
Foto: Alora Griffiths, unspalsh.com, gemeinfrei
Weniger geht nicht? Männliches Schönheitsideal
Jung, schlank, muskulös, unbehaart, dynamisch – so sieht noch immer das gängige männliche Schönheitsideal aus, das in allen Medien propagiert wird. „Schön anzuschauen“, denken die einen, bei anderen löst die ständige Konfrontation mit „perfekten Körpern“ Selbstzweifel und Stress aus. Ein Gespräch mit Tim Nik, Heilpraktiker für Psychotherapie mit Schwerpunkt queere Sexualtherapie, über Körperkult in der queeren Community.
Grundsätzlich ist ja nichts dagegen einzuwenden, sich körperlich fit zu halten; wann aber kippt ein solches gesundes Körperbewusstsein in Körper-Stress um?
Ein gesundes Körperbewusstsein basiert darauf, sich um sich selbst zu kümmern, um sich wohlzufühlen – nicht, um einem äußeren Ideal zu entsprechen. Doch in der heutigen Zeit verschwimmen diese Grenzen oft. Wer mit Sport beginnt, weil es ihm gut tut, kann schnell in ein zwanghaftes Verhalten abrutschen, wenn die Motivation nicht mehr aus Selbstfürsorge, sondern aus Unsicherheiten kommt. Kritisch wird es, wenn das Training oder die Ernährung zur fixen Pflicht werden, wenn Schuldgefühle entstehen, weil man mal ein Workout auslässt, oder nicht „clean“ genug gegessen hat. Noch problematischer ist es, wenn sich das Selbstwertgefühl nur noch am eigenen Körper misst. Wer soziale Aktivitäten meidet, weil sie den Ernährungsplan oder das Training stören oder wer panische Angst vor Gewichtszunahme hat, steckt möglicherweise bereits in einer ungesunden Spirale. Ein weiterer Stress-Faktor ist der soziale Vergleich: Wenn man sich ständig darüber ärgert, dass der eigene Körper nicht so definiert oder schlank ist wie der von anderen, dann ist das ein Zeichen, dass sich ein ungesunder Druck aufbaut.
In einer Welt, die zunehmend Diversity thematisiert, fühlen sich trotzdem viele wertlos, wenn sie dem einen Körperbild nicht entsprechen. Ist das bei schwulen Männern ausgeprägter als bei heterosexuellen Männern?
Ja, in vielen Fällen ist der Druck innerhalb der schwulen Community größer als bei heterosexuellen Männern. Ein Grund dafür liegt in der Art und Weise, wie Begehren funktioniert:
In der schwulen und männlich-bisexuellen Welt sind Männer sowohl diejenigen, die bewerten, als auch diejenigen, die bewertet werden. Da männliches Begehren oft stark visuell geprägt ist, entsteht eine doppelte Fixierung auf das Äußere.
Während heterosexuelle Männer oft auch durch Status, Humor oder Selbstbewusstsein als attraktiv wahrgenommen werden, reduziert sich Anziehung in der schwulen Szene häufig auf das Körperliche. Wer diesem Ideal nicht entspricht, kann sich schnell unsichtbar oder nicht begehrenswert fühlen.
Auch die Darstellung in Medien trägt dazu bei: In Filmen, Social Media und Magazinen wird meist ein bestimmter Typ Mann als attraktiv inszeniert, während andere Körperbilder kaum repräsentiert sind. Dieser ständige Druck führt dazu, dass viele schwule Männer versuchen, sich durch intensives Training, strenge Diäten oder sogar chirurgische Eingriffe an das Ideal anzupassen. Doch oft ist dieser Kampf frustrierend, weil das Ideal unerreichbar bleibt.

Foto: Leandra Weber Photography
Tim Nik
Oftmals favorisiert man diese perfekten Körper als Ideal, obwohl man selbst dem Ideal nicht „zu genügen“ scheint. Wie bekommt man den Spagat hin? Kann man Bodypositivity lernen?
Ja, Bodypositivity kann man lernen, aber es ist ein Prozess und kein Endzustand. Der Versuch, zwischen unerreichbaren Schönheitsidealen und der eigenen Körperwahrnehmung zu balancieren, führt oft in eine Sackgasse.
Statt sich an den Idealen abzuarbeiten, wäre es sinnvoller, sie zu hinterfragen: Warum gelten bestimmte Körperformen als „perfekt“? Wie real sind diese Vorstellungen in Zeiten von Filtern und Bildbearbeitung? Warum messen wir unserem Äußeren so viel Bedeutung bei?
Wichtig ist auch, sich nicht unter Druck zu setzen, den eigenen Körper unbedingt lieben zu müssen, wie es oft im Kontext von Bodypositivity gefordert wird. Selbstakzeptanz bedeutet nicht, dass man jeden Tag in den Spiegel schaut und sich perfekt findet.
Ein entspannterer Ansatz ist Body Neutrality: den Körper nicht ständig zu bewerten, sondern ihn als funktionales Werkzeug zu sehen, das uns durchs Leben trägt. Letztlich geht es darum, den eigenen Körper wertzuschätzen, weil er uns Tag für Tag begleitet und vieles ermöglicht.
Welche Rolle spielen Dating-Apps und Social Media in diesem Zusammenhang?
Dating-Apps und Social Media sind gnadenlos, wenn es um Körperbilder geht: Innerhalb von Sekunden entscheidet ein Swipe, ob jemand „begehrenswert“ ist oder nicht. Noch problematischer sind explizite Ausschlusskriterien in Profilen wie „No Fats, No Fems“. Aussagen, die nicht nur abwertend sind, sondern auch eine klare Norm setzen, wer als attraktiv gilt und wer nicht. Auf Social Media ist der Druck ähnlich, weil wir ständig perfekt inszenierte Körper sehen, die uns suggerieren, dass nur eine bestimmte Art von Körper begehrenswert ist. Das beeinflusst das Unterbewusstsein, selbst wenn wir wissen, dass vieles bearbeitet oder gefiltert ist. Ein Ausweg kann sein, bewusst Accounts zu entfolgen, die uns schlecht fühlen lassen und gleichzeitig mehr Menschen zu folgen, die echte Vielfalt zeigen und Selbstbewusstsein ausstrahlen. Und sich immer wieder klarmachen: Likes und Matches bestimmen nicht den eigenen Wert. Wahre Attraktivität entsteht aus Selbstbewusstsein, Ausstrahlung und Authentizität. Im realen Leben.
Tim Nik, Privatpraxis für Psycho- und Sexualtherapie (nach Heilpraktikergesetz), Frankfurter Str. 39, Offenbach, www.praxis-nik.de