Foto: J. Rossi
Blue
Zum 20-jährigen Jubiläum zeigt die englische Boyband, dass unvermindert mit ihr zu rechnen ist und veröffentlicht das starke neue Album „Heart & Soul“.
Insbesondere in zwei Situationen, so erzählt Antony Costa via Zoom, merke er doch recht nachdrücklich, dass er eben keine 21 mehr ist – sondern 41. „Wenn ich mit meinen Kindern um die Wette renne, sehe ich regelmäßig ihre Hacken“, plaudert der – wie alle Blue-Boys – in London lebende Costa aus dem Familienleben. Der Nachwuchs sei acht und fünf Jahre alt, unermüdlich und „eine erstklassige Alternative zum Fitnessstudio.“ Wirklich angesetzt hat der Sänger, soweit man das am Bildschirm begutachten kann, natürlich nicht, Costa wirkt fit und bestätigt auf Nachfrage, dass, soweit er das beurteilen könne „alle Knochen und Körperfunktionen in Schuss seien“. Seines Alters werde er zudem gewahr, wann immer er Musik höre. Während der Nachwuchs längst flüssig in der Streaming-Welt unterwegs sei (und bevorzugt Ariane Grande konsumiere), suche Costa immer noch gerne eine Einrichtung namens „Plattenlade“ auf, um dort CDs zu kaufen. „Ich liebe es einfach, meine Musik in der Hand zu halten“, so Antony. „Ich komme noch aus einer Ära, in der wir Kassetten vor – und zurückspulten, um unsere Lieblingslieder zu hören. Wenn ich ehrlich bin, vermisse ich das ein bisschen. Doch es ist klar, dass auch uns nichts anderes übrigbleibt, als uns um Streaming- und Social-Media-Plattformen zu kümmern. Es ist nervig, aber wir müssen mit der Zeit gehen.“ Anpassungsfähiger ist der Sänger, was die Blue-Mitgliedschaft als solche angeht. „Champagner und wilde Partys waren anfangs geil, aber sind uns heute total unwichtig. Letzen Endes ist Blue für uns der Job, den wir machen, um unsere Familien zu ernähren und unsere Häuser abzubezahlen.“
Die Zeit als solche ist halt nicht stehengeblieben. Antony Costa, Simon Webbe, Duncan James und Lee Ryan sind inzwischen alle um die 40 und Väter. Duncan outete sich 2009 als bisexuell und 2012 als schwul und lebt mit einem Mann zusammen. Im Nachhinein, so sagte er, bereue er es, nicht schon viel früher mit offenen Karten gespielt und seine Homosexualität so lange geheim gehalten zu haben. Grund sei die Angst gewesen, ein queerer Boygroup-Sänger könne die Karriere der ganzen Band torpedieren. „Vieles hat sich in den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren geändert und aus heutiger Sicht können wir sagen, dass die Befürchtungen unbegründet waren“, sagt Costa. „Wir haben Duncan immer unterstützt und könnten nicht stolzer auf ihn sein.“
Der durchaus knifflige Spagat zwischen Nostalgie und Spagat gelingt der Band auf dem neuen Studioalbum „Heart & Soul“ ausgezeichnet. Natürlich sind die vier längst nicht mehr jene Jünglinge wie zu Anfang der Karriere im Jahr 2001, als sie gewissermaßen als britischer Gegenentwurf zu den US-Weltstars Backstreet Boys und NSYNC sowie zur irischen Konkurrenz von Westlife ins Leben gerufen wurden. Auch die Teilnahme am ESC, als Blue in Düsseldorf Platz Elf belegte, liegt schon wieder elf Jahre zurück. Aber qualitativ steht die neue Musik den frühen Superhits „All Rise“ oder „Too Close“ sicher nicht nach. Was sie auf ihrem coronabedingt um ein Jahr verspäteten Jubiläumswerk zum 20-jährigen Dienstjubiläum veranstalten, ist aller Ehren wert. „Haven’t Found You Yet“ steht mit seiner melodischen Gefälligkeit den großen Erfolgen ebenso wenig nach wie das extrem Dance-orientierte Titelstück oder das schwungvolle „Dance With Me“, eine Neuaufnahme des R&B-Hits der Band 112. Besonders auffällig sind die die akustische Ballade „Stop“ sowie das mehr als nur leicht unanständige Sexy-Nummer „Man Do“, die sich unverkennbar vor Prince verbeugt. „Wir sind erwachsene Männer, die Geschlechtsverkehr haben“, kommentiert Costa mit einem Lächeln. *Interview: Steffen Rüth