J.Jackie Baiers „JULIA“

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Foto: J.Jackie Baier

Foto: J.Jackie Baier

In „Julia“ erzählt Regisseurin J.Jackie Baier von einem Jungen, der in Litauen das viertbeste Abitur des Landes macht, dann Starschüler auf der Kunsthochschule wird, nur um alles hinzuschmeißen und als Hure auf dem Transen-Strich in Berlin zu arbeiten, weil er sich so freier fühlt. Der Film hat gerade zwei Preise auf dem russischen „Side by Side“-Festival in St. Petersburg gewonnen, wovon auch die Regisseurin und Produzentin überrascht war.

Warst du ärgerlich, dass du nicht da warst, um deine Preise in Empfang zu nehmen?

Ich war ja da, aber ich musste vor Ende des Festivals zurück nach Deutschland. Ich hatte nicht damit gerechnet, etwas zu gewinnen. Obwohl das Feedback vom und die Diskussion mit dem Publikum um den Film schon toll war.

Warum?

Es war sehr zugewandt und lief auf einem sehr hohen Niveau ab. Es gab nach dem Film auch noch ein anschließendes Gespräch über Prostitution, zu dem die Veranstalter wirklich gute Leute eingeladen hatten.

Das klingt so, als hättest du nicht damit gerechnet, auf dieses Echo zu stoßen.

Hatte ich auch nicht. In Vilnius, wo wir den Film im letzten Jahr präsentiert hatten, war die Diskussion viel verschlossener.

Worin, glaubst du, begründen sich die Unterschiede?

Das kann ich dir jetzt viel schwerer beantworten als vorher, weil ich auch meine eigenen Vorurteile revidieren musste. Ich hätte gedacht, in Russland haben die Menschen weniger Interesse an dieser ja auch sehr persönlichen, individuellen Geschichte und wollen eher was Fröhliches, Aufbauendes, Kämpferisches sehen. Was die komischerweise plötzlich alles in „Julia“ gefunden haben. In Litauen war die Reaktion völlig anders. Und auch in Deutschland. Beim Filmfest in Hamburg kam nach der Vorführung ein älterer Mann, Typ Kunstprofessor, auf mich zu und sagte: „Sie müssen das Mädchen doch mal zur Vernunft bringen!“ So nach dem Motto „Was zeigst du uns das hier, statt dich um deine Freundin zu kümmern?“

Ist es schwer, Leuten begreiflich zu machen, dass man als Filmemacherin einen dokumentarischen Auftrag hat, keinen sozialpädagogischen?

Der Film ist ja eine litauische Koproduktion, die haben da Geld und viel Mühe reingesteckt. Ich musste auch dort oft, besonders dem Publikum, erklären, dass ich nicht bewerte, einordne oder das Glücksversprechen in diesem Leben suche. Das muss die handelnde Person schon selbst tun. Ich bin Künstlerin. Julia ist vielleicht eine Lebenskünstlerin. Die Propagierung eines bestimmten Lebensstils ist nicht unsere Aufgabe.

Lebenskünstlerin oder nicht, aber waren die Dreharbeiten nicht manchmal unglaublich anstrengend, weil Julia so ist, wie sie ist, weil sie die ganze Zeit trinkt und auch mal verschwindet?

Ich habe früher viel Serien-Regie fürs Fernsehen gemacht. Verglichen mit dem, was dir da vor der Kamera begegnet, war Julia geradezu zahm. Sie hat einen unglaublichen Instinkt dafür, wie sie rüberkommen, wie sie gesehen werden, was sie zeigen will. Wir haben das Projekt ja vor zehn Jahren mit Fotos angefangen. Da merkst du schnell, ob jemand mit der Kamera kann oder eben auch nicht. Sie wollte sich fotografieren lassen. Aber ich wollte sie auch unbedingt fotografieren, weil sie genau weiß, wie man mit der Kamera umgehen muss. Ich weiß nicht, ob das durch ihren Kunst-Hintergrund kommt, wahrscheinlich.

Wenn man, so wie ihr, zehn Jahre an einem Projekt arbeitet, woher weiß man, wann der Film fertig ist?

Gute Frage. Es ist gar nicht so, dass es nichts mehr zu erzählen gegeben hätte, aber ich finde, der Film zeigt eine persönliche Entwicklung, die Veränderung in jemandem, die dann so weit abgeschlossen war. Sie schien gewachsen zu sein und sich besser zu begreifen. Und das Publikum sieht das ja vielleicht auch so.

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