Interview: Wehrt Euch!

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Marcel wurde am Rande des CSD-Straßenfestes in Hamburg erst als „Scheiß Schwuchtel“ beschimpft, dann mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Er hat den Täter nach einer Verfolgungsjagd selbst gestellt und ihn festgehalten, bis die Polizei vor Ort war. Doch obwohl Zeugen die Tat bestätigten, wurde das Verfahren zunächst ohne Verurteilung eingestellt. Der Täter wäre mit einem schriftlichen Hinweis auf sein „Fehlverhalten" davon gekommen. Marcel lies dies nicht auf sich sitzen.

WIE HAST DU AUF DIE EINSTELLUNG REAGIERT?

Ich war enttäuscht, traurig und sehr, sehr wütend. Und das, obwohl mir der Polizist, der die Anzeige aufnahm, bereits wenig Hoffnungen gemacht hat. Er sagte, das sei der übliche Weg bei solchen Verfahren: Einstellung mit schriftlicher Verwarnung.

DU HAST DEINER WUT DANN LUFT GEMACHT IN EINEM SCHREIBEN ...

Ja, in der ersten Version sogar noch mehr als in der letzten. Ein Freund, der auch vor Gericht Schöffe ist, hat mir dann aber zu einer anderen Form geraten. Also habe ich versucht, mich in die Staatsanwältin hineinzuversetzen und sie da abzuholen, wo ich sie kriege kann: mit Verständnis für ihre Arbeitsbelastung. Aber ich habe auch erläutert, dass der Täter nicht zufällig zum Täter wurde, sondern bewusst gehandelt hat. Immerhin ist er mit seinen Freunden aus seinem Dorf im Hamburger Umland extra zum CSD gekommen, um dann ganz gezielt Schwule wie mich und meinen Freund anzupöbeln. Er hat ganz bewusst dort Stellung bezogen und dann auf eine Gelegenheit gewartet. Und der Täter hat es nicht bei einer Beleidigung belassen. Als ich ihn zur Rede stellte, hat er mich aus dem Nichts geschlagen. Der Täter kannte mich nicht, seine Wut hat nichts mit mir persönlich zu tun, sondern damit, wer ich bin, wofür ich in seinen Augen stehe. Das nennt man ein Hassverbrechen und ich habe der Staatsanwältin geschrieben, dass so etwas vor wenigen Jahren auch ihr als Frau hätte passieren können. Heutzutage zum Glück undenkbar - und jeder würde zustimmen, dass so etwas absolut nicht geht. Ich habe formuliert, wie traurig ich über ihre Entscheidung bin. Ich habe an sie appelliert, darüber nachzudenken, wie sie sich fühlen würde, wenn ein Familienmitglied so etwas widerfahren würde.

OFFENBAR HAT DAS GEHOLFEN.

Ja, ich habe ein kurzes Schreiben bekommen, dass sie die Ermittlungen wieder aufgenommen hat und mit Datum des Briefes Anklage gegen den Tatverdächtigen erhebt.

WAS RÄTST DU AUS DIESER ERFAHRUNG HERAUS ANDEREN OPFERN?

Sucht euch Hilfe. Ich habe sie beim mhc gefunden. Es sollte aber mehr dafür getan werden, damit jedes Opfer auch die Anlaufstellen kennt. Es war nicht einfach, das herauszufinden.

Ganz konkret auf die Tat bezogen: Wehrt euch! Und das durch alle Instanzen! Auf die Menschen rundherum und auch die Polizei würde ich mich dabei nicht verlassen  das musste ich leider feststellen. Ich weiß nicht, wie das Gerichtsverfahren ausgehen wird, aber es hat sich insofern schon gelohnt, als dass der Täter sich noch einmal damit auseinandersetzten muss, und er doch nicht nur mit einem simplen Schreiben mit Hinweis auf sein Fehlverhalten davonkommt. Das alleine lindert schon die Verletzungen.

*Interview: Christian Knuth

DAS KANNST DU AUCH TUN

Die Landesarbeitsgemeinschaft Lesben und Schwule, ein Zusammenschluss von Hein & Fiete, mhc, Intervention e. V. und LSVD, hat den Gewaltfragebogen um Transphobie erweitert. Auch hinnerk stellt den Bogen dauerhaft zum Download zur Verfügung und und bittet eindringlich darum, sich die Zeit zu nehmen und den Bogen auszufüllen. Es zählt nicht nur körperliche Gewalt, sondern auch der dumme Spruch, die Beleidigung.

HIER FRAGEBOGEN RUNTERLADEN

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