Einlochen verboten! Warum Stuttgarts schwulstes Billardzentrum schließen soll

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Es ist der Aufreger des Wochenendes. Am Freitag posteten die neuen Betreiber der Stuttgarter Traditionsbar EAGLE vom Stuttgarter Lederclub einen Hilferuf. Nach dreißig Jahren wird die Gaststättenerlaubnis nur vorläufig und unter aus queerer Sicht homophob wirkenden Auflagen erteilt.


männer* erreichte heute Rolf vom EAGLE telefonisch und konnte das fünfseitige Schreiben mit der vorläufigen Gaststättenerlaubnis durch das Stuttgarter Amt für öffentliche Ordnung einsehen. Die Hintergründe.

Schutzraum Schwulenbar ein Konzept im Wandel

Das EAGLE ist eine ganz klassische „Schwulenbar“ und wurde im Wendejahr und mitten in der AIDS-Krise 1989 durch Jürgen und seinen Partner Heinz eröffnet. Es gibt eine Bar, Musik gemütliche Sitzecken und einen etwas weniger beleuchteten kleinen Bereich für unkompliziertes Männervergnügen. Ein Ort also, der es unter Diskriminierung und Stigmatisierung leidenden Angehörigen einer sexuellen Minderheit ermöglicht, sich angstfrei zu bewegen. Bars wie das EAGLE kämpfen – auch im Zuge der erfreulichen Fortschritte in Sachen Akzeptanz – bundesweit ums wirtschaftliche Überleben. Konzepte werden verändert, die Schutzräume vielfach auf andere diskriminierte Minderheiten erweitert. So sollte auch die Geschäftsübergabe nach 30 Jahren mit neuen Ideen Schwung ins EAGLE bringen, seit Monaten liefen die Vorbereitungen für einen reibungslosen Übergang. Bis am letzten Arbeitstag des Jahres, am 30. Dezember 2019, die vorläufige Gaststättenerlaubnis” bei Rolf einging, die – nicht ganz unerwartet – einen Weiterbetrieb unmöglich macht.

Ein Billardzentrum mit Darkroom

Um zu verstehen, warum die verantwortlichen Ämter in Stuttgart wohl bis zum letzten Moment mit ihrer dafür umso ausführlicher und – positiv interpretiert – missverständlich begründeten Antwort auf den gestellten Nutzungsantrag des EAGLE warteten, muss noch einmal ein kleiner Exkurs eingeschoben werden: Die Bar liegt bebauungsrechtlich in einem Wohngebiet. Für Wohngebiete gilt in den meisten Städten und Kommunen ein strenger Vorschriftenkatalog für Gewerbe- und insbesondere Gaststätten- und Vergnügungsbetriebe. So soll schon im Vorfeld verhindert werden, dass Konflikte zwischen den Interessen von Anwohnern und in diesem Fall feiernden Gästen einer Gaststätte entstehen.

Warum gibt es das EAGLE dann überhaupt? Das ist zurzeit noch nicht ganz geklärt, denn nachweislich ist seit mindestens 10 Jahren auch der Stadt Stuttgart bekannt, dass in der Mozartstraße 51 zwar ein Billardzentrum gewerberechtlich angemeldet ist, aber eine Gast- und Vergnügungsstätte betrieben wird. Das Finanzamt nahm bis zuletzt auch dankbar die für letzteres gesondert zu entrichtende Vergnügungssteuer entgegen. Ein Versuch, diesen ordnungsrechtlichen Graubereich durch eine ordnungsgemäße Anmeldung** zu verlassen, scheiterte vor über einem Jahrzehnt ohne Folgen für das Billardzentrum mit Erfrischungsbereich”. Rolf und sein Team hatten weniger Glück.

Amtsschimmel trifft auf Cowboys und Hengste

Foto: Peter Schmelzle / CC BY 3.0 / wikimedia

Akribisch listet das Ordnungsamt in seiner Begründung für die nur bis Ende Februar befristete und mit Auflagen erteilte Betriebserlaubnis Paragrafen aus dem Landesgastättengesetz Baden-Württembergs (LGastG) und dem Gasstättengesetz (GastG) auf, die aus Sicht des Amtes die Nutzung in der bisherigen Form als ordnungswidrig erkennen lassen.

Besonders negativ fällt dabei aus queerer Sicht der mehrfache Verweis auf mögliche Gefahren für die Sittlichkeit" auf. Teilweise Nacktheit, Dating und Sex werden bei Androhung empfindlichen Zwangsgeldes verboten. Zurecht kann das durchaus homophob und/oder sexualfeindlich interpretiert werden, allerdings steht es so auch im GastG. Übrigens keine schwäbische Erfindung, sondern geltendes Bundesrecht:

Foto: BmfJ

§ 4 Versagungsgründe

(1) Die Erlaubnis ist zu versagen, wenn

Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß der Antragsteller die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, insbesondere dem Trunke ergeben ist oder befürchten läßt, daß er Unerfahrene, Leichtsinnige oder Willensschwache ausbeuten wird oder dem Alkoholmißbrauch, verbotenem Glücksspiel, der Hehlerei oder der Unsittlichkeit Vorschub leisten wird oder die Vorschriften des Gesundheits- oder Lebensmittelrechts, des Arbeits- oder Jugendschutzes nicht einhalten wird

Liest man die fünf Seiten des Bescheides, kann man auch zu dem Schluss kommen, dass hier jemand möglichst viele Vergleichsfälle zusammengesucht hat und Textbausteine kopierte. Bei gleichlautender Ablehnung eines Puffs oder Swingerclubs, wäre die Solidarität wohl leider (!) weniger wuchtig ausgefallen. 

Außer der AfD haben alle Parteien Unterstützung zugesagt

Also alles und rechtens und einfach vorbei? Rolf hofft ganz bewusst auf die öffentliche Diskussion und freut sich über die Welle der Solidarität: 

Aktuell erfahren wir eine überwältigende Welle der Unterstützung aus Politik, Szene, Nachbarschaft und von nicht schwulen oder lesbischen Freund/innen. Dass es einigen Wirbel verursachen würde, hatten wir ja gehofft, aber was gerade abgeht: Respekt …wir sind überwältigt. Außer der AfD (zum Glück), haben sich alle im Gemeinderat vertretenen Parteien bei uns gemeldet und Unterstützung zugesagt. Wir werden jetzt die ersten Werktage im Jahr beobachten und zumindest versuchen, zeitnah einen Termin beim Ordnungsbürgermeister, Herrn Dr. Schairer (CDU) zu bekommen.”

Rettet das EAGLE, rettet Schutzräume und rettet die sexuelle Freiheit!

Es mag außerhalb Baden-Württembergs dazu verleiten, vorschnell beliebte Stereotypen über die Bewohner des Ländle abzuspulen und sie mit ebenso beliebten Vorurteilen gegen Parteien und Politiker zu verknüpfen und den Fall EAGLE damit als Kuriosum schnell wieder in die mediale Vergessenheit zu schieben. Allerdings ist es kein kein Einzelfall, sondern einer neben vielen, wie Berlin mit dem Hafen, Toms Bar, Ajpnia und Böse Buben oder dem Kölner Bermudadreieck, wo es zu ganz ähnlichen Sachlagen gekommen ist. 

Die Politik handelt bei schmuddeligen Milieuthemen” sehr gerne wie der mehrheitliche Rest der Gesellschaft: Bloß nicht drüber reden. Das ist nicht nur einfach prüde, sondern Ausdruck einer nach wie vor tief sitzenden Sexualfeindlichkeit, die dank Aktions- und Bildungsplänen erst in nachfolgenden Generationen mehrheitlich so negativ auffallen wird, wie betroffenen sexuellen Minderheiten heute.

Was will die LGBTIQ*-Community nach der Ehe für alle” noch erreichen, ist seit ihrer Umsetzung eine beliebte Frage. Wofür geht der CSD auf die Straße? Zum Beispiel dafür, dass Sexualität per se keine Gefahr für eine ominöse sittliche Moral ist? Dass zu einem lebendigen Stadtquartier auch Orte der Freude an körperlichem Begehren gehören? Dass Kommunen, also Nachbarn, selbst entscheiden, was sie in ihrem Kiez wollen und was nicht? Beschwerden hat es jedenfalls laut mehreren Quellen über das EAGLE nie gegeben. 

Wir bleiben solange unbequem, bis es bequem ist!


** Klingt irgendwie nach Loriot

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