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IV_AHF-Aufmacher
Wir haben mit Anne Lind, der neuen Leiterin des Maincheck, sowie Jermaine Antoni, unter anderem Leiter des ehrenamtlichen Präventionsteams Love Rebels, über ihre Einschätzung der aktuellen STI-Situation gesprochen – und wie gute Beratung entspannteren Sex bringt.
Seit Jahren sinkt bundesweit die Zahl der HIV-Neuinfektionen, dafür steigen die Zahlen für andere STIs, besonders Syphilis, Chlamydien und Tripper. Könnt ihr das aus eurem Beratungsalltag bestätigen?
Anne: Wenn wir auf Chlamydien und Tripper schauen: Wir testen auf diese STIs seit 2022, und was wir da auf jeden Fall beobachten, ist, dass wir vor allem viel mehr testen. Wir hatten 2023 deutlich mehr Tests als 2022. Die Zahlen der Infektionen sind bei uns allerdings nicht angestiegen, prozentual sind die sogar ähnlich zu 2022. Bei dieser Frage muss man immer sehen, was wir uns genau anschauen und vergleichen. Wir haben bei uns zwar keine Zahlen für 2020 und 2021, aber dass die Infektionszahlen da niedriger waren, ergibt sich auch schon allein daraus, dass das die Pandemiejahre waren. Da haben die meisten Menschen wenig am gesellschaftlichen Leben teilgenommen und Sexualität wurde einfach weniger gelebt als in den letzten zwei Jahren.
Es ist ja eigentlich ein gutes Zeichen, dass trotz einer höheren Test-Quote die Anzahl der positiven Ergebnisse bei Chlamydien- und Tripper-Infektionen nicht gestiegen ist?
Anne: Ja, bei Chlamydien und Tripper ist das auf jeden Fall so. Wenn wir uns Syphilis anschauen, gibt es einen Anstieg der positiven Ergebnisse.
Grundsätzlich denke ich, dass das vermehrte Testen für unsere Arbeit spricht. Unsere Aufklärungsarbeit erreicht mehr Leute, die sich dann eventuell vermehrt testen lassen, ein größeres Bewusstsein haben und damit Infektionen einfach schneller gefunden werden. Die Love Rebels gehen zum Beispiel in die Szene, leisten Aufklärung vor Ort und schaffen Bewusstsein. Die Menschen lernen so den Maincheck kennen und gehen dann vielleicht zum Test oder denken darüber nach, wie sie sich schützen können. Dass das einfach viel besser funktioniert und dass wir mittlerweile einfach eine größere Bandbreite an Menschen erreichen, das ist eigentlich etwas sehr Positives!
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AnneLind
Anne Lind
Das Präventionsteam der AHF, die Love Rebels, gibt es noch?
Jermaine: Die Love Rebels sind immer noch unterwegs. Wir ziehen durch die Kneipen, wir sind auf Partys, wir haben eine Instagram-Präsenz, wir sind in der Szene zu finden und machen dort die Präventionsarbeit.
Es gibt seit Corona, und das merken wir ganz vielen Bereichen, so eine Müdigkeit, was das Ehrenamt angeht. Das heißt, auch unser Team ist ein bisschen kleiner geworden, und daher freuen wir uns auf jeden Fall über Zuwachs von allen, die Interesse haben, Informationen zur sexuellen Gesundheit, also Safer Sex und Safer Use, in die Szene und in die Community zu tragen.
Anne, kannst du etwas zur Entwicklung der HIV-Infektion sagen?
Anne: Die Zahlen der Neuinfektionen bei der Gruppe MSN (Männer, die Sex mit Männern haben, Anm.d.Red.) sind seit 2014 eigentlich rückläufig. Wir haben aktuell schon so ein bisschen beobachtet, dass die Zahlen der Neuinfektionen bei der Gruppe der Heterosexuellen zunehmen. Da kann man jetzt Vermutungen anstellen, warum das so ist. Es könnte sein, dass die die Präventionsarbeit im heterosexuellen Kreis vielleicht einfach noch nicht so angekommen ist. Da spielen aber sicherlich auch viele andere Faktoren eine Rolle. Aber das ist jetzt erstmal das, was wir grundlegend beobachten. In der Gruppe der MSM ist es prozentual gesehen weiterhin rückläufig.
Ich habe das Gefühl, dass die Präventionsmaßnahmen gut funktionieren, auch bei HIV und insbesondere bei der Gruppe MSM. Gerade in den Testberatungen ist mein Eindruck, dass das die Gruppe ist, die ziemlich gut aufgeklärt ist. Aufklärung an anderen Stellen wäre da noch mal wichtiger, weil es da noch nicht so viel Wissen gibt. Aber auch das ändert sich. Insgesamt ist gesamtgesellschaftlich einfach ein bisschen mehr Interesse nach sexueller Gesundheit da. Durch Social Media und Internet sind die Informationen natürlich auch leichter zugänglich. Da muss man natürlich immer schauen, wie zuverlässig die Quellen sind und wo ich mir die Infos hole, aber grundsätzlich ist es erstmal gut, Informationen zu HIV und allen anderen STIs zu haben.
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Maennerpaar
Ich habe ja so ein bisschen das Gefühl, dass die PrEP als HIV-Prävention das Gefühl vermittelt, man müsse sich jetzt weniger schützen; die PrEP schützt zwar vor HIV, aber zum Beispiel nicht vor Syphilis. Wiegen sich da viele in falscher Sicherheit?
Jermaine: Seitdem die PrEP von den Krankenkassen bezahlt wird, haben wir leider keine wirklichen Vergleichsergebnisse, weil das auch durch die Zeit von Corona geprägt war. Das ist der eine Punkt. Die PrEP ist natürlich ein sehr, sehr gutes Mittel, um sich vor HIV zu schützen. Das ist ja auch das, wofür sie da ist. In den Beratungen wird immer vermittelt, dass die PrEP nicht vor anderen STIs schützt. Fairerweise muss man sagen: Ein Kondom tut das auch nicht immer sicher. Das erklären wir auch immer. Es vermindert natürlich das Risiko, aber das Risiko ist trotzdem immer noch da. Vor allem, weil Kondome größtenteils bei penetrativen Verkehr verwendet werden, bei allen anderen Praktiken aber kaum eine Rolle spielen. Diese Praktiken sind aber genauso Übertragungswege für die bakteriellen Geschichten wie Syphilis, Chlamydien und Gonokokken. Ich finde, man muss da immer auch ein bisschen aufpassen mit dem Wording, dass man nicht allen PrEP-User*innen unterstellt, sie würden komplett sorglos mit ihrer sexuellen Gesundheit umgehen.
Wir geben alle Informationen und kommen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger und sagen, ihr müsst das jetzt so und so machen. HIV ist bei den Leuten auf jeden Fall das größere Thema, weil man das ein Leben lang mit sich trägt. Alles andere ist zum aktuellen Zeitpunkt sehr gut behandelbar.
Anne: Mein Eindruck aus den Beratungsgesprächen ist, dass die Menschen eher sehr erleichtert sind, wenn sie wissen, es gibt die PrEP, die vor HIV schützt. Das ermöglicht ihnen einfach ihre Sexualität noch ein bisschen freier auszuleben und nicht so verkopft zu sein, weil sie wissen, okay, ich kann mich vielleicht auch zusätzlich zum Kondom mit der PrEP schützen oder ich kann das Kondom ersetzen mit der PrEP. Das macht ja auch viel für die Leute aus, wie sie dann ihre Sexualität erleben. Und das ist ja auch das, wo wir auch hinwollen. Wir stellen Informationen zur Verfügung, damit die Leute ihre Sexualität gut und genussvoll ausleben können.
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JermaineAntoni
Jermaine Antoni
Letztes Jahr hat Christian Setzepfandt im Rahmen des Welt-AIDS-Tags etwas gesagt, was mich nachdenklich gemacht hat: Es gibt ganze Generation jetzt älterer Schwuler, die Aids noch anders miterlebt haben und Sexualität immer automatisch mit Krankheit verbunden haben. Wie sieht das nach euren Erfahrungen bei jüngeren Generationen aus?
Jermaine: Ich kann da ein bisschen aus meiner Perspektive sprechen. Ich bin in den 90ern geboren, also nach der Aids-Krise. Für mich persönlich war HIV trotzdem ein Thema. Ich hatte natürlich nicht diese krassen Bilder im Kopf, dass meine Freunde im Krankenhaus liegen oder potenziell wegsterben. Trotzdem hat für mich zu Sexualität auch immer das Thema HIV gehört – wenn man das Glück hat, eine gute Aufklärung zu bekommen. Und das finde ich auch eigentlich wieder einen positiven Nebeneffekt der PrEP, weil seit ihrer Einführung oder seitdem ich selbst die PrEP nehme, ist das auch für mich das erste Mal, dass HIV nicht automatisch im Kopf ist, wenn man an Sex denkt oder Sex hat.
Mpox (Affenpocken) poppte vor ein paar Jahren auf – spielt das heute noch eine Rolle?
Jermaine: Diese neue Präsenz im Jahr 2022 wurde dadurch bedingt, dass die WHO eine weltweite Notlage ausgerufen hatte. Nach Corona ging das Leben wieder los und dann war auf einmal Mpox da. Was das Infektionsgeschehen anbelangt, war das weit über 90%, vielleicht sogar zu 95%, also das meiste im Jahr 2022. Seitdem gab es tatsächlich nur noch einzelne Infektionen, weil die Maßnahmen, die damals ergriffen wurden, einfach sehr gut funktioniert haben. Das war hauptsächlich die Impfung zur Unterbrechung der Infektionsketten.
Spielt es bei euch noch eine Rolle in Beratungsgesprächen, also, ist Mpox zur Liste der STI-Beratung allgemein aufgenommen?
Jermaine: Die Love Rebels beraten auch zu Mpox, aber wenn wir in der Szene unterwegs sind, sprechen wir hauptsächlich über andere STIs. In der Szene ist das kein Riesenthema mehr.
Anna: Das würde ich so unterstreichen. Es kommt schon mal vor, dass nachgefragt wird, aber im Vergleich zu den anderen STIs ist das jetzt nicht so raumgreifend.
Wie kann man sich schützen?
Jermaine: Man kann bei sich selbst oder anderen einfach auf Hautveränderungen und die Symptome vom Mpox achten, und dann den Kontakt vermeiden oder zum Beispiel und keine Sextoys oder Handtücher teilen. Kondome können das Risiko ein bisschen mindern, gerade auch vor schmerzhaften Verläufen im Anal- und Genitalbereich, wenn man da den Kontakt hat. Aber es gibt keinen 100%igen Schutz den man ergreifen kann, wenn man Kontakt mit der Person hat, die Mpox hat. Das heißt theoretisch wäre es einfach, den Kontakt mit der Person zu vermeiden, das wäre die Schutzvariante, die am meisten wirkt. Mit einer Impfung kann ich mein Risiko am besten minimieren, aber auch sie bietet keinen 100%igen Schutz, aber wenn es dann zu einer Infektion kommt, kann der Verlauf auf jeden Fall abgemildert werden.
Infos zu den Beratungs- und Testangeboten der AIDS-Hilfe Frankfurt über maincheck.de
Infos zu den Love Rebels über www.frankfurt-aidshilfe.de/de/love-rebels-ehrenamt
Interview: Björn Berndt