Foto: LSVD Landesverband Hessen
LSVD Vorstand mit BV Alex
Alexander Vogt, Bundesvorstand LSVD, Julia Ostrowicki und Georgios Kazilas, Vorstand LSVD Hessen
Eine echte Konstante in der queer-politischen Arbeit ist der LSVD, der 1990 gegründete bundesweite Lesben- und Schwulenverband. Im März dieses Jahres wurde er in „LSVD+ – Verband Queere Vielfalt“ umbenannt, um den umfassenden Schutz der queeren Community auch in Namen widerzuspiegeln. Menschenrechte, Vielfalt und Respekt – der LSVD+ möchte, dass queere Menschen als selbstverständlicher Teil der gesellschaftlichen Normalität akzeptiert und anerkannt werden.
Dafür engagiert sich der LSVD+ mit verschiedenen Aktionen, Aufrufen, offenen Briefen und Diskussionsveranstaltungen auf verschiedenen Ebenen, denn der LSVD+ ist in allen Bundesländern mit Landesverbänden vertreten. Aktueller Fokus ist zum Beispiel die seit langen Jahren gestellte Forderung nach Ergänzung des Artikel 3, Absatz 3 Grundgesetz um die Begriffe „sexuelle und geschlechtliche Orientierung“. Unter dem Titel „Grundgesetz für alle“ haben sich verschiedene Organisationen engagiert; der LSVD+ gehört zu den Erstunterzeichnenden
Georgios Kazilas vom LSVD+ Landesverband Hessen sagt dazu: „Es ist erschütternd, dass selbst fast 80 Jahre nach der NS-Zeit queere Menschen als einzige Opfergruppe noch immer nicht explizit im Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes erwähnt werden. Als Hesse fällt es mir zudem schwer, zu begreifen, weshalb unser Landesparlament zögert, die Landesverfassung zu vervollständigen“.
Gemeinsam mit dem Freundeskreis Frankfurter Engel hat der LSVD+ im Mai zu einem historischen Spaziergang zu geschichtsträchtigen Orten der Homosexuellenverfolgung im Frankfurter Gallusviertel eingeladen, an dem rund 90 Gäste teilnahmen. Wir haben mit Georgios Kazilas vom LSVD Hessen über weitere aktuelle Projekte gesprochen.
Foto: LSVD Landesverband Hessen
„LSVD-EuroPride Thessaloniki“
ERMIS (LSVD) Delegation beim EuroPride Thessaloniki / Bild: LSVD
Georgios, der LSVD Hessen ist auf den unterschiedlichsten Veranstaltungen vertreten – aktuell wart ihr zum Beispiel auf den hessischen CSDs in Bad Homburg und Hanau vertreten und habt mit der 1998 gegründeten migrantischen LSVD-Gruppe ERMIS am EuroPride 2024 in Thessaloniki teilgenommen. Welche Stimmungen habt ihr bei diesen verschiedenen Veranstaltungen aufgefangen, bezogen auf die emanzipatorische Arbeit für queere Rechte?
Der LSVD setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, dass die deutsche Außen-, Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik gegenüber ihren Dialogpartner*innen in aller Welt deutlich artikuliert, dass Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität eine schwere Verletzung der universellen Menschenrechte ist. 2006 erhielt der LSVD mit Unterstützung der Bundesregierung und der Europäischen Union offiziellen Beraterstatus bei den Vereinten Nationen, gegen starken Widerstand der islamischen Länder, vieler afrikanischer Staaten und von Seiten des Vatikans.
Unsere Teilnahme mit einer von ERMIS organisierten Delegation an der EuroPride 2024 in Thessaloniki in Griechenland ist eingebettet in diesem Engagement. Obwohl bereits 1951 homosexuelle Beziehungen legalisiert wurden, ist die gesellschaftliche Situation, angefeuert von religiösen Eiferern und politischen Populisten mit ihrer menschenfeindlichen Rhetorik für queere Menschen in Hellas weiterhin schwierig; doch Fortschritt ist unaufhaltsam und kommt immerhin in kleinen Trippelschritten daher, dank dem unbeugsamen demokratischen Engagement der queeren Community und der stabilen EU Menschenrechtspolitik.
Rechtzeitig zum Valentinstag 2024 wurde Griechenland das erste und bisher einzige orthodox geprägte Land, das die Ehe geöffnet und Adoption ermöglicht, und das mit starker Leuchtwirkung auf seine Nachbarn im Norden und Osten und einer unüberhörbaren Nachricht der Hoffnung, dass Akzeptanz, Vielfalt und gesellschaftlicher Fortschritt möglich sind. Die konservative Regierung hat dies gegen den Widerstand des extrem rechten und extrem linken politischen Spektrums im Parlament mit großer Mehrheit durchgesetzt.
Der erste EuroPride in Griechenland bot den perfekten Rahmen, um diesen bedeutenden queerpolitischen Meilenstein adäquat zu feiern. Unsere ERMIS Delegation ist mittlerweile zurück mit grenzenloser Liebe im Herzen und berichtet vom umfangreichen kulturellen und queerpolitischen Begleitprogramm, von unvergesslichen Momenten voller Emotionen, Empowerment, Inspiration, Kraft und Leidenschaft.
In Hessen wird queere Vielfalt aktuell bei circa 15 CSDs gefeiert, dort tankt das LSVD Team Kraft und Liebe für seine queerpolitische Arbeit. Gerade außerhalb der großen Städte ist es notwendig, queeres Leben sichtbar zu machen und Akzeptanz einzufordern.
Dieses Anliegen unterstützen wir sehr gerne und priorisieren die kleineren CSDs, weil dort der Austausch mit den Menschen einfacher und ausführlicher gelingt und der emanzipatorische Fortschritt besonders sichtbar und erlebbar wird.
Wir informieren über alle LSVD+ -Initiativen und -Themenkomplexe: Lebensrealitäten queerer Menschen, Gesetzgebung, Schutz, Aufklärung und die Förderung der Demokratie und des gesellschaftlichen Miteinanders insbesondere angesichts des seit einigen Jahren wahrzunehmenden politischen Rechtsrucks in Europa, der damit einhergehenden gesellschaftlichen Verrohung und der laut Polizeistatistik spürbar ansteigenden queerfeindlichen Gewalt. Ich kann mich noch lebhaft an das befreiende Gefühl bei meiner ersten CSD Teilnahme in Frankfurt, Mitte der 90er erinnern; die Möglichkeit, diese Erfahrung zu machen, gerade für junge Menschen außerhalb der Metropolen, wollen wir mit aller Kraft fördern.
Foto: LSVD Landesverband Hessen
„LSVD-CSD Hanau“
LSVD Info Stand CSD Hanau / Bild: LSVD
Der Hessische Ministerpräsident Boris Rhein glänzt nicht gerade mit Queerfreundlichkeit: Das Verbot von Gendersprache in Ministerien und der Landesverwaltung oder Rheins Aussage zur seiner Meinung nach aktuellen „Überpräsenz von Minderheiten“, was wiederum die Zukunft des „Hessischen Aktionsplans für Akzeptanz und Vielfalt“ in Frage stellen könnte. Der LSVD+ hat sich zusammen mit anderen hessischen Gruppen engagiert. Was ist das Ziel eurer Aktionen – und gab es Feedback?
Der LSVD+ Hessen begleitet die Landtagswahlen traditionell mit unseren „Wahlprüfsteinen“ zur Queerpolitik der demokratischen Parteien und veröffentlicht auch die Antworten der Parteien zu konkreten politischen Forderungen.
Daraus hat sich 2018 erstmals eine Zusammenarbeit mit weiteren Stakeholdern in Hessen ergeben im Rahmen der Initiative „Hessen wählt queer“. Dort versammeln sich verschiedene Organisationen, die sich für Gleichberechtigung, sowie Akzeptanz und wirksamen Diskriminierungsschutz für queere Menschen in Hessen einsetzen. Traditionell begleiten wir nach den Landtagswahlen die tatsächliche Queerpolitik und stellen diese den vorherigen Ausführungen aus dem Wahlkampf gegenüber.
Letztes Jahr hat sich ein breit aufgestelltes Bündnis „Vielfalt für ein starkes Hessen“ zusammengefunden, um diesen Reality Check zu begleiten. Das Bündnis hat mit einem offenen Brief Stellung genommen zu bekannten aktuellen Entwicklungen. Als Teil des Bündnisses trägt der LSVD+ Hessen das formulierte Anliegen mit. Organisationen des Bündnisses sind auf verschiedenen Ebenen im Gespräch mit den Stakeholdern und wir hegen den Wunsch, dass der Hessische Landtag die bisher erfolgreiche Politik der Akzeptanz und Vielfalt trotz gelegentlich vernommener Misstöne fortführen wird.
Wir haben den Aktionsplan für Akzeptanz und Vielfalt – kurz APAV – von Anfang an begleitet, an allen Modulen mitgearbeitet, schwerpunktmäßig bei den Themen „Land als Arbeitgeber“ und „Migration“. Zuletzt hieß es von Seiten der hessischen Regierung, dass am APAV festgehalten wird, allerding eine „Evaluation“ vorgesehen ist. Immerhin wehten zum CSD Wiesbaden vor dem Hessischen Sozial-, dem Wissenschafts- und dem Wirtschaftsministerium symbolträchtig die Regenbogenfahnen. Symbole sind bedeutend, jedoch sind die Taten entscheidend.
Am Schicksal des APAV und an der Frage, ob sich der Landtag letztendlich dazu entschließen kann, den landesrechtlichen Diskriminierungsschutz gemäß Artikel 1 der Verfassung von Hessen zu vervollständigen, wird sich der Stellenwert zeigen, den unser Landesvater gleichen Bürgerrechten und gleichem Diskriminierungsschutz für queere Menschen in Hessen beimisst.
Den hessischen Landtagsabgeordneten rufe ich an dieser Stelle respektvoll zu: Sichtbarkeit braucht Sicherheit! Es ist wichtig, dass Menschen offen und sichtbar sein können, sei es in Bezug auf ihre Identität oder ihre Lebensweise, ohne dabei Angst vor Diskriminierung, Repressalien oder Gewalt haben zu müssen. Weder die Hessische Landesverfassung noch das Grundgesetz vermochten queere Menschen vor Kriminalisierung und Verfolgung aufgrund §175 vor der Abschaffung dieser strafrechtlichen Sondervorschrift im Jahr 1994 zu schützen.
Foto: LSVD Landesverband Hessen
„LSVD-CSD Bad Homburg“
LSVD Info Stand CSD Bad Homburg / Bild: LSVD
Der LSVD+ wird auch in diesem Jahr wieder auf dem CSD Frankfurt vertreten sein; was sind eure Themen?
Rhein-Main und die Stadt Frankfurt als ein Zentrum queeren Lebens in Hessen sind ein integraler Bestandteil der Arbeit des LSVD+ Hessen. Auf kommunaler Ebene gab es zuletzt ermutigenden Fortschritt in der Antidiskriminierungspolitik. Die Antidiskriminierungsbeauftragte der Stadt Offenbach hat März des Jahres ihre Arbeit aufgenommen. Seit November 2022 verfügt die Stadt Frankfurt über eine Stabsstelle Antidiskriminierung. Der LSVD+ Hessen hat sich an mehreren Programmen und Projekten der Stabsstelle Antidiskriminierung der Stadt Frankfurt beteiligt und wird diese weiter begleiten: Als Teil vom Koordinierungskreis LSBTIQ (Gewaltschutz, Sensibilisierung und Empowerment), beim Frankfurter Aktionsplan: Schutz, Akzeptanz und Vielfalt, bei der Entwicklung der „Charta der Demokratie” im Netzwerk Zivilgesellschaft Aktiv und vor kurzem erneut am zweiten Frankfurter Pride Month, unter anderem mit der Veranstaltung "Historischer Stolperstein Spaziergang im Gallus"
Beim CSD Frankfurt ist LSVD seit Jahrzenten mit einer Laufgruppe und manchmal mit einem Truck dabei, in früheren Jahren auch mit einem Info Pavillon. Dieses Jahr wird der LSVD+ gemeinsam mit DFB, DFL, DOSB, DSJ und weiteren Stakeholdern aus dem Sport unter der Leitung von Christian Rudolph zum Thema Team Out & Proud, TOP im Fußball am CSD Frankfurt mit einem Truck und einer Laufgruppe teilnehmen.
Jede dritte Hessin und Hesse ist Mitglied eines Sportvereins. Out im Sport ist ein wichtiges Thema, das eine große Alterspanne betrifft, von sehr jungen Menschen im Breitensport beziehungsweise Freizeitsport bis zu älteren Semestern im Leistungssport oder Berufssport.
Welcher psychische Druck auf queeren Menschen im Sport lastet, kann man zum Beispiel anhand der Ereignisse rund um die Kampagne „Sports Free" vom 17. Mai des Jahres lediglich erahnen. Der LSVD setzt sich seit Jahren kontinuierlich und vehement für queere Sichtbarkeit und Akzeptanz im Sport ein, zum Beispiel im Rahmen der „Sport Pride“ und im direkten Austausch mit Sportverbänden sowie Sportvereinen (2,2 Mio. Mitglieder in Sportvereinen zum 1. Januar 2024 laut Landessportbund Hessen).
In Frankfurt schließen wir uns parallel dazu mit einer zweiten Laufgruppe an, dem Rainbow Refugees Support Team der AHF, um auf das Thema queere Flucht und Migration aufmerksam zu machen, da es an dieser Stelle oftmals um exzessive Gewalterfahrung, existenzielle Fragen, Leben oder Tod geht.
Unser LSVD+ Bundesvorstand Philipp Braun hat seine Teilnahme avisiert. Es ist das Herz berührend, mitzuerleben, wenn queere Geflüchtete jeden Alters, die oftmals bereits in jungen Jahren Ausgrenzung, Unterdrückung, Hass und Gewalt, auch von Seiten der eigenen Familie aber auch auf der Flucht und manchmal sogar nach ihrer Ankunft in Deutschland erfahren haben, nicht zuletzt aus Ländern, die Gefängnisstrafen, ja sogar die Todesstrafe für queere Menschen gesetzlich vorsehen, sich emanzipieren, sich in unserer Gesellschaft mit unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung angenommen und angekommen fühlen und mit Dankbarkeit und queerem Selbstbewusstsein am Demonstrationszug teilnehmen.
Selbstverständlich werden wir auch darauf hinweisen, dass queere Menschen in vielen Ländern diskriminiert, in 70 Ländern kriminalisiert und in 12 Ländern mit der Todesstrafe bedroht werden. Allerdings müssen wir auch kritisch mahnen, dass wir auch in Deutschland noch einige Baustellen haben, nicht zuletzt die Ergänzung des Diskriminierungsschutzes des Artikel 3, Absatz 3 unseres Grundgesetzes. Queerfeindlicher Gewalt, staatlicher Diskriminierung und Repression ob in Deutschland, Europa und der Welt treten wir als LSVD+ entschieden entgegen.
Menschen, die sich für diese Themen einsetzen möchten, laden wir herzlichst ein sich der jeweiligen Laufgruppe des LSVD+ bei der CSD Frankfurt Demonstration anzuschließen und dem CSD Frankfurt 2024 Motto folgend „extrem liebevoll“ zu sein.