Wir haben Deutschlands einzigen offen schwulen Profifußballer ein Jahr nach seinem öffentlichen Coming-out getroffen.
DU HAST DEN SCHRITT GEWAGT, DICH ALS PERSÖNLICHKEIT DES ÖFFENTLICHEN LEBENS ZU OUTEN. BEREUST DU ES HEUTE ODER STEHST DU NOCH VOLL UND GANZ DAHINTER?
Ich bereue es überhaupt nicht. Es war der richtige Schritt und der Zeitpunkt war gut gewählt. Das liegt jetzt ein Jahr zurück und mein Leben ist seither wunderbar.
WÜRDEST DU EINEM AKTIVEN FUSSBALLSPIELER, JEMANDEM, DER IN DER BUNDESLIGA SPIELT, EMPFEHLEN, SICH ZU OUTEN – ODER RICHTEST DU DICH EHER AN DIE JÜNGEREN, NEUEREN FUSSBALLSPIELER, DAMIT DIE NACHWUCHSSPIELER NICHT VON ANFANG AN MIT EINER LÜGE LEBEN MÜSSEN?
Es gibt keine bestimmte Zielgruppe. Im Prinzip spreche ich alle an und möchte Menschen Mut machen, die in derselben Situation sind und nicht wissen, ob sie sich outen sollen. Ich kann von meinem Leben sagen, dass das Outing der richtige Schritt für mich war. Aber ich kann dem Einzelnen nicht empfehlen, sich zu outen, wenn ich die Person nicht kenne. Man muss das genau abwägen, sich mit Freunden und Familie zusammensetzen, die Verständnis aufbringen. Man muss sich dabei wohlfühlen und nicht auf Druck hin outen. – Das würde ich niemandem empfehlen.
WIE WAR ES BEI DIR, HAT DICH DEINE FAMILIE UNTERSTÜTZT?
Ich habe mich Stück für Stück vorgearbeitet. Ich habe sechs ältere Geschwister und habe mit meinem Bruder gesprochen, weil ich gedacht habe, er wird mich verstehen. So konnte ich testen, wie die Familie reagiert. Und jeder in der Familie hat gut reagiert. Leider kenne ich auch Geschichten, wo sich Menschen nicht getraut haben oder die Eltern schlecht reagiert haben. Das sind Fälle, die sehr schade sind, aber vorkommen. Für mich war es wichtig, dass meine Familie Verständnis aufbringt und gesagt hat, dass sie mit mir „durch die Sache durchgeht“ – auch wenn ich an die Öffentlichkeit gehe. Das war wunderbar.
WELCHEN ABLAUF HATTE DEIN OUTING?
Das lief phasenweise ab. Vor drei oder vier Jahren habe ich mit meinem Bruder gesprochen. Dann mit Freunden. Stück für Stück. So habe ich mich vorgetastet bis zu meinem öffentlichen Coming-out im Januar 2014.
HAST DU EINE EMPFEHLUNG, WIE MAN SICH AUFS COMING-OUT VORBEREITEN KANN?
Leider habe ich kein Geheimrezept. Aber mir hat es gutgetan, mit Leuten zu sprechen, besonders mit meiner Familie, zu der ich ein gutes Verhältnis habe und zu denen ich Vertrauen habe. Es ist tragisch, wenn man solche Bezugspersonen nicht hat und nicht offen schwul leben kann. Deshalb versuche ich oft, mit Betroffenen zu sprechen, zum Beispiel Eltern, die nicht wissen, wie sie mit ihren Kindern sprechen sollen, wenn sie das Gefühl haben, ihr Kind könnte homosexuell sein. Ich bin froh, dass ich hier einen Beitrag leisten kann.
DU HAST VIELE ANFEINDUNGEN PER MAIL BEKOMMEN. LACHST DU DARÜBER ODER GEHT DIR DAS NAH?
Solche Mails lese ich, denke kurz darüber nach, und meistens lösche ich es, da es für mich keine Rolle spielt. Natürlich bin ich offen für Kritik, aber wenn ich darüber nachdenke, was ich getan habe, dann trifft mich solche Kritik nicht. Aber darüber zu lachen wäre verkehrt. Allerdings war kein Kritikpunkt dabei, der mich wirklich getroffen hat. Bevor ich an die Öffentlichkeit gegangen bin, habe ich überlegt, warum ich es tue und was als Kritik kommen könnte. Alles was im Nachhinein gekommen ist, konnte ich gut verkraften. Auch durch die Erfahrung als Fußballprofi konnte ich die Kritik später gut verkraften.
ALS AKTIVER FUSSBALLSPIELER KÖNNTE MAN DIE ANGST HABEN, IM STADION NICHT GUT ANZUKOMMEN. HAST DU EINE DERARTIGE ERFAHRUNG GEMACHT?
Darüber kann man nur spekulieren. Ich habe von vielen Spielern, die offen schwul leben, gehört, dass es solche Probleme bei ihnen nicht gibt. Es gibt also viele positive Beispiele. In München gibt es einen schwulen Fußballklub. Hier berichtet man kaum über Vorfälle von Anfeindungen. Ausnahmen gibt es natürlich immer. Man darf aber nicht übertreiben: Es gibt viele Leute, die kein Problem mit Homosexualität haben. Im Profibereich muss man aber erst mal abwarten, ob sich jemand outet, der noch spielt.
STEPHAN RAAB HAT EINMAL DIE FUSSBALL-WM DER SCHWULEN KOMMENTIERT UND SICH ÜBER DIE ATTITÜDEN DER SPIELER LUSTIG GEMACHT. WIE FINDEST DU SO WAS?
Ich habe es nicht gesehen – es ist für mich schwer, darüber etwas zu sagen. Es gibt Stereotype, aber es gibt auch viele Schwule, die sagen: „Ich bin schwul. Man sieht es mir nicht an. Aber ich stehe auf Männer.“ Sich über Schwule lustig zu machen, finde ich nicht witzig. Leider gibt es immer noch Diskriminierung, und dagegen muss man ankämpfen.
SCHOTTEST DU DEIN PRIVATLEBEN AB ODER WILLST DU SPÄTER AUCH DAMIT AN DIE ÖFFENTLICHKEIT?
Das weiß ich noch nicht. Alles was jetzt passiert, lasse ich weiterlaufen. Ich habe einen großen Schritt gewagt, über Homosexualität im Profisport zu sprechen. Aber es besteht keine Notwendigkeit, im Moment noch mehr über mein Privatleben preiszugeben.
WARST DU JEMALS OPFER VON MOBBING ODER SHITSTORMS? WAS EMPFIEHLST DU OPFERN VON DISKRIMINIERUNG?
Ich war Gott sei Dank nie Opfer von Mobbing oder Ausgrenzung. Leute, denen das widerfährt, sollten sich mit Freunden zusammentun und sich Hilfe suchen. Zusammen ist man viel stärker. Man darf es nicht in sich reinfressen, sondern muss sich Unterstützung suchen!
*Interview: Martin Römhild