
Foto: Alamode Film
Dag Johan Haugerud, Filmszene
In den 1990er-Jahren begann Dag Johan Haugerud seine Karriere sowohl als Filmemacher wie auch als Schriftsteller. Doch erst seit dem vergangenen Jahr bekommt der Norweger die internationale Aufmerksamkeit, die er verdient. Bei der Berlinale, den Filmfestspielen in Venedig und letztens erneut bei der Berlinale feierten seine drei jüngsten Filme ihre Weltpremieren. Nun kommt die preisgekrönte Trilogie unter dem Titel „Oslo Stories“ zwischen Mitte April und Ende Mai in die deutschen Kinos. In „Liebe“ (ab 17.4.) geht es um eine heterosexuelle Ärztin und einen schwulen Pfleger, die auf ihre je eigene Weise unkonventionellen Beziehungsvorstellungen anhängen. In „Träume“ (ab 8.5.) verliebt sich eine Teenagerin in ihre Lehrerin. Und in „Sehnsucht“ (ab 22.5.) hinterfragen zwei Schornsteinfeger plötzlich ihre Identität als Hetero-Cis-Männer. Anlässlich dieser nur lose thematisch zusammenhängenden Filme trafen wir den 60-jährigen Haugerud in Berlin zum Interview.
Herr Haugerud, drei lose zusammenhängende Filme, die innerhalb eines Jahres bei Filmfestivals Premiere feiern und dann in kurzem zeitlichen Abstand als „Oslo Stories“ in die Kinos kommen – wie kam es zu diesem anspruchsvollen Projekt? Den Anfang nahm eigentlich alles mit der Geschichte, die nun im Deutschen den Titel „Sehnsucht“ trägt. Die war zunächst als mittellanger Film von einer knappen Stunde gedacht, doch so etwas wollte leider niemand finanzieren. Also fing ich im Gegenteil an, größer zu denken, und hatte Lust, über Liebe, Sex und Sehnsucht aus verschiedenen Perspektiven nachzudenken. Außerdem hatte ich verschiedene Schauspieler*innen im Sinn, mit denen ich arbeiten wollte. Denen schrieb ich ihre Figuren dann auf den Leib.
In allen drei Filmen geht es um ein Begehren abseits von Monogamie, Heteronormativität und gesellschaftlichem Status quo. Warum ist Ihnen das so wichtig? Mir ist es einfach ein Anliegen, Queerness und all die von Ihnen angesprochenen Dinge auf eine Weise zu zeigen, wo es nicht ums Problematisieren geht. Die Selbstverständlichkeit von queerem Leben in einer Hetero-Mehrheitsgesellschaft ist etwas, das ich darstellen wollte, ohne – wie sonst meist üblich – von Coming-outs, Homophobie und Ähnlichem zu erzählen. Gerade in Zeiten, in denen alle liberalen Fortschritte der vergangenen fünfzig Jahre, angefangen mit den Errungenschaften der Frauenbewegung, zerbrechlicher denn je erscheinen.
Lassen Sie sich auch von Ihrem eigenen Leben zu diesen Geschichten inspirieren?Sie meinen, weil ich selbst ein queerer Mann bin? Nicht wirklich. Die Gedanken, Ideen und Biografien anderer Leute finde ich meistens sehr viel interessanter als meine eigenen. Außerdem finde ich immer enorm viel Inspiration in Büchern, die ich lese.
Für „Träume“ gewannen Sie in diesem Jahr auf der Berlinale den Goldenen Bären. Was reizte Sie daran, von einer Jugendlichen zu erzählen, die sich in ihre Lehrerin verliebt? Zu den Schauspieler*innen, die ich von Anfang an für diese Filme im Sinn hatte, gehörte auch Ella Øverbye, mit der ich schon einmal gearbeitet hatte. Damals war sie noch ein Kind, elf Jahre alt, und ich wollte nun herausfinden, wie sie sich als Schauspielerin weiterentwickelt hat. Und da es in der Trilogie nun einmal um Liebe und Sexualität geht, erschien es nur logisch, in „Träume“ von den ersten großen Gefühlen zu erzählen, die man als Teenager empfindet. Also fing ich an, mich an meine eigenen Erfahrungen damit zu erinnern.
Aha, also fließt eben doch das Persönliche in Ihre Filme ein! Ja, klar, aber nicht als hauptsächliche Inspiration. Eher zu Recherchezwecken, um es mal so auszudrücken. Zur Unterfütterung. Natürlich erinnere ich mich daran, wie ich mich das erste Mal verliebt habe und wie ich meine Queerness entdeckt habe. In beiden Punkten wusste ich vermutlich nicht auf Anhieb genau, was diese Gefühle bedeuten. Aber sie waren unglaublich stark; so stark, wie sie wohl nur in diesem jungen Alter sein können, wenn man noch ganz unschuldig ist, aber spürt, dass eben diese Unschuld wohl gerade emotional zu einem Ende kommt. Ich weiß noch gut, wie sich das anfühlte. Und manchmal vermisse ich das sogar.
Haben Sie denn den Eindruck, dass Kids heutzutage ihre Gefühle und ihre Identität noch auf die gleiche Art und Weise entdecken, wie Sie das damals getan haben?Natürlich ist heutzutage vieles anders, wenn man jung ist. In vieler Hinsicht sind Teenager heute sicherlich ein wenig reifer, als wir es damals waren. Und gerade in Sachen Queerness hat sich ja einiges geändert: Für die Protagonistin in „Träume“ und viele andere Jugendliche in einer Gesellschaft wie der norwegischen wäre ein Coming-out wohl einigermaßen undramatisch. Trotzdem denke ich, dass die eigentlichen Gefühle immer die gleichen sind, auch ganz unabhängig davon, ob man heterosexuell oder queer ist. Bei all der Aufregung und dem Schmerz, den man in dem Alter bei der ersten Liebe empfindet, merkt man in der Regel gar nicht, dass all diese Gefühle weniger mit dem Gegenüber zu tun haben als mit einem selbst. Man kreist in der Jugend unglaublich um sich selbst, und es geht mehr um das Verliebtsein selbst als um eine konkrete Person.
Der deutsche Obertitel der Trilogie deutet es an: Neben den Figuren spielt auch Oslo als Stadt eine zentrale Rolle in diesen Geschichten. Warum? Ich stamme selbst ursprünglich gar nicht aus Oslo, sondern aus einer Stadt, die rund anderthalb Stunden entfernt ist. Aber als ich jung war, kamen wir immer wieder nach Oslo, nicht zuletzt zum Rathaus, das nun in den Filmen auch sehr präsent ist. Für mich ist gerade dieses Gebäude das Herz von Oslo, und wenn ich es sehe, spüre ich ein Gefühl von zu Hause. Mein Blick darauf ist nun bewusst ein nostalgisch geprägter, denn Oslo hat sich seit meiner Jugend enorm verändert.
Apropos nostalgisch: In „Träume“ gibt es eine wunderbare Szene, in der die Mutter und Großmutter der Protagonistin darüber diskutieren, wie die eine in den 1980ern „Flashdance“ für ein feministisches Meisterwerk hielt und die andere den Film als frauenfeindlichen Mist verurteilte. Wo gab es in Ihrer Jugend den größten Generationskonflikt in Sachen Popkultur? Bei meinen Eltern und mir ging es weniger um „Flashdance“. Aber solche Diskussionen kennt allgemein wahrscheinlich jeder, oder? Als Jugendlicher liebt man irgendetwas, doch die Eltern wollen es einem madigmachen, weil sie es für zu kommerziell, banal oder sonst irgendwie schlecht halten. Bei uns drehte sich dieser Konflikt um ABBA. Meine Eltern hassten die Band, aber ich liebte sie. Und tue es noch!
*Interview: Patrick Heidmann