In Deutschland gibt es ein durchwachsenes Bild hinsichtlich der Diskriminierung von Menschen, deren sexuelle Orientierung von Heterosexualität oder traditionellen Normen der Zweigeschlechtlichkeit abweicht. Laut einer am Mittwoch veröffentlichten OECD-Studie sind zwar deutliche Fortschritte bei dem Bemühen sichtbar, solche Diskriminierung zu verhindern. Allerdings gebe es weiterhin auch verbreitet negative Einstellungen gegenüber LGBTI+-Menschen – mit deutlichen Unterschieden von Bundesland zu Bundesland. Betroffene würden zum Opfer von Benachteiligung und Gewalt.
Bremen führt, Sachsen Schlusslicht
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat für ihre auf das Jahr 2019 bezogene Studie sowohl rechtliche Rahmenbedingungen als auch konkrete Erfahrungen untersucht. Es handelt sich demnach um den ersten Länderbericht zur LGBTIQ*-Inklusion. Die Abkürzung steht als Sammelbegriff für lesbische, schwule (Englisch: gay), bisexuelle, transgender und intersexuelle und queereenschen. Das Sternchen steht als Platzhalter für weitere Geschlechtsidentitäten. Deren gesellschaftliche Akzeptanz in Deutschland ist der Studie zufolge weiterhin unterdurchschnittlich. Demnach gaben lediglich 59 Prozent an, kein Problem damit zu haben, wenn die Schwiegertochter oder der Schwiegersohn lesbisch oder schwul ist. Regional wurden allerdings erhebliche Unterschiede festgestellt. So lag der Zustimmungswert demnach in Bremen bei 74 Prozent, in Sachsen aber nur bei 50 Prozent. Bei trans- oder intersexuellen Menschen liegt die Zustimmung bundesweit auf 45 Prozent. Allerdings nahm die geäußerte Akzeptanz der Studie zufolge insgesamt im Vergleich zu 2015 zu.
Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen nehmen zu

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Ablehnung und Diskriminierung münden immer öfter in Gewalt. Trauriger Tiefpunkt dieser Entwicklung war der Tod des trans Mannes Malte, der im September 2022 als CSD-Helfer in Münster zwei lesbischen Frauen zur Hilfe eilte und vom Angreifer einen in der Folge tödlichen Schlag erlitt.
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Umgekehrt berichteten demnach 58 Prozent von 140.000 befragten LGBTI+ Menschen von Diskriminierungserfahrungen innerhalb eines Jahres vor der Befragung. Dies waren zehn Prozentpunkte mehr als 2012, damals allerdings bei weniger Befragten. Gut ein Drittel (36 Prozent) berichtete in der aktuellen Befragung von gewalttätigen, teils auch sexualisierten Übergriffen oder entsprechenden Drohungen mit Gewalt innerhalb der zurückliegenden fünf Jahre. Auch hier wurde eine leichte Zunahme registriert. Die allgemeine Zufriedenheit von Queers war demnach um zehn Prozent niedriger als im Durchschnitt der Bevölkerung. Zugleich litten sie häufiger unter psychischen Problemen. Positiv bewertet wurden in der Studie Anstrengungen zur Gleichstellung von LGBTI+ in der Rechtsordnung.
Berlin ausnahmsweise einmal vorbildlich

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GERMANY-PRIDE-CSD
Ein tolles Symbol auf dem Hausdach zum Berliner CSD 2022. Darunter leuchtet es weit weniger: Weder Selbstbestimmungsgesetz, noch Antidiskirminierungsmaßnahmen sind von Minister*innen und Queerbeauftragtem der Bundesregierung bisher über den Ankündigungs- und Entwurfsstatus hinausgehoben worden.
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Allerdings gebe es auch weiter Handlungsbedarf. So sei das Diskriminierungsverbot aufgrund der sexuellen Orientierung noch nicht im Grundgesetz verankert, es gebe hier auch noch Lücken im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Weiter angemahnt werden die automatische Anerkennung der Elternschaft von Partnerinnen eines lesbischen Elternteils mit Kind, das Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich der Geschlechtszuordnung sowie Liberalisierungen im Namensrecht insbesondere bei einem Wechsel dieser Zuordnung. Kritisiert wird in der Studie, dass die Bundesländer ihre rechtlichen Möglichkeiten für mehr Gleichstellung hinsichtlich der sexuellen Orientierung nicht ausschöpfen würden. Als positive Ausnahme wird hier das Landesantidiskriminierungsgesetz in Berlin genannt.
Im europäischen Vergleich wird die LGBTI+ Inklusivität in Deutschland als vorwiegend überdurchschnittlich eingestuft, anders als noch vor wenigen Jahren. Dies verstärkt sich, wenn aktuelle Daten für das Jahr 2021 einbezogen werden. Der LGBTI+ Anteil in der deutschen Bevölkerung ist der Studie zufolge nur schwer genau bestimmbar. Verwiesen wird auf eine Ipsos-Studie aus dem Jahr 2021, die von 14 Prozent der Bevölkerung ausgeht, die sich selbst als nicht ausschließlich heterosexuell einstufen (elf Prozent) oder deren eigene Geschlechtszuordnung nicht mit der in ihrem Geburtsregister eingetragenen übereinstimmt (drei Prozent). Diese Zahlen decken sich in einigen Altersgruppen mit denen der aktuellen Gallup-Befragung aus den USA:
Jede*r Fünfte der sogenannten Generation Z bezeichnet sich dort inzwischen als nicht heterosexuell.
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*ck/AFP/bk/pw