Sigurd Wendland: Der Pastor sagte: „Das sind doch nur Menschen, da kannst du hingehen!“

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Bild: Sigurd Wendland „Bügelbild“, 1985

Bild: Sigurd Wendland „Piss-Painting“, 1998

Der 1949 in Münster geborene Künstler entwickelte seine Kunst an der Hochschule der Künste Berlin (jetzt: UdK) weiter und war 1979 Meisterschüler bei Fred Thieler. Unlängst waren seine mitunter provokanten Kunstwerke bei der Galerie von Hirschheydt in der Wielandstraße in Berlin zu bewundern. Wir telefonierten mit dem Künstler.

Was liebst du an der Malerei? Solange ich lebe, habe ich gemalt und gezeichnet. Schon in der Schule habe ich, statt zu lernen, oft gemalt, Porträts von meinen Lehrern gemacht ... Es war irgendwie klar, dass ich Maler werden würde, wenn meine Eltern das auch gerne verhindert hätten …

Haben sie das denn versucht? Als ich dann Kunst studiert habe, hätten sie es gerne zum Beispiel gehabt, dass ich Kunstlehrer oder Werbegrafiker werden würde, etwas, womit man wirklich Geld verdienen kann, nicht so etwas, wie ich es mache. Doch ich durfte das zweite Grundsemester überspringen, weil ich so gut war, und konnte gleich in die Malklasse. Dann konnte mein Vater nichts mehr dagegen haben!

Foto: F. Lau

Stichwort Body Positivity. Du scheust dich nicht, Explizites oder Intimes, etwa Pinkeln, zu malen. Was erfüllt dich mit Scham? Scham, hm, eher nicht. Aber erigierte Penisse male ich nicht, das wirkt so statisch, die müssen ja in Aktion sein. (grinst)Da gibt es eine ganz aktuelle Geschichte: Ich habe ja den mit rosa Farbe überschütteten Soldaten in Schöneberg gemalt. Da habe ich mir überlegt, dass ich zur russischen Homophobie und zum dortigen Militär etwas male, und habe mir Freunde ins Atelier geholt, die dann alle diese blau-weißen T-Shirts trugen, die dort beim Militär als Unterhemd üblich sind. Um ein Denkmal herum haben sie dann Liebesakte dargestellt, ich habe davon Fotos gemacht und hätte ein Bild gemalt. Doch dann kam der Krieg und ich dachte mir: Jetzt gerade geht es nicht mehr um Homophobie, es geht um Menschenleben. Da passt das Bild nicht. Ich habe noch die Fotos … Ich arbeite ja mit Bausteinen, ich setze die Motive an der Leinwand zusammen. Vielleicht wird es irgendwann gemalt werden. Oder eben in einer anderen Form.

Bild: Sigurd Wendland „Denkmal in Schöneberg“, 2021

Wie stehst du zu Auftragsarbeiten? Ja, ich habe ein paar Aufträge gemacht. Zum Beispiel habe ich den erzkonservativen Bauernpräsidenten Gerd Sonnleitner gemalt, einen CSUler. Dann war ich bei ihm zu Hause eingeladen und dachte mir nur: Was für ein LIEBER Mensch. Unglaublich! Aber er war eben in seiner politischen Funktion gegensätzlich … Er erzählte mir, dass er, bevor ich ihn malte, zum Pastor gegangen ist, weil in meinem Atelier immer Nackte seien. Der Pastor sagte: „Das sind doch nur Menschen, da kannst du hingehen!“ Zum Thema Männerakte gibt es noch eine Geschichte: Ich hatte eine Ausstellung in Polen im Museum Stargard Stettin. Dort sollten erst nur die Frauenakte ausgestellt werden, die Männerakte wollten sie nur ins Büro der Leitung hängen. Doch ich sagte: Nein, wenn, dann alles zusammen! Ich kam dann zur Eröffnung und alles hing. Ich habe den Direktor dann gefragt, wie er das denn nun gemacht habe. Und er antwortete: Der oberste Boss von der Kirche nebenan war da und hätte gemeint, Männer sind auch nur Menschen und dürfen gezeigt werden.

Wie stehst du zu „Kunst“ der KI? Ach, als Bedrohung sehe ich sie nicht. Ich, wir Menschen haben anderes Wissen, das sie noch nicht wissen kann. Zum Beispiel, dass man bei Porträts immer die Hände und Füße größer malen muss als in echt, sonst wirken sie zu klein. Ich kann Dinge aus dem Gedächtnis malen, die KI braucht immer eine Vorlage.mMalen ist ein Prozess, wo noch vieles während des Malvorgangs entschieden wird und sich permanent ändert. Kein Bild wird am Ende so wie geplant. Und Malen ist rauschhaft. Rausch kennt keine KI.

*Interview: Michael Rädel www.sigurdwendland.de

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