„Hinsetzen Schwuchtel!“ – homophobe Gewalt in Serie

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Eine U-Bahnstation in einer deutschen Großstadt. Zwei schwule Männer werden aus dem Nichts heraus angegriffen und zusammengeschlagen. Einer liegt immer noch im Koma ... Überschrift und erste Sätze beschreiben die tägliche Realität in Deutschland. Die zugehörigen Bilder sind allerdings Auszüge aus der inzwischen 3. Staffel der Erfolgsserie KUNTERGRAU aus Köln. 

Hier geht es zur YouTube-Playlist von KUNTRGRAU

Die ehrenamtlichen Filmemacher haben sich in den vergangenen Monaten damit auseinandergesetzt, was ein homophober Angriff eigentlich für die Opfer von schwulenfeindlicher Gewalt bedeutet, wie sich das eigene Leben und das Verhältnis zu Freunden und Familie unter dem Eindruck traumatisierender Hassverbrechen verändert. Eine besonders ernüchternde Erkenntnis dieses Prozesses stand bereits am Anfang:

„Es gab niemanden im Projekt, weder vor noch hinter der Kamera, der oder die die Thematik nicht als extrem aktuell empfunden hat – was sehr traurig ist.“

Kai Kreuser, Regisseur

Foto: KUNTERGRAU / Max Jonas Fohrbeck

559 Fälle in Berlin ...

Der nicht repräsentativen Auswertung im KUNTERBUNT-Team wird in Deutschland nur in Berlin eine systematische polizeiliche Statistik über queerfeindliche Straftaten entgegengestellt, wo jeder einzelne Fall als Polizeimeldung veröffentlicht. Alleine in der Hauptstadt sind das laut Polizeistatistik im Jahr 2018 über 100 Fälle gewesen, das schwule Anti-Gewalt-Projekt maneo zählte im gleichen Zeitraum 559 Fälle. Die Differenz macht sichtbar, wie hoch die Dunkelziffer zwischen tatsächlich zur Anzeige gebrachten und erfolgten Übergriffen, Beleidigungen und sonstigen die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität betreffende Vergehen  ist. 

... valide Zahlen aus den anderen Bundesländern nicht verfügbar

Absolut klar wird der verantwortungslose und zutiefst ignorante Umgang der deutschen Politik und Verwaltung mit diesem Bereich der Hasskriminalität jährlich im Bundestag, wenn auf Anfrage der Grünen das CSU-geführte Innenministerium seine hastig zusammengesuchten Einzelfälle als Statistik präsentiert: 313 Fälle waren das 2018 bundesweit – die Berliner Zahlen natürlich inbegriffen. Bayern, Heimat von Heimatministeriumschef Horst Seehofer glänzte als blauweißer Homohimmel der Glückseligkeit: Hier gab es – trotz anders lautender Presseberichte – in 2018 laut Innenministerium nicht einen Vorfall. Das kommt der Koalition gelegen, denn immerhin kündigte man im Koalitionsvertrag der vierten Merkel-Regierung an:

„Wir respektieren geschlechtliche Vielfalt. Alle Menschen sollen unabhängig von ihrer sexuellen Identität frei und sicher leben können – mit gleichen Rechten und Pflichten. Homosexuellen- und Transfeindlichkeit verurteilen wir und wirken jeder Diskriminierung entgegen.“

Koalitionsvertrag 2018, Seite 21

Und wenn es gar keine solche Feindlichkeit gibt, so wie in Seehofers Statistik, hat man ja auch nichts weiter dagegen zu unternehmen, oder? Dass diese Taktik – die auch bei rechtsextremen Vorfällen in der Polizei immer noch präferiert wird – sogar beim mutmaßlich islamistisch-homophoben Mord von Dresden bis heute beibehalten wird, kein Wort der Solidarität mit der LGBTIQ*-Community von der Regierung zu vernehmen ist, ist ein nochmaliger Tritt gegen die schon am Boden liegenden Opfer queerphober Gewalt. Schön, dass wenigstens die Community nicht müde wird, das Thema wieder und wieder in die Köpfe der Menschen zu bringen. 

Foto: KUNTERGRAU / Max Jonas Fohrbeck

KUNTERGRAU endet nach dieser Staffel – die Debatte über Hassverbrechen nicht

Die dritte Staffel von KUNTERGRAU entstand nur durch das enorme Engagement von Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus dem Jugendzentrum anyway in Köln. Insgesamt 65 Drehtage und tausende Stunden Arbeit haben die jungen Filmemacher in ihr Herzensprojekt investiert.

„Wir hoffen, dass wir mit der dritten Staffel gute Unterhaltung zurückgeben können und ebenfalls einen Beitrag dazu leisten, dass queerfeindliche Gewalt mehr in die Öffentlichkeit rückt – vor allem aus der Perspektive der Betroffenen. Wir sind als LGBT*Q noch nicht in der gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz angekommen, die uns zusteht. Vielleicht sind wird aktuell in Zeiten von Populismus und rechter Propaganda wieder weiter davon entfernt als noch vor einigen Jahren. Dagegen einen Beitrag zu leisten, ist unser Ziel.“

Max Jonas Fohrbeck aus dem anyway-Filmteam


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