Ganze vier Jahre war es still um Marina Diamandis, nur erfolgreiche Kollaborationen mit Clean Bandit durchbrachen die fast laut wirkende Stille um die Kreative mit der auffällig variablen Stimme und den extravaganten Videos und Performances. Jetzt erscheint mit „Love + Fear“ dafür gleich ein ganzes Doppelalbum. Wir trafen die 33-jährige Waliserin mit griechischen Wurzeln in Berlin.
Viele deutsche Schwule sind durch deinen Auftritt in der Fashion Night von Michael Michalsky auf dich aufmerksam geworden. Wie wichtig ist Mode für deine Kunst?
Design, speziell Modedesign, ist sehr wichtig. Ich denke, Mode ist aber auch verfänglich: Oft liegt unser Fokus bei der Bewertung von Star-Designern viel mehr auf ihrem gesellschaftlichen Status als auf der Kunst, die sie kreieren. Brillante Kunst, die unsere Welt so sehr bereichert und einen so großen Einfluss hat. Als Künstlerin ist Mode für mich deswegen sehr wichtig, weil sie mir die Möglichkeit eröffnet, mich dem Publikum immer wieder neu zu präsentieren, meine eigene Kunst, die Musik, visuell auszudrücken.
Ich frage das wegen der Bildsprache im Video zu „Handmade Heaven“. Wer hatte die Idee?
Ich wusste vorher nicht, dass ich Rot tragen werde. Ich wusste, dass wir in einer verschneiten Landschaft drehen würden. Es war tatsächlich Minus 17 Grad Celsius kalt. Also habe ich meinem Stylisten gesagt, er soll so viele warm haltende Mäntel wie möglich besorgen, und da war er: dieser rote, ikonische Mantel mit der riesigen Kapuze. Ich wusste sofort, dass der es sein sollte, weil er einfach unglaublich gut im Kontrast zur Landschaft steht. Er symbolisiert sozusagen die Idee eines „Handmade Heaven“, eines schützenden Rückzugsortes.
Marina zu Handmade Heaven:
„Wir leben in gewisser Weise in einer sehr unnatürlichen Welt – unser Gehirn versucht ständig, sich an viele soziale und technologische Veränderungen anzupassen, und ich denke, das kann viel Leid verursachen. So viele Menschen haben jetzt Angst, die natürliche Welt spielt in unserem Leben eine geringere Rolle. Deshalb ist dieser Song für mich wichtig. Es geht um die Traurigkeit, sich von der Natur getrennt zu fühlen. Handmade Heaven ist ein imaginiertes Paradies. In dem Song geht es auch um eine Verbindung mit Menschen, die auf der gleichen Wellenlänge liegen wie du – und wie besonders das sich anfühlt, wenn das passiert.“
Denkst du schon beim Texten daran, wie du einen Song später präsentierst?
Nein, ich habe normalerweise eine Textzeile oder einen Titel im Kopf. Die reifen dann rund einen Monat in meinem Kopf, bevor ich mich hinsetze und den Text schreibe. Die Melodie entwickle ich erst mit dem fertigen Text am Klavier.
Du hast diesmal wieder mit verschiedenen Produzenten und Songwritern gearbeitet. Warum?
Weil ich beim letzten Album alle Songs alleine geschrieben und nur mit einem Produzenten gearbeitet habe. Ich wollte diesmal offener und fließender herangehen und habe mit Leuten gearbeitet, die ich schon sehr lange kenne oder mit denen ich immer schon gerne arbeiten wollte.
Marina zu To Be Human:
„Das für mich wahrscheinlich wichtigste Lied auf dieser Platte, weil es thematisch die Gedankenwelt zusammenfasst, aus der ich in den letzten drei Jahren gekommen bin. ... Als ich es schrieb, wollte ich dieses Bild der Menschheit, von Humanismus erschaffen, denn in unserem politischen Klima werden wir ständig dazu gebracht, andere Menschen als „andere“ zu sehen. Wenn du aus einer anderen Kultur stammst, wirst du als anders und potenziell gefährlich empfunden und ich hasse das wirklich. Ich denke, dass ist eine traurige Art, die Menschheit zu sehen. Also habe ich diesen beim Schreiben sehr viel darüber nachgedacht und deshalb ist er auch ein Kernstück des Albums."
Und trotzdem klingt das Album viel mehr „aus einem Guss“ als die vorhergehenden ...
Ich weiß. Ist das nicht echt verrückt?
Ja – wie erklärst du dir das?
Ich bin recht spezifisch, wenn ich mit Menschen zusammenarbeite. Ich weiß, wie ich mir meine Songs vorstelle. Und ich habe allen am Anfang gesagt, dass ich mir das Album weit und mit bestimmten Beats vorstelle. Das war meine Richtungsvorgabe. Vielleicht hat das ja ausgereicht.
Wie bist du auf die Psychologin Elisabeth Kübler-Ross gekommen?
Ich habe ihre Theorie in einem Buch gelesen. Ich glaube, es war ein Buch über Meditation. Ich fand den Gedanken damals schon sehr spannend, dass alle menschlichen Emotionen aus den Gefühlszuständen Angst und Liebe entstehen. Als ich vor ein paar Monaten 16 fertige Songs vor mir hatte, viel zu viele für ein einzelnes Album, erinnerte ich mich an die Theorie und hab auch noch mal einiges von ihr gelesen. Es war auf einmal sehr einfach und fühlte sich dazu auch noch ganz natürlich an, die Songs nach diesem Schema aufzuteilen und gleichzeitig einen Titel für das Doppelalbum gefunden zu haben.
Was wird sich nach deiner Auszeit verändern, wenn du auf Tour gehst?
Der Antrieb ist ein anderer. Es ist wohl Teil des Heranwachsens, dass Dinge wie bei möglichst vielen beliebt zu sein, zu gefallen, weniger wichtig werden. Ich möchte auf den Konzerten einen Raum schaffen, Raum für die Emotionen, die jeder Einzelne mit den Songs verbindet. Das Verhältnis zwischen Künstler und Publikum ist ja immer ein gegenseitiges und ich bin sehr gespannt auf die Reaktionen. Ich glaube, wir sind im November in Deutschland auf Tour.
*Interview: Christian Knuth
Ein Artikel aus den Mai-Ausgaben. Alle Hefte kostenlos unter epaper.blu.fm.