Interview: Fast Track City Berlin

by

Foto: Gerald Friedrich / CC0 Public Domain

90-90-90-0 bis 2020. Klingt irgendwie kryptisch? Wir werden es erklären. Es geht um HIV-Prävention und -Behandlung sowie den Abbau von Ängsten und Vorurteilen. „Fast Track Cities“ sind Städte, die im Kampf für null Neuinfektionen mit HIV besondere Anstrengungen unternehmen. Berlin hat sich diesem Ziel verschrieben, passiert ist allerdings bisher politisch herzlich wenig, fand unter anderem die beim CSD mitlaufende Fußtruppe „I’m on the FAST TRACK baby!“, die von mancheck Berlin organisiert wurde. Wir fragten nach, was genau noch im Argen liegt und warum das so ist.

Was meint denn nun die 90-90-90-0?

0 = 0 % Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen mit HIV/Aids zu erreichen. Das ist für uns die Grundvoraussetzung für die Erreichung aller anderen Ziele.

90 = Mindestens 90 % der Menschen mit HIV kennen ihren Status.

90 = Mindestens 90 % der Menschen mit HIV sind unter antiretroviraler Therapie.

90 = Bei mindestens 90 % der Behandelten ist die Viruslast nicht mehr nachweisbar.

Warum gibt es deiner Meinung nach noch nicht genug flächendeckend anonyme und kostenlose STI-Tests in Berlin?

Genauer gesagt: Es gibt grundsätzlich gar kein kostenloses HIV/STI- Testangebot in Berlin. Nur in Ausnahmefällen können die Kosten mit Begründung erlassen werden. Wenn ein Test, beispielsweise auf Syphilis, positiv ist, müsste sofort behandelt werden. Dafür musst du immer noch extra zum Arzt. Das ist alles zu umständlich. Wir brauchen integrierte Angebote, in denen du Beratung, Tests und auch gleich die passende ärztliche Behandlung bei Bedarf bekommst. So was wie die 56 Dean Street in London!*

Foto: Mancheck

Wie passt das dazu, dass Berlin als Sexhauptstadt Europas, wenn nicht der Welt, verschrien ist bzw. verehrt wird?

Gar nicht. Mit dem Ruf als Partyhauptstadt verdient Berlin nicht zuletzt viel Geld. Einen Teil davon müsste man auch in die Hand nehmen, um Gas zu geben was HIV, STI und Substanzkonsum betrifft. So könnte man unsere innovativen Konzepte weiterentwickeln und umsetzen. Vielleicht Checkpoints, wo dann auch gleich noch Drug-Checking gemacht werden könnte.

Wie nehmt ihr in eurem Beratungsalltag und in der Szene den Bereich Diskriminierung HIV-Positiver war?

Diskriminierung hat viele Gesichter. PrEP-User werden als Truvadahuren beschimpft, obwohl gerade sie verantwortungsbewusst mit ihrer Sexualität umgehen. Es wird behauptet, man könne jemandem doch nicht vertrauen, wenn er sagt, seine Viruslast sei unter der Nachweisgrenze. Immer wieder wird eine HIV-Infektion von Ärzten als Diagnose nicht in Erwägung gezogen, weil man einen solchen Lebensstil für den Patienten nicht für möglich hält. Und oft genug wird das Thema HIV/STI komplett verdrängt, wenn es zum schönen Schein nicht passen will. Dies alles sind Auswirkungen von Tabuisierung, Stigmatisierung und Diskriminierung.

Sind PrEP und Schutz durch Therapie die Sargnägel dieser Diskriminierung?

Wir erfahren im Moment eher das Gegenteil: Leute werden diskriminiert und beschimpft, WEIL sie die PrEP nehmen. Es tauchen die merkwürdigsten Vorurteile und Verunglimpfungen von Lebensstilen auf. Wir hatten gehofft, sie seien längst erledigt. Und bei Schutz durch Therapie hören wir oft so was wie: „Denen kann man doch nicht trauen!“ Das ist krasseste Diskriminierung!

Was plant ihr nach dem CSD weiter, um das Ziel „Aids beenden 2020“ zu erreichen?

Wir arbeiten weiter für Lebensstilakzeptanz, die sich wie ein roter Faden durch alle unsere Themen zieht. Und wir arbeiten an der Enttabuisierung von Lebensstilen. Vielfalt in jeder Beziehung. Und wir kooperieren mit allen, die am Ziel mitarbeiten.

Was wünscht ihr euch von den Lesern, wie kann jeder helfen, der das liest?

Zunächst einmal, indem sie sich aktiv dafür einsetzen, dass es keine Diskriminierung und Stigmatisierung von Menschen mit HIV und von Menschen aufgrund ihres Lebensstils gibt. Dann kann sich jede und jeder regelmäßig auf HIV und STI testen, gegen Hepatitis A und B impfen lassen und somit auch behandelt werden, wenn’s einen erwischt hat. Und: Redet respektvoll miteinander, ohne Vorurteile und Moralisierung. Und natürlich gerne, wenn ihr Lust habt: Helft uns bei unserer Arbeit.

*Interview: Christian Knuth

www.mancheck.de

*„56 Dean Street” ist ein mit Preisen ausgezeichnetes Gesundheitszentrum mit kostenlosen STI-Tests, Heimtestberatung und gleichzeitiger sofortiger Behandlungsmöglichkeit. Weitere Infos unter dean.st.

Back to topbutton