Depressionen, Angstzustände und Drogenmissbrauch: Die schwule Community gilt als einer der Gruppen mit dem höchsten Risiko, psychische Störungen zu entwickeln. Viele Wissenschaftler gingen jahrzehntelang fälschlicherweise davon aus, dass Homosexuelle von Natur aus pathologisch sind. Eine im Januar 2020 veröffentlichte Studie hat erforscht, inwiefern wir uns selbst gegenseitig krank machen.
Die im Journal of Personality and Social Psychology veröffentlichte Studie wurde über einen Zeitraum von fünf Jahren mit repräsentativen Stichproben von Teilnehmern aus den USA durchgeführt. Sie gilt als die bedeutendste ihrer Art zur Untersuchung von Stressfaktoren in der Community bei schwulen und bisexuellen Männern. Der US-amerikanische Blog THEM sprach mit dem Studienleiter John Pachankis, Professor für öffentliche Gesundheit und Direktor der LGBTQ Mental Health Initiative an der Yale University.
Was sind die größten Stressfaktoren?
In dem Interview schildert Pachankis, dass sich die Stressfaktoren in vier Typen einteilen lassen:
- Stress im Zusammenhang mit der Wahrnehmung, dass sich die schwule Community auf Kosten langfristiger Beziehungen oder Freundschaften zu sehr auf Sex konzentriert.
- Stress, weil die Teilnehmer finden, dass die Schwulengemeinschaft zu sehr auf statusbezogene Belange wie Männlichkeit, Attraktivität und Wohlstand fokussiert ist.
- Stress, weil die Wahrnehmung besteht, dass die Schwulengemeinschaft übermäßig viel Konkurrenzverhalten an den Tag legt und einen allgemeinen sozialen Wettbewerb aufrechterhält.
- Stress, weil die schwule Gemeinschaft die Vielfalt, einschließlich der ethnischen Vielfalt und der Altersvielfalt, ausschließt und schwule Männer mit HIV diskriminiert.
John Pachankis arbeitet international mit anderen Forschern, um herauszufinden warum LGBTQI* einem erhöhten Risiko für psychische Gesundheitsprobleme ausgesetzt sind. Richard Bränström vom schwedischen Karolinska Institut erklärt hier Grundlagen und Vorgehensweise einer aktuelleren Studie.
Wer leidet am meisten?
Die Studie ergab, dass jeder dieser Stressfaktoren mit Depressionen und Angstzuständen verbunden ist. Wie stark Einzelpersonen darunter leiden, hängt jedoch auch damit zusammen, in welche statusbasierte Hackordnung sie fallen.
Auf die Frage, welche Gruppen überproportional betroffen waren, antwortet John Pachankis, dass im Großen und Ganzen farbige Männer diesen Stress in der Schwulengemeinschaft eher wahrnahmen.
Zudem waren alleinstehende Männer davon häufiger betroffen, ebenso Männer, die sich als weiblicher bezeichneten. Männer mit weniger sozioökonomischen Ressourcen spüren den Druck auch stärker, genau wie Männer, die sich nicht besonders attraktiv fühlten.
Interessanterweise konnte beobachtet werden, dass jüngere Männer im Vergleich zu älteren Männern stärker gestresst waren und dass bisexuelle Männer weniger wahrscheinlich unter dieser Art von Stress leiden.
Was kann man gegen den Stress unternehmen?
John Pachankis regt die Überlegung an, dass zu wenig Austausch zwischen den Generationen stattfindet. Es ist bekannt, dass ältere LGBTQI* eher alleine leben, was ein Risikofaktor für Depressionen ist. Und wir wissen auch, dass LGBTQI*-Jugendliche in den meisten Fällen nicht in Familien geboren werden, die selbst auch LGBTQI* sind, sodass sie von ihren Eltern kein Gefühl für diese Community, deren Normen oder Geschichte vermittelt bekommen.
Ein guter Weg also, diese Dinge zu erlernen, wäre ein regelmäßiger Austausch zwischen den Ältesten und den Jüngsten in unserer Gemeinschaft. Gleichzeitig würden Ältere wahrscheinlich vom Kontakt mit der jüngeren Generation profitieren.
Auch Rassismus kann dazu beitragen, dass viele Menschen in unserer Community psychische Krankheiten entwickeln. Hier erfährst du mehr darüber.