Landesweite Solidarität: Mord an schwulem Mann erschüttert Belgien

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Ein grausames Verbrechen erschüttert Belgien: Drei Jugendliche sollen den 42-jährigen David P. mithilfe einer schwulen Dating App in einen Park gelotst und ihn dort getötet haben. Das genaue Motiv sowie der Tathergang sind noch unklar. War es ein Hassverbrechen aus Schwulenhass? Politik und Queercommunity sind geschockt und suchen nach Antworten.

In den frühen Morgenstunden des vergangenen Sonntags wurde die Leiche von David P. (42) in einem Park in der Gemeinde Beveren, nahe der Hafenstadt Antwerpen, von einem Radfahrer entdeckt. Eine Autopsie ergab, dass der Mann Opfer eines Gewaltverbrechens wurde. Zu diesem Zeitpunkt war die politische Dimension des Falles noch nicht absehbar. Inzwischen ist bekannt: P. war schwul – und wurde womöglich auch deshalb ermordet

Die Ermittler gingen rasch davon aus, dass P. sich in dem abgelegenen Teil des Parks befand, weil er dort mit jemandem verabredet war. Wie die Zeitung Het Laatste Nieuws in Berufung auf interne Quellen bei der Polizei berichtet, hätten weitere Untersuchungen ergeben, dass das Opfer zuvor über eine schwule Dating App einer Verabredung zustimmte – und damit in eine Falle lief.

Der Zeitung zufolge geht die Polizei davon aus, dass die Tat mit zwei weiteren Fällen in Zusammenhang steht. In den letzten zwei Wochen hatten zwei Männer bei der Polizei Anzeige erstattet, nachdem sie zusammengeschlagen und ausgeraubt worden waren. Auch sie hatten kurz zuvor über dieselbe App ein Date ausgemacht. Beide Opfer gaben an, sie seien einer Bande zum Opfer gefallen, die es gezielt auf Homosexuelle abgesehen habe. 


Minderjährige Tatverdächtige stellen sich

Am Tag nach dem Mord an David P. gestand ein 17-Jähriger aus Antwerpen der Polizei, an der Tat beteiligt gewesen zu sein. Kurz darauf stellten sich auch ein 17-Jähriger aus Verrebroek und ein 16-Jähriger aus Kieldrecht. Alle drei sollen ihre Beteiligung am Tod des 42-Jährigen eingeräumt haben. Die drei nach belgischem Recht Minderjährigen wurden wegen Mordverdachts verhaftet und befinden sich derzeit in Untersuchungshaft, wie die Staatsanwaltschaft von Ostflandern am Montag mitteilte.

Allerdings: Obwohl belgische Medien wie die Zeitung The Brussels Times von einem „homophoben Hassverbrechen“ sprechen, ist dies noch nicht abschließend geklärt. Die Staatsanwaltschaft betont, die Polizei befände sich noch in der Anfangsphase der Ermittlungen. Ob die drei Jugendlichen eines homophoben Gewaltverbrechens beschuldigt werden, ist noch offen, sagte Justizsprecherin Annelies Verstraete. Falls es so kommt, gilt dies als erschwerender Umstand – ein Jugendrichter kann den Fall dann an ein Schwurgericht weiterleiten, obwohl die mutmaßlichen Täter minderjährig sind. 


Letzter Mord aus Schwulenhass liegt neun Jahre zurück

Sollte der Mord an P. als Hassverbrechen gelten, so ist es der erste Mord im Zusammenhang mit Homophobie in Belgien seit 2012. Ihsane Jarfi wurde am 22. April 2012 zuletzt gesehen, als er mit vier Männern eine Schwulenbar in der Stadt Lüttich verließ. Seine nackte Leiche wurde zwei Wochen später auf einem Feld gefunden. Er war zu Tode geprügelt worden.

Drei seiner Angreifer wurden zu lebenslanger Haft verurteilt, der vierte zu 30 Jahren. Der Fall war seit einer entsprechenden Gesetzesänderung 2003 der erste, bei dem Homophobie als erschwerender Faktor anerkannt wurde und zu einer höheren Strafe führte.


Belgiens Politik spricht bereits von Hassverbrechen

Das Verbrechen löste großes Entsetzen in ganz Belgien aus. Mehrere hochrangige Regierungsmitglieder meldeten sich zu Wort, darunter auch Europas erste offen trans* Ministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin der belgischen Regierung, Petra De Sutter. Sie setzte allerdings wie viele ihrer Kolleg*innen Schwulenhass als Motiv der Tat voraus.

Foto: Screenshot Vdeo Heinrich Böll Stiftung

„Abscheu. Kummer. Mitgefühl. Was treibt Menschen in ihrem Hass so weit, dass sie einen Mann töten, nur weil er Männer mag. Lasst uns diesen feigen Mord auf das Schärfste verurteilen. Und schaffen wir Homo- und Transphobie komplett ab, auch hier bei uns.“

Der belgische Premierminister Alexander De Croo sagte, er sei zutiefst schockiert über die homophobe Tat in Beveren. Am Dienstag ließ er als Reaktion auf das Verbrechen eine Regenbogenflagge vor seinem Büro hissen. Ein Video davon teilte er auf Twitter und schrieb dazu:

„In unserem Land gibt es keinen Platz für Hass. Die Liebe siegt.“

Auch die belgische Innenministerin Annelies Verlinden verurteilte das Verbrechen auf Twitter:

„In einer erwachsenen Gesellschaft gibt es keinen Platz für homophobe Gewalt. Die Ereignisse in #beveren sind völlig inakzeptabel. Mein Mitgefühl gilt der Familie und den Freunden des Opfers.“


Gefahren von Dating Apps

Die belgische Queercommunity ist natürlich besonders entsetzt über die Geschehnisse. Wim Raes, der Vorsitzende der in David P.s Heimatstadt Sint-Niklaas ansässigen LGBTQ-Gruppe Tiszo, sagte, die Organisation sei schockiert. Er äußerte sich gegenüber Het Laatste Nieuws:

„[David] war jemand, der immer bereit war, jedem zu helfen.“

Raes warnte aber auch vor den Gefahren des Kennenlernens von Menschen über Dating Apps. Der Mord unterstreiche diese erneut, so Raes. Es sei nicht das erste Mal, dass Schwule auf diese Weise Opfer von Gewalt würden. Er selbst warne seit Jahren vor den Gefahren, da viele Accounts gefälscht seien.


Anstieg von Gewalt gegen Queers

Belgien gilt als sehr liberales Land, Hauptstadt Brüssel als schwuler Hotspot in Europa. Der jüngste Bericht der Unia, einer unabhängigen Menschenrechtsinstitution Belgiens, rüttelt jedoch auf. Er berichtet von einem Anstieg von homophober verbaler und physischer Gewalt im Land um 38 Prozent – allein in den letzten fünf Jahren. In dem Bericht heißt es:

„Es ist klar, dass wir wachsam bleiben müssen, wenn wir über die Akzeptanz von LGBT+ Menschen sprechen. Es gibt nach wie vor eine Unterströmung von Negativität gegenüber LGBT+ Menschen.“

Foto: Romaine / CC0


Der LGBT+-Aktivist Laurent James (26) nutzte die öffentliche Aufmerksamkeit zu dem Fall, um in sozialen Medien einen Aufruf zu starten.

„Trotz der Gesetze und unseres Rufs als 'offenes und liberales' Land sind queere Menschen weiterhin einem enormen, unverhältnismäßigen Risiko von verbaler und physischer Gewalt ausgesetzt.“

James nahm die Politiker in die Pflicht, Hass auf und Gewalt gegen Queers durch Präventivmaßnahmen im Keim zu ersticken:

„Wir fordern die Staatssekretärin für Gleichstellung, Chancengleichheit und Vielfalt, Sarah Schlitz, und den Justizminister Vincent Van Quickenborne auf, diese Angriffe nicht nur scharf zu verurteilen, sondern künftige LGBT+ Gewalt zu verhindern.“

Die flämische Interessenvertretung für LGBT+ Menschen, Çavaria, hat inzwischen eine Zivilklage gestartet, um die Untersuchung der jüngsten Hassverbrechen genau zu verfolgen.

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