BEZIEHUNGSMANAGEMENT – VERHANDLUNGSBASIS LIEBE

© Foto: Uwe Wagschal / pixelio.de

Über die Liebe kann man streiten. Einen Sinn macht es kaum, denn entweder ist man verliebt – oder eben nicht. Eine Beziehung hingegen ähnelt oft einem orientalischen Basar. Hier wird gehandelt und gefeilscht und um jeden Zentimeter Boden hart gekämpft. Doch wie bei allen menschlichen Beziehungen läuft auch beim Liebesverhältnis immer das gleiche Schema ab. Wer das Modell begreift, wird erkennen, dass Beziehungen ein Ziel haben – und er wird Krisenphasen, Auszeiten oder das Ende einer Beziehung besser „managen“ können.

HOHE IDEALE

Am 4. März 1789 proklamierten die dreizehn Unionsstaaten Nordamerikas auf einem feierlichen Kongress ihre gemeinsame Verfassung und schlossen sich damit zu einem echten Staat zusammen. Das ehrgeizige Werk war von 55 Delegierten geschaffen, von Ihnen selbst genehmigt, unterzeichnet und an die Einzelregierungen zur Ratifizierung geschickt worden.

Keine Angst, es ist der richtige Text. Spätestens nach den nächsten Sätzen wird sich zeigen, dass man in einer wilden Beziehungsthematik steckt.

Noch am gleichen Tag brachen die Kongressmitglieder nämlich zum ersten Mal ihre hochgesteckten demokratischen Ziele und die neue Verfassung. In absoluter Machtvollkommenheit ersparten sie dem Volk die lästige Pflicht der Wahl und setzten selbst den ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika ein: George Washington.

Wenn das mal keine bösen Erinnerungen an eigene Erfahrungen weckt … Gab es da nicht diesen Mann, der dir Liebe und Treue geschworen hatte? Gab es nicht Absprachen über sexuelle Seitensprünge: ob, wie oft oder mit wem sie zugelassen waren? Und ist euer Traum nicht genauso zerbrochen wie die Hoffnung der ersten US-Amerikaner auf ein demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt?

NIEDRIGE WERTE

Der Verrat der eigenen Ideen ist in Liebesbeziehungen so alltäglich wie unter Geschäftspartnern oder Politikern. Und das ist nicht die einzige Parallele. Jedes zielgerichtete menschliche Zusammensein durchläuft wissenschaftlich betrachtet die immer gleichen Phasen: Ein so genanntes Forming, Storming, Norming, die möglichst lange Zeit des Performings und abschließend ein Adjourning. Es ist eine Art Kreislauf, der sich genau so ähnlich wiederholen kann, oder auch mit anderen Akteuren.

Zuerst formt sich eine Beziehung, sie nimmt Gestalt an (forming). Darauf folgt eine Zeit der Unruhe und der Bewegung (storming), aus der zahlreiche Beschlüsse hervorgehen, auf die man sich einigt (norming). Auf der Basis dieser Werte und Normen kann die Beziehung mehr oder weniger reibungslos funktionieren (performing). Gegebenenfalls werden in einer kleinen Schleife weitere Übereinkünfte getroffen oder alte Werte überarbeitet.

Beim Forming hatten die Gründungsväter der Vereinigten Staaten ganze Arbeit geleistet. Ihre Verfassung bildet auch heute noch ein stabiles Fundament für die Demokratien der westlichen Welt. Sie haben sich für die Ausarbeitung des Werkes allerdings auch fast zwei Jahre Zeit genommen.

Diesen Luxus gönnt sich ein Liebespaar nur äußerst selten. Es mag daran liegen, dass moderne Liebesbeziehungen ihren Anfang eher auf dem Küchen- als am Verhandlungstisch finden.

VERMEINTLICHE UNSCHULD

Unschuldig wie ein Säugling schwebten die jungen Vereinigten Staaten über das Parkett der internationalen Staatenbühne. Am Sklavenhandel hatte sich bisher kein Amerikaner die Finger beschmutzt – das waren die Briten. Indianer wurden nur von Briten massakriert, und im Unabhängigkeitskrieg hatten Engländer gegen Engländer gekämpft. Die Flagge der USA war ohne Flecken – abgesehen von dem kleinen Verfassungsbruch bei der Festsetzung des ersten gemeinsamen Staatsoberhaupts.

Und was heißt das für die Liebe? Auch wenn es nicht der erste Beziehungsversuch ist, sind junge Paare immer die Unschuld selbst – und das ist auch gut so! Hier darf es egal sein, wer bisher verraten hat oder wurde, wer vorangegangene Beziehungen beendet oder einen Scherbenhaufen vorgefunden hat, wer Liebe schwören oder den Eid brechen musste. Somit findet das Forming im vergangenheitsfreien Raum statt. Die Aufmerksamkeit gilt dem Hier und Jetzt, dem reinen Genuss und der unschuldigen Liebe. Die Zeit der Unruhe, das Storming, kommt noch früh genug.

UNGERECHTE GERECHTIGKEIT

Meistens endet die Unschuld an Fragen der Machtverteilung. In den USA läutete eine kleine Erfindung das Storming ein: Den Südstaaten war es gelungen, Baumwolle industriell zu verarbeiten. Zusammen mit dem ebenfalls neuen und aus den warmen Breitengraden kommenden Kristallzucker drohte der Süden den Norden wirtschaftlich abzuhängen.

Abraham Lincoln, der sich noch vor kurzem gegen die „Verwirklichung der politischen und sozialen Gleichheit zwischen der weißen und der schwarzen Rasse“ ausgesprochen hatte, stellte sein Fähnchen in den Wind der Wall Street, sprach sich für die Befreiung der Sklaven aus, wurde zum Präsidenten gewählt und von der Geschichte zum Held der Gleichberechtigung gemacht.

Was aber tut man, wenn ein Partner mitten im Storming ein neues Gesicht zeigt und den anderen Partner kompromisslos an seine Seite zitiert? Richtig: Man beendet die gemeinsame Reise. Eine Beziehung kann beendet werden, obwohl – oder gerade weil – man das Ziel erreicht hat.

In der Wirtschaft wäre das zum Beispiel der erfolgreiche Abschluss eines Handels. In der Liebe kann der Tod eine erfolgreiche Partnerschaft beenden. Unter Umständen lassen sich die gemeinsamen Ziele jedoch nicht erreichen. Zum Beispiel dann, wenn man sich, wie im Beispiel der USA, nicht auf gemeinsame Normen einigen kann und die Phase des Stormings zu einem Kräfte zehrenden Dauerzustand wird. Vielleicht bewähren sich die gefundenen Werte aber auch einfach nicht im täglichen Leben. In diesem Fall kann man sich vertagen (Adjourning) und später einen neuen Anlauf machen. Oder man macht einfach Schluss.

South Carolina machte den Anfang vom Ende. Zehn weitere Südstaaten folgten. Im echten Leben tauscht man jetzt die Zahnbürsten aus oder verlässt die gemeinsame Wohnung. Es hat halt nicht sollen sein. Präsident Lincoln war jedoch bereit, es noch einmal zu versuchen. „Wenn ich die Einheit retten könnte, ohne einen einzigen Sklaven zu befreien, so würde ich es tun“, sagte er und marschierte mit seinem Heer in den Süden ein.

Auch das ist in Liebesbeziehungen keine Seltenheit: Der überlegene Partner setzt Druck oder Gewalt ein, um das Norming zu seinen Gunsten zu beeinflussen oder ein Adjourning zu verhindern. Keine gute Voraussetzung für eine Beziehung unter gleichberechtigten Partnern. Manche Beziehungen – die zwischen Eltern und Kind zum Beispiel – basieren jedoch auf einem Machtgefälle. Und auch viele Liebesbeziehungen funktionieren damit lange und gut.

Die USA kostete der Machtanspruch der Nordstaaten jedoch mehrere hunderttausend Menschenleben.

Beim Aufstellen der Regeln in einer Beziehung sollte man durchaus bereit sein, von seiner Position abzurücken und Kompromisse zuzulassen. Druck und Gegendruck sind in diesem Spiel in gewissen Grenzen nur Ausdruck der jeweiligen Persönlichkeit.

Bleibt noch die Sorte Abmachung, die nur für einen der beiden Partner gilt. „Wenn er fremdgeht, mach’ ich Schluss“, hört man Liebende nur zu oft mit einer erhobenen Hand drohen, während sie mit der anderen schon in fremden Hosen nesteln. Und selbst hierfür liefert die Politik ein entsprechendes Beispiel.

Am 1. Januar 1863, mitten im Bürgerkrieg, trat ein Gesetz Lincolns in Kraft, das die Aufhebung der Sklaverei in den Südstaaten verkündete. Nur in den Südstaaten, wohlgemerkt. Am Status der Sklaven in den unionstreuen Nordstaaten änderte das Gesetz nichts.

MODELLIEREN ODER RESIGNIEREN

Doch was beweist das Modell der immer gleichen Muster im menschlichen Miteinander, in Politik, Wirtschaft und Beziehungen? Ist die Liebe ähnlich verhandelbar wie ein Vertrag unter Geschäftspartnern? Nein, die Liebe ist es nicht – Liebesbeziehungen hingegen schon. Je intensiver man sich dem Norming, also dem Aufstellen der Regeln widmet, desto reibungsloser wird später das Performing, die eigentliche Beziehung, funktionieren. Denn allein auf rosa Wolken reitet man nicht gemeinsam durchs Leben.

Die Theorie hat noch einen weiteren Vorteil: Sie besagt, dass der Kreislauf mit derselben Person in weitere Runden gehen kann. Das schließt auch eine vorübergehende Beendigung der Beziehung ein. Eine Auszeit ist eine legitime Maßnahme, auch dann, wenn man sich erneut „finden“ will. Vielleicht ist eine Auszeit sogar manchmal das beste Mittel, um danach gemeinsam neue Werte aufzustellen, die ein besseres Funktionieren der Beziehung gewährleisten.

Für ein vorübergehendes Ende sollte man sich aber erst dann entscheiden, wenn man bereits versucht hat, kleinere Schleifen im Modell zu drehen. Wer beim Auftreten einzelner Probleme sofort prüft, ob sich bessere Normen finden lassen, kann einen kompletten neuen Durchlauf durch alle Phasen wahrscheinlich umgehen.

Zudem ist das Modell flexibel: Wer schon beim Storming feststellt, dass die Probleme oder die Abweichungen des Partners vom Idealbild zu groß sind, der kann die folgenden Phasen natürlich auch überspringen und sich sofort trennen.

DIE GUTEN UND DIE BÖSEN

Bleibt noch die Frage, wieso es in diesem Artikel ausgerechnet stets die Vereinigen Staaten „trifft“? Ganz einfach: Weil sie sich als Buhmann viel schlechter eignen als andere Länder. Wen hätte es gewundert, Verfassungsbruch, machtpolitische Wendehälse oder wirtschaftlich bedingte Kriege in der Geschichte der sogenannten Schurkenstaaten zu finden? Aber doch nicht ausgerechnet beim Saubermann der Vereinten Nationen.

Und auch hier sind wir wieder mitten im Beziehungsthema. Manche Menschen sind einfach zu gut, um die Rolle des Bösen zu übernehmen – zumindest in ihrer Selbstdarstellung. Wenn man da nicht aufpasst, sind die Tatsachen schnell zu den eigenen Ungunsten uminterpretiert und die Allianzen im Freundeskreis verschoben. Aber es gibt Gerechtigkeit, denn manches Mal verkehren sich die vermeintlich geschickten Schachzüge ins Gegenteil.

Am 15.2.1898 explodierte das amerikanische Kriegsschiff „Maine“ mit 260 Mann Besatzung im Hafen des damals noch spanischen Havanna auf Kuba. Die Spanier, so behauptete die Presse der freien (amerikanischen) Welt, seien dafür verantwortlich. Ob es geschickt von der zahlenmäßig unterlegenen und veralteten spanischen Marine gewesen wäre, den USA einen Kriegsgrund auf dem silbernen Tablett zu präsentieren, kann bezweifeln, wer will. Der Schachzug ging auf. Amerika erklärte den Krieg, gewann und bediente sich wie an der Theke eines Brunch-Buffets. Kuba, Puerto Rico, Guam und sozusagen als Fischgericht noch die ebenfalls spanisch regierten Philippinen. Vorsichtshalber annektierte man gleich noch Hawaii. Die Welt schaute zu – so wie die ehemaligen Freunde zusehen, wenn am Ende einer Liebesbeziehung das Tafelsilber in die Hände der moralisch vermeintlich überlegenen Seite fällt. Wenn sich aber die Geschichte wiederholt, werden auch die besten Freunde stutzig. So geschehen, als am 7. Mai 1915 die „Lusitania“ mit knapp 1.200 Passagieren und Besatzungsmitgliedern vor England in die Luft flog. Diesmal war die Strategie des amerikanischen Militärs jedoch so offensichtlich, dass sich der Vorfall nicht für den erhofften Kriegseintritt instrumentalisieren ließ.

UND DIE MORAL?

Wer es mit einer Beziehung ernst meint, der sollte mit offenen Karten spielen. Ehrlichkeit und Respekt gegenüber dem Partner sind in einer Beziehung die Strategie mit den besten Erfolgsaussichten. Hier liegt der Unterschied zu Beziehungen in Politik oder Wirtschaft: In einer Liebesbeziehung kann man nur gewinnen, wenn beide gewinnen. Staaten und Firmen mögen auf Vorteile hoffen, wenn sie andere übers Ohr hauen, wenn sie sich Vorzüge sichern und auch mal kurzfristig denken. Eine Beziehung kann nur Erfolg versprechen, wenn sie auf längere Sicht und zum Nutzen beider Parteien angelegt ist.

Forming, Storming, Norming – und selbst ein vorübergehendes Adjourning – müssen auf ein dauerhaftes Performing ausgerichtet sein. Nur dann ergibt eine (Liebes-) Beziehung einen Sinn. Wer das beherzigt, hat mit dem Wissen über die Struktur der verschiedenen Beziehungsphasen ein Werkzeug für den Beziehungserfolg in die Hand. •Carsten Heider

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