Die Fortschritte sind unübersehbar, doch die Gefahr lauert im Schatten: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat eindringlich vor Rückschritten bei der gesellschaftlichen Akzeptanz von queeren Lebensentwürfen gewarnt. Anlässlich des 35. Gründungsjubiläums des LSVD+ (Verband Queere Vielfalt) im Schloss Bellevue zeichnete er ein Bild Deutschlands, das in Bezug auf die Rechte von Homosexuellen, Bisexuellen, trans* und intergeschlechtlichen Menschen (LGBTIQ*) zutiefst ambivalent sei.

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Frank-Walter Steinmeier
Errungenschaften und die Kräfte dahinter
Einerseits, so Steinmeier, sei die Gesellschaft heute aufgeklärter und toleranter. Eine Mehrheit der Deutschen befürworte die „Ehe für Alle“ und gleiche Adoptionsrechte – Meilensteine, die noch vor wenigen Jahren unerreichbar schienen. Tatsächlich war der Weg dorthin ein politischer Kraftakt. Insbesondere die SPD spielte eine entscheidende Rolle dabei, diese Gleichstellung im Zeitraum zwischen 2010 und 2021 voranzutreiben. Jahrelang setzte sie sich, oft gegen den Widerstand des damaligen Koalitionspartners CDU/CSU, für die Öffnung der Ehe ein. Der Durchbruch gelang 2017, als die SPD-Fraktion geschlossen für die „Ehe für Alle“ stimmte, nachdem Kanzlerin Merkel die Abstimmung nach einem denkwürdigen Auftritt vor Publikum freigegeben hatte. Mit diesem Gesetz kam auch das volle gemeinsame Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare – ein langjähriges Ziel der Sozialdemokraten und der LGBTIQ*-Bewegung.
Auch in anderen Bereichen drängte die SPD auf Fortschritt. Die Reform des veralteten Transsexuellengesetzes (TSG) war eine wiederkehrende Forderung, um die Selbstbestimmung trans*geschlechtlicher Menschen zu stärken, auch wenn die umfassende gesetzliche Neuregelung erst nach 2021 Gestalt annahm. Ebenso unterstützte die SPD die Entwicklung eines Nationalen Aktionsplans gegen Homo- und Transphobie, ein wichtiges Instrument im Kampf gegen Diskriminierung.
Die wachsende Gefahr des Rollbacks
Doch auf der anderen Seite, und hier wurde der Bundespräsident deutlich, bestehe die „Gefahr eines gesellschaftlichen Rollback“. Diese Sorge treibe ihn um, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. „Die Stimmen gegen die queere Gemeinschaft werden lauter, und darunter sind mächtige Stimmen“, mahnte Steinmeier. Sichtbar werde dies an der Zunahme homophober und transfeindlicher Hasskriminalität. Dass im vergangenen Jahr zahlreiche Christopher-Street-Day-Paraden massiven Polizeischutz benötigten, weil Teilnehmende von Neonazis bedroht wurden, sei ein alarmierendes Signal.
Diese Angriffe, so der Bundespräsident, dürften nicht hingenommen werden. Toleranz und Respekt seien keine Selbstverständlichkeit, sondern Werte, die aktiv verteidigt werden müssten. „Sonst droht der Rückschritt.“ Als warnendes Beispiel verwies Steinmeier auf Entwicklungen in den USA unter der Präsidentschaft Donald Trumps: die ideologische Reduzierung auf nur zwei Geschlechter, der versuchte Ausschluss von Transpersonen aus der Armee und die Einstellung von Diversitätsprogrammen – Zeichen dafür, dass eine „selbsternannte Elite die Zeit zurückdrehen“ wolle. *ck/AFP/SPoN