In einer Aufwallung von Eskapismus war ich vor den absehbaren Rohheiten des Bundestagswahlkampfs nach Neuseeland geflüchtet. Während in der Heimat das Vorprogramm zum demokratischen Hauptakt lief, streifte ich an den Antipoden tagelang durch mehr Wildnis, als mir manchmal lieb war. Noch mehr als die ursprüngliche Natur beeindruckte mich jedoch der Umgang der Menschen mit ihr. Sowohl die später zugewanderten Europäer, aber vor allem die Bio-Neuseeländer, also die Māori, achten, ehren und schützen ihre Umwelt beispielhaft.
Greenwashing
Vom Auto über Aktienfonds bis zur Partei trägt heute alles Mögliche die Labels Öko, Bio und Grün. Dabei hat sich der Mensch weiter von seinen natürlichen Zusammenhängen und Bedürfnissen entfernt als je zuvor. Befeuert durch die Erderwärmung, hat sich zudem die Auffassung verbreitet, der Mensch mit seinen irdischen Lebensinteressen sei nicht mehr Teil der Natur, sondern ihr Gegenteil. Die Entfremdung zeigt sich symptomatisch im vermeintlichen Engagement zur "Bewahrung der Schöpfung": Man muss nicht mehr todesmutig mit dem Schlauchboot zwischen Harpune und Wal manövrieren, um auf die Dringlichkeit von Umwelt- und Artenschutz aufmerksam zu machen. Es reicht, wenn man im Museum Suppe über ein Ölgemälde kippt.
Lebensreform 2.0
Als Reaktion auf die negativen Folgen der Industrialisierung für Gesundheit, Umwelt und soziale Strukturen entstanden Ende des 19. Jahrhunderts verschiedene lebensreformerische Strömungen wie Naturheilkunde, Vegetarismus, Freikörperkultur oder die ökologische Landwirtschaft. Jetzt, 150 Jahre später, stehen wir am schlecht schließenden Höllentor zum Zeitalter der künstlichen Intelligenz, das die industrielle Revolution einmal zum Purzelbaum degradieren wird. Ob und wie wir Menschen damit umgehen lernen werden, ist offen.

mit KI erstellt
Dabei liegen in einer Rückbesinnung auf ursprüngliche, natürliche Lebensgefüge große Chancen. Auch ohne KI verkümmert gelebte Sexualität schon jetzt, und die Wissenschaft verzeichnet ein Abstumpfen gegenüber realen Reizen sowie Frustration über das eigene Liebesleben durch ein grenzenloses Porno-Angebot im Netz. Gleichzeitig führt uns die verkopfte Ausdifferenzierung queerer Schubladen immer weiter von einem starken Selbstverständnis von Homosexualität und vielfältiger Geschlechtsidentität weg. Dabei sind es keine Erfindungen aus dem akademischen Elfenbeinturm, sondern natürliche Normvarianten des Menschen. Das wurde mir einmal mehr bewusst, als ich in Neuseeland lernte, wie verankert die Akzeptanz gegenüber sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in der Māori-Kultur ist: Takatāpui nennen sich dort die Menschen, die gleichgeschlechtlich lieben, während Whakawahine („wie eine Frau sein“) transfeminine Māori bezeichnet. Wenn beides seit Jahrhunderten am anderen Ende der Welt selbstverständlich ist, liegt der Verdacht nahe, dass es sich dabei nicht um einen westlichen Internet-Trend handelt, sondern um einen universellen Teil menschlicher Natur.