte sie doch in letzter Zeit dem völkischen Teilen in ihrer Partei Avancen und trat kürzlich bei der rechtsextremen Kaderschmiede, dem Institut für Staatspolitik, als Rednerin auf.
Neuer Versuch, sexuelle Identität zu schützen
Foto: S. Ahlefeld
Doris Achelwilm (DIE LINKE), Jens Brandenburg (FDP), Ulle Schauws (Grüne) und LSVD-Bundesvorständin Henny Engels am 22. Mai 2019 im Bundestag
Dass unterschiedliche politische Ausrichtungen, dennoch in menschenrechtlichen Fragen zu einem Grundkonsens führen, zeigte ein Initiative von FDP, Grünen und Linken. Sie stellten bereits am 23. Mai zum 70. Geburtstag unseres Grundgesetzes gemeinsam einen Gesetzentwurf vor, sexuelle Identität im Grundgesetz in Artikel 3 Absatz 3 zu verankern (blu berichtete), der in dieser Woche ins Parlament eingebracht wurde. Die SPD ist eigentlich ebenfalls für die Änderung.
Transsexuellengesetz: Seehofer spielt auf Zeit
Grafik: transrespect.org
Trans*Morde 2017
Eine schriftliche Frage der FDP ergab, dass es derzeit keine Verständigung in Bundesregierung gibt eine Reform des Transsexuellengesetzes anzugehen. Hintergrund ist, dass das von Seehofer geführte Innenministerium im vergangenen Jahr einen Gesetzentwurf vorlegte, der auf einhellige Kritik von Community und Opposition stieß. Die SPD verweigerte ihre Zustimmung. Da das Innenministerium einen neuen Gesetzentwurf erarbeiten müsste und dort schlicht kein Interesse an einer Verbesserung der Menschenrechtssituation von transgeschlechtlichen Menschen besteht, herrscht Stillstand.
Homophobie wird in Deutschland gewalttätiger
Foto: CC0 Public Domain
Gewalt
Gleich zwei Antworten der Bundesregierung auf Oppositionsanfragen offenbarten dringenden Handlungsbedarf für Minderheitenschutz. Eine schriftliche Frage der Grünen zeigte, eine deutliche Steigerung von Sachbeschädigungen an queeren Orten (blu berichtete). Eine kleine Anfrage von DIE LINKE ergab, dass sich Gewalttaten gegen queere Menschen in den letzten 5 Jahren verdoppelt haben (PDF mit Antwort der Bundesregierung).
So schließt sich denn auch der inhaltliche Bogen queerpolitischer Entscheidungsfindungsprozesse im Parlamentsbetrieb in dieser zweiten Sitzungswoche und deutet auf ein spannendes Ringen in den kommenden Monaten hin. Wir werden euch in dieser Rubrik zusammenfassend und in einzelnen Artikeln gewohnt detailliert informieren.