#Interview • Corny Littmann: „Das waren fast schockierende Erlebnisse: Es ist möglich, das Leben stillzulegen.“

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Am 1.9. jährte sich die Eröffnung des Schmidts Tivoli das 30. Mal. Und Dank Impfungen, Abstandsregeln und Hygienekonzepten sieht es so aus, als könne das mit der Wiederaufnahme der Erfolgsproduktion „Heiße Ecke“ mit dem Publikum gefeiert werden. Schon warmgelaufen hat sich Gründer und Ikone des Theaters, Corny Littmann. Denn er steht seit Juli und noch bis Oktober in „Die Schmidtparade“ auf der Bühne. hinnerk zoomte mit einem erleichtert und fröhlich wirkenden Corny über 30 Jahre Tivoli und weitaus ernster die Folgen der Pandemie und die Zukunft der queeren Emanzipationsbewegung.

Foto: Stefan Malzkorn

Wie habt ihr die Zwangspause erlebt und überlebt?

Also über die ganze Zeit betrachtet, war es ein Horror. Nicht nur für uns, sondern für alle Künstlerinnen und Künstler. Wem die Bühne verwehrt ist, der hat nichts anderes. Der hat kein Homeoffice. Streaming ist überhaupt kein Ersatz für Bühne und Publikum. Wir sind also ausgehungert gewesen, überhaupt mal wieder auftreten zu dürfen. Vor Menschen auftreten zu dürfen.

Es gab bei uns im Theater drei Phasen. Die erste Phase war „na ja, das wird schon wieder schnell vorbeigehen“. Das war so März, April, Mai, als es losging mit dem ersten Lockdown. Dann haben wir tatsächlich als erstes deutsches Theater am 2. Juli das Tivoli wieder eröffnet und auch bis in den Herbst hinein gespielt,  im September auch das Schmidt Theater geöffnet und dann kam im Oktober der erneute Lockdown.  In der ersten Zeit der Pandemie haben wir wochenweise die Spielpläne nach hinten verschoben. Wir haben gesagt, wenn das jetzt nicht im April stattfinden kann, dann findet es im Mai statt. Mit fortschreitender Dauer haben wir es aufgegeben, konkrete Pläne zu machen. Wir haben eigentlich nur noch einen Rahmen definiert, ohne große organisatorische Anstrengung, sondern mit dem Wissen, das es keiner weiß und wie uns drauf einstellen müssen.

Obwohl mich natürlich die Theater persönlich betreffen, ist das eigentlich Absurdeste für mich das, was sich außerhalb des Theaters abgespielt hat. Jeden Freitag- und Samstagabend – und ich wohne ja hier im Viertel – die Reeperbahn menschenleer zu sehen.

Du gehst um 23 Uhr an Wochenendabenden über die Reeperbahn und begegnest keinem Menschen. Zu einem Zeitpunkt, wo normalerweise Tausende flanieren. Das waren fast schockierende Erlebnisse: Es ist möglich, das Leben stillzulegen.

Das hat mich fast noch mehr berührt, als die geschlossenen Theater, wenn auch beides eng miteinander zusammenhängt. Am Anfang hatte man ja den Begriff Lockdown noch so ein bisschen belächelt und hat sich gesagt, „Ja gut. Ein paar Tage halt mal drin bleiben, ist auch okay.“ Aber das ...

Glaubst Du, sexuelle und geschlechtliche Minderheiten hatten es anders schwer, als die Mehrheitsgesellschaft?

Die Community, also die Szene war ja mit einem Schlag nicht mehr vorhanden. Das ist glaube ich für Homosexuelle gravierender als für Heterosexuelle, die natürlich alle möglichen Treffpunkte haben. Und ich glaube auch, dass gerade unter schwulen und unter alten Menschen im Übrigen auch die Vereinsamung in der Zeit zugenommen hat. Und zwar erheblich. Mit allen psychischen Folgen, die da dran hängen. Da sind die  Schwulen nicht in einer exklusiven Lage. Das betrifft alte Menschen, mit Sicherheit auch Behinderte. Menschen, die anders von Kommunikation leben. Das Internet und die Kommunikation übers Internet, ist wirklich nur ein sehr schwacher Ersatz.

Wenn du weißt, dass in Hamburg 50 Prozent der Haushalte Singlehaushalte sind, wenn man sich nur mal diese Zahl vor Augen führt – und das hat mit schwul erst mal nichts zu tun –, ja dann weißt du, wie Menschen in diesen Monaten bis anderthalb Jahren auch vereinsamt sind.

Ich will Dich später noch mal auf CSD und Fußball ansprechen, aber der eigentliche Grund unseres Gesprächs ist ja das Tivoli. Das zweite Theater, dessen 30. Geburtstag Du feiern kannst ...

... Ja, also das Tivoli ist in gewisser Hinsicht ein Zufallsprodukt gewesen. Dort war 70 Jahre ein großes Lokal beheimatet. Das Zillertal. Das hat die Pforten geschlossen und das Gebäude ist an die Stadt zurück gegangen. 1988 hatte das Schmidt, aufgemacht 89 kam die Fernsehsendung, die das Schmidt sehr populär werden ließ auf nationaler Ebene und 1990 kam die Schließung des Zillertals. Die Stadt Hamburg hat sich Gedanken gemacht, was sie mit diesem Gebäude eigentlich anstellen will und hat eine, wie ich finde, auch rückblickend kluge Entscheidung getroffen. Die Stadt hat gesagt, es soll erstens kulturell genutzt werden und zweitens definieren wir einen Kaufpreis. Der war Dreimillionen D-Mark. Heute total lächerlich. Dreimillionen D-Mark und der ist fix. Also es wird nicht übers Geld ausgewählt, sondern über Konzepte. Wir waren ein kleines Unternehmen mit ein paar Mitarbeitern und haben uns im Verbund mit anderen dazu entschieden, uns zu bewerben. Die Chance, eine solche Räumlichkeit zu mieten auf der Reeperbahn, am Spielbudenplatz, die kann man vielleicht alle 20 bis 30 Jahre mal haben. Das ist eine einmalige Chance überhaupt ein größeres Theater zu eröffnen.

Rückblickend betrachtet, war das ein unglaubliches Abenteuer mit erheblichen Investitionen. Wir mussten einen gastronomischen Betrieb zu einem Theaterbetrieb umbauen. Und natürlich war das auch riskant, weil wir hatten auf einen Schlag nicht mehr 220 Plätze, sondern 630 Plätze mehr. Also quasi eine Verdreifachung des Kartenangebotes und das auch noch täglich und mit allen Folgen die da dran hängen. Der ganzen Infrastruktur, sprich Vertrieb und Management. Das musste alles innerhalb von acht Monaten aus dem Boden gestampft werden. Anfang 1991 haben wir das Gebäude übernommen und am 1.9.1991 haben wir es eröffnet. Wir hatten dann das Glück, Zufall war es bestimmt nicht, dass die erste Produktion „Marlene Jaschke ist Carmen“ war, von der wir 100 Vorstellungen gespielt haben, die schon im Vorverkauf ausverkauft waren. Ein sensationeller Start.  Aber danach begann eigentlich erst die richtigen Probleme nämlich: Was tun wir denn jetzt?

Ihr seid noch da, also scheint Eure Antwort auf die Frage gut gewesen zu sein?

Das Tivoli ist ein Haus für Größeres nicht ganz Großes. Wenn man es mit Stage Entertainment vergleicht. Aber definitiv ein größeres deutsches Musiktheater mit Livemusik. Wir haben ja in der Regel ein Orchester mit Tänzerinnen und Tänzern. Wir konnten jetzt wesentlich größere Produktionen machen, als das im Schmidt überhaupt möglich war und immer noch ist.  Mit der 50er Jahre Revue „Fifty-Fifty“ haben wir dann wieder einen richtigen Hit gelandet. Das haben wir über 700 Mal gespielt bei uns und das hat auch so ein bisschen den Boden bereitet für die Zukunft des Theaters. Es folgte dann „Sixty-Sixty“, das „Das weiße Rössl“ eine sehr spektakuläre Kabarett-Inszenierung. Mit über 400 Aufführung.

Die Zahlen erwähne ich nur aus einem Grund: wenn an einem deutschen Stadttheater eine Produktion mehr als 50 Aufführung erlebt, dann ist das ein Riesenerfolg. Die Produktionen, die deutschlandweit mehr als 50 Aufführungen haben, kann man wirklich an einer Hand abzählen. Unsere Produktionen hatten mindestens 400 und manche bis zu 750 Aufführung. Und dann kann die „Heiße Ecke“. Das ist noch mal eine ganz andere Liga. Ich komme da schon bei den Zahlen durcheinander. Es ist jedenfalls das erfolgreichste deutschsprachige Musical, wenn Du den König der Löwen als übersetztes Werk siehst.

Über zwei Millionen Besucher haben es in fast 15 Jahren gesehen. „Caveman“ hat über 1ooo Aufführungen, die meisten im Tivoli. Wir hatten ein sensationelles 2019. Und dann kam Corona.

Foto: WIktor Szymanowicz / NurPhoto / AFP

Als ehemaligen Präsidenten des FC St. Pauli, wollte ich dann doch noch Fragen, wie du die EM und die Regenbogen-Arena-Debatte erlebt hast.

Ich glaube, dass das, was da ja fast aus dem Nichts entstanden ist, ist ein  ja ist ein ein deutliches Zeichen dafür, wohin sich CSD-Aktivitäten in Zukunft auch richten müssen. Nämlich nicht nur auf Deutschland, sondern auf Europa. Diese Regenbogen-Aktion war ja eine Reaktion auf das unsägliche Gesetz von Orbán im Zusammenhang mit dem Fußballspiel Deutschland gegen Ungarn. Die politischen Kommentare dazu waren, sagen wir mal, zwischen ernsthaft und heuchlerisch. Wenn sich CSU-Leute hinstellen und plötzlich die Regenbogenfahne hoch halten, dann habe ich doch meine Zweifel, dass das ein Ergebnis eines Erkenntnisprozesse ist. Es geht natürlich um öffentliche Aufmerksamkeit, als Plattform für Menschen, die teilweise ihr Leben lang ...  

Foto: Alexander Hassenstein / AFP

Nimm den DFB- Präsidenten Rainer Koch. Das ist keiner, der sich bisher in irgendeiner Weise als besonders schwulenfreundlich zu erkennen gegeben hat. Und ganz plötzlich muss er es dann ja sein. Die Reaktion der UEFA spricht auch Bände. Eine im Grunde genommen harmlose Beleuchtung des Stadions zu untersagen aus politischen Gründen, ist nicht nachvollziehbar. Noch weniger, wenn man weiß, dass in den Statuten der UEFA steht, dass die für Toleranz eintrete.

Da Du mich aber ja als ehemaligen Vereins-Präsidenten gefragt hast, kann ich Dir sagen, dass der FC St. Pauli tatsächlich und seit Jahrzehnten für  den Kampf gegen Homophobie für Toleranz für Vielfalt und gegen Ausgrenzung ein Vorreiter ist im deutschen Fußball. Mit einer breitaufgestellten Fanbasis. Es gibt keine Chance für Rechtsradikale, sich im Stadion in irgendeiner Form bemerkbar zu machen. Da ist der FC St. Pauli vorbildhaft und kann diese Regenbogen-Aktion wirklich aus der Geschichte des Vereins heraus mit vollem Herzen und Bewusstsein unterstützen. Aber für mich ist eigentlich der zentrale Punkt an der Sache das, was ich am Anfang gesagt habe:

Wir müssen lernen, über die Grenzen Deutschlands hinaus zu denken.

Das betrifft Europa zuallererst, weil es uns am nächsten ist. Der luxemburgische Ministerpräsident hat da ja eine sehr emotionale und ungewöhnliche Ansprache gehalten beim EU-Gipfel.

Es ist auch für uns wichtig, über die Grenze hinaus für die europäischen Werte von Toleranz Weltoffenheit, von Vielfalt einzutreten. Die auch gegenüber anderen Staaten deutlich zum Ausdruck zu bringen. Das glaube ich, wird eine zentrale Aufgabe der deutschen und europäischen Schwulenbewegung sein.

Ich glaube, hier jetzt weiter im Detail zu suchen nach dieser oder jener Bestimmung – die Erweiterung des Artikel 3 Grundgesetz ist natürlich wichtig, und einiges anderes. Sicher. Aber angesichts der Lage in Europa und der Welt, Iran, China ... Angesichts dieser Lage besteht die Gefahr, sich im Detail zu verlieren und die zentralen Fragen aus dem Auge zu verlieren. Die werden sich nämlich wie gesagt europäisch und weltweit abspielen. Natürlich hat sich viel bewegt in den letzten 30, 40 Jahren. Sehr viel. Glücklicherweise ist die Repression, die insbesondere durch das Aufkommen von AIDS nochmal Auftrieb bekam, hier vorbei. Aber nichtsdestotrotz gibt es immer noch eine ganze Menge schwule Männer, die nicht zu ihrer Sexualität stehen können.

*Interview: Christian Knuth

www.tivoli.de

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