Auch wenn es nur selbstselektierende Stichproben in einer speziellen Zielgruppe sind. Die Ergebnisse der Wahlumfrage von ROMEO haben auch zur Bundestagswahl wieder für Aufruhr in den Netzwerken gesorgt. Bereits das zweite Mal nach der Europawahl konnte sich die AfD dort als Gewinnerin fühlen. Dieses Ergebnis als nicht unwahrscheinlich erwartend hat die männer* Redaktion im Vorfeld versucht, Ursachen für das Phänomen „rechte Schwule” zu identifizieren.
Aufsehen im wissenschaftlichen Betrieb erregte 2024 diesbezüglich Dr. Patrick Wielowiejski. Seine Dissertationsschrift „Rechtspopulismus und Homosexualität: Eine Ethnografie der Feindschaft“ wurde mit dem Humboldt-Preis 2024 ausgezeichnet. Dankenswerter Weise nahm er sich Zeit für ein ausführliches Gespräch.
Du hast nicht repräsentative Umfragen wie die von ROMEO kritisiert. Warum?
Ich sehe diese Umfrage kritisch. Sie ist schlecht gemacht und sollte in Zukunft nicht wiederholt werden. Einerseits ist es natürlich wichtig, überhaupt hinzuschauen, dass es dieses Phänomen gibt, und nicht zu behaupten: „Das sind doch Einzelfälle.“ Andererseits muss man darauf achten, wie solche Daten erhoben werden. Viele Online-Umfragen sind nicht repräsentativ. Das heißt, wenn in Schlagzeilen steht „Soundso viel Prozent der schwulen Männer wählen AfD“, dann stimmt das nicht.
Gleichzeitig kann die AfD genau solche Studienergebnisse verwenden, um zu sagen: „Seht her, wir sind gar nicht schwulenfeindlich, sogar in dieser Community finden wir Anhänger.“ Genau deswegen ist es wichtig, solche Zahlen kritisch einzuordnen: Sie zeigen möglicherweise einen Trend, aber eben nicht zwangsläufig das volle Bild.
Nichtsdestotrotz ist die Grundbotschaft: Es gibt relevante Gruppen von schwulen Männern, die sich nach rechts orientieren. Das sollten wir ernst nehmen, thematisieren und auch im Privaten, in der Community, ansprechen.
Was kann ich mir genauer unter Ethonlogie bzw. Antropologie vorstellen?
Ich bin Kulturanthropologe oder europäischer Ethnologe. Das bedeutet, wir befassen uns mit kulturellen und sozialen Phänomenen im Alltag: mit den Vorstellungen, Deutungen und Sinnkonstruktionen von Menschen in unterschiedlichen Gruppen. Was uns unterscheidet von vielen anderen Fächern ist, dass wir nicht hauptsächlich Zahlen erheben oder große repräsentative Befragungen durchführen, sondern ethnografisch vorgehen. Das heißt, wir nutzen vor allem teilnehmende Beobachtung und Gespräche: Wir tauchen in das Feld ein, das uns interessiert, und beobachten es – oft über einen längeren Zeitraum.
Wir arbeiten ganz bewusst mit unserer eigenen Person als Forschungsinstrument. Durch diese Nähe gewinne ich Einblicke in ihre Lebenswelten, ihre Denk- und Argumentationsmuster, die ich nur schwer über klassische quantitative Methoden bekommen könnte.
Wichtig ist in unserem Fach, dass wir uns unserer eigenen Perspektive bewusst sind. Das heißt, ich stehe zu meinen persönlichen Haltungen und Überzeugungen – natürlich bin ich nicht „neutral“ im Sinne einer absoluten Objektivität. Aber gerade dadurch, dass meine eigene Haltung bewusst reflektiert ist und ich meine Rolle im Feld transparent mache, kann ein tieferes Verständnis für bestimmte Phänomene entstehen. Es geht also nicht darum, eine perfekte „Objektivität“ zu behaupten, sondern um eine reflektierte, involvierte Forschungsperspektive.
Aktivist und Filmemacher Rosa von Praunheim nahm sich schon 2005 des Phänomens an
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Wie lange und wen hast du genau auf diese Weise erforscht?
In meinem Fall habe ich knapp zwei Jahre lang eine Gruppe schwuler bzw. bisexueller Männer in der AfD begleitet – manche davon waren Parteifunktionäre oder Mandatsträger, andere einfache Mitglieder. Sie alle waren (oder sind) in einer Gruppierung organisiert, die sich „Alternative Homosexuelle“ nennt. In diesen zwei Jahren habe ich sie bei Parteitreffen, Stammtischen, aber auch bei Demonstrationen oder in informellen Situationen (z. B. in Kneipen) beobachtet, begleitet und mit ihnen gesprochen.
Bevor ich nach den Ergebnissen frage, bitte erkläre, warum du dir das angetan hast …
Der Impuls, mich genau mit diesem Thema zu beschäftigen, kam daher, dass die Existenz schwuler AfD-Mitglieder in der öffentlichen Wahrnehmung oft einen Widerspruch auslöst: Warum unterstützen Menschen eine Partei, die in vielen Punkten offensichtlich LGBTIQ*-feindliche Positionen bezieht? Diese Spannung und die Frage nach ihrer Erklärung waren für mich der Ausgangspunkt.
Diese Widersprüche lösen auch Eingangs erwähnten Umfragen als Reaktionen aus. Was hast Du an Erkenntnissen gewinnen können?
Zunächst einmal ist die Gruppe, die ich begleitet habe, recht heterogen: Manche sind gut situiert, finanziell abgesichert und akademisch gebildet. Andere eher aus der „unteren Mittelschicht” wenn man es so sagen will, mit entsprechend anderen Lebenserfahrungen. Was aber viele vereint, ist eine gewisse Grundausrichtung: Eine national-konservative oder rechtsnationalistische Haltung, die oft schon vor dem eigenen Coming-out geprägt wurde – zum Beispiel durch das Elternhaus oder das soziale Umfeld.
Das „Schwulsein“ kam quasi als zweite Identität oben drauf und musste dann irgendwie mit diesen konservativen, teilweise reaktionären Werten in Einklang gebracht werden.
Für andere wiederum war das Thema antimuslimischer Rassismus ausschlaggebend. Sie haben das Gefühl, von (insbesondere männlichen) Muslimen bedroht oder angefeindet zu sein. Häufig beruht das nicht zwingend auf persönlichen Erfahrungen, sondern auf medialen Narrativen – Berichten über homophobe Übergriffe, die verallgemeinert werden: „Muslime sind gegen Schwule.“ Das verbindet sich dann mit einer kulturkämpferischen Haltung, in der man glaubt, die AfD sei die einzige Partei, die „uns Schwule“ vor einer angeblich „importierten Homophobie“ schützt. Dass gleichzeitig die eigene Partei homofeindliche Strömungen hat, wird relativiert nach dem Motto: „Ich muss ja nicht mit allem einverstanden sein, aber der eigentliche Feind steht doch woanders.“

Foto: Zachary O. Ray - Own work, CC BY-SA 4.0, Wikimedia
Jack Donovan
Wolfgang Brosche mit einer Bestandsaufnahme des Rechtsrucks und seiner Ursachen. Warum stehen manche schwule Männer auf Führertypen, warum neigen einige Homosexuelle zu Ausgrenzung und Hass. Welchen Einfluss hat dabei sexuelles Verlangen?
➡️ Das Vergnügen an der Verrohung ✠ Homonationalisten – ihre Ziele und Antriebe
Welche Rolle spielen Männlichkeitsbilder? Ich erinnere mich immer an Bernd Höcke: „Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken”. In einem Pathos vorgetragen, der mich jedesmal zum Lachen bringt.
Ja, das ist tatsächlich spannend: Es gibt das Narrativ, dass männliche Homosexualität „männlich“ in Reinform sei, weil Frauen in diesem Denken gar nicht erst vorkommen müssen. Das ist eine Position, die bereits in der Geschichte der Homosexuellenbewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts diskutiert wurde: Die eine Seite (z. B. Magnus Hirschfeld) meinte, schwule Männer seien eher „weibliche Seelen im Körper von Männern“. Andere behaupteten: „Wir sind besonders männlich, gerade weil wir nur Männer begehren.“
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In rechten oder rechtsextremen Kreisen taucht dieses Motiv gelegentlich wieder auf, nämlich dass ein „echter Mann“ auch ein Mann sein kann, der Männer begehrt. Die AfD „umarmt“ diesen Ansatz zwar nicht offiziell, aber einige ihrer schwulen Mitglieder beziehen sich darauf. Sie fühlen sich wohl in einem Männerbund, in dem das Ideal von Stärke, Patriarchat, teilweise auch Militarismus eine Rolle spielt. Das ist zwar nicht repräsentativ für alle in der AfD, aber ein Bündel von Motiven, das gerade in Teilen des rechten Spektrums attraktiv erscheint.
Häufig kommt die Frage: „Müssten gerade Menschen, die selbst Diskriminierung erfahren haben, nicht besonders sensibel dafür sein, wenn andere diskriminiert werden?“ Warum scheint das bei einigen nicht zu greifen?
Grundsätzlich stimmt das: Viele hätten durch eigene Erfahrungen eine Empathie für andere marginalisierte Gruppen entwickeln können. Doch das passiert nicht automatisch.
Viele schwule Männer in gut situierten Positionen machen heute (anders als in den 1970er- bis 1990er-Jahren) weniger aktive oder offene Diskriminierungserfahrungen – oder sie bewerten sie anders. Sie fühlen sich nicht (mehr) stark angegriffen.
Gleichzeitig finden sie manche Narrative der AfD – zum Beispiel die „Islamkritik“ oder die Betonung eines „traditionellen Wertekanons“ – an sich überzeugend. Sie denken oft: „Für meine spezifischen Rechte ist doch bereits gesorgt, und wenn die AfD gegen ‚Gender-Ideologie’ wettert, ist mir das relativ egal.“
Die Zahl der Straftaten gegen queere Menschen nimmt in Deutschland zu. Angeheizt wird diese Feindlichkeit auch in den Parlamenten, allen voran durch die AfD
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Hinzu kommt etwas, das man als Kulturkampf-Logik bezeichnen könnte: Die AfD versucht, ihr Weltbild als Kampf gegen eine vermeintliche „linksliberale Hegemonie“ zu inszenieren. Wer sich davon angesprochen fühlt – zum Beispiel, weil er Grünen, Feministinnen oder linken Aktivistinnen sowieso kritisch gegenübersteht –, wird schnell hineingezogen in ein Narrativ: „Wir gegen die da oben, die uns vorschreiben wollen, wie wir zu denken oder zu leben haben.“ Das hat viel mit Identitätspolitik und Gruppenbildung zu tun und erklärt, warum Menschen trotz (oder gerade wegen) Diskriminierungserfahrung nach rechts rücken können.
Wenn wir darüber sprechen, wie man rechtsextremen oder rechtspopulistischen Strömungen begegnen kann, gerade innerhalb der LGBTIQ*-Community: Was hälst du für die wichtigsten Schritte oder Ansätze?
Meiner Meinung nach ist ein erster und nicht zu unterschätzender Schritt der offene Widerspruch. Im Alltag kann es bedeutsam sein, klar zu sagen: „Nein, ich akzeptiere nicht, dass du diese rechtsextremen Positionen vertrittst.“ Das wirkt nicht nur auf die Person selbst, die solche Positionen vertritt, sondern vor allem auf das Umfeld. Zu häufig erleben AfD-Anhänger (egal ob schwul oder nicht) nur eine Schweigespirale oder sie sind unter sich, wo sie keinen Widerstand hören.
Allein die Erfahrung, dass Leute widersprechen, kann ein Umdenken anstoßen.
Zweitens halte ich es für wichtig, sich als Community (und als Gesellschaft) wieder stärker bewusst zu machen, warum eine liberale Demokratie und ein funktionierender Rechtsstaat gerade für Minderheiten essenziell sind. Viele nehmen die heutigen Freiheiten als selbstverständlich hin. Doch die Entwicklungen zeigen, wie schnell sich Erreichtes wieder zurückdrehen lässt, wenn autoritäre oder radikale Strukturen stärker werden. Man darf sich nicht nur auf das Thema „Ehe für alle“ beschränken. Es geht um Grundrechte wie Meinungs-, Versammlungs- oder Pressefreiheit, die uns allen – und gerade marginalisierten Gruppen – nutzen.
*Interview: Christian Knuth