ANNIE LENNOX: ICH BIN EBEN FEMINISTIN

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Foto: R. Sebree

Annie Lennox erklärt im Gespräch über ihr neues Album Nostalgia, warum Reichtum verpflichtet, sie nicht Mutter Teresa ist und Männer etwas Tolles sind.

WAS HAT SIE DAZU BEWEGT, EIN ALBUM MIT SONGS DER 1930ER- UND 1940ER-JAHRE AUFZUNEHMEN?

Ich habe einfach Geschmack an der Musik dieser Ära gefunden. Zugleich wurde mir bewusst, dass schon bald der Zeitpunkt kommt, an dem alle Leute meiner Generation verschwunden sein werden. Es ging mir bei diesem Projekt also auch um den Gedanken an Vergänglichkeit und die Frage, was von uns bleibt.

VOR NICHT ALLZU LANGER ZEIT HABEN SIE SICH IM RAHMEN EINER TV-SERIE DER BBC IN IHRE EIGENE VERGANGENHEIT AUF AHNENFORSCHUNG BEGEBEN

Die Serie heißt Who Do You Think You Are?. Normalerweise lasse ich mich nicht auf Fernsehproduktionen ein, aber das war eine unglaubliche Gelegenheit, die ich mir nicht entgehen lassen wollte. Die Macher der Sendung durchleuchten deine Vergangenheit, deinen Stammbaum. Und häufig fördern sie tatsächlich schockierende Dinge zutage.

HABEN SIE SCHOCKIERENDES ÜBER IHRE VORFAHREN HERAUSGEFUNDEN?

Ich habe sehr viele faszinierende Dinge erfahren. Ich stamme aus dem Nordosten Schottlands, aus Aberdeen. Meine Großmutter hat ihren Vater nie kennengelernt. Sie war drei Jahre alt, als er starb. Und entsprechend wusste sie auch so gut wie nichts über seine Vorfahren. Aber wir hangelten uns seinen Stammbaum entlang und das brachte uns zu einem sehr kleinen, historischen Küstenort nördlich von Aberdeen. Es war, als ob die Welt von Charles Dickens zum Leben erweckt worden wäre. Viele Mitglieder meiner Familie waren so arm wie Figuren aus einem Dickens-Roman. Und es gab eine klare Trennung zwischen den gesellschaftlichen Klassen. Leute aus der Oberschicht gaben sich nicht mit Leuten aus den unteren Schichten ab. Das war im Grunde wie Apartheid, eine soziale Apartheid. Mir eröffnete sich ein ganz neuer Kosmos.

IM GEGENSATZ ZU IHREN VORFAHREN SIND SIE WIRKLICH NICHT ARM. INSOFERN HAT SICH IM LAUFE DER GENERATIONEN EINIGES GEÄNDERT IN IHRER FAMILIE ...

Seltsamerweise bin ich zu Geld gekommen, was dazu führte, dass ich viele Reisen machen konnte, viel gesehen und erlebt habe. Ohne diese Erfahrungen wäre mein Leben anders verlaufen. Ich frage mich, ob sich meine Urgroßeltern mit einem Menschen wie mir identifizieren könnten. Ich bin eine Frau, die ihr gesamtes Leben lang finanziell absolut unabhängig war. Und das allein ist ja schon ungewöhnlich. Rückblickend bin ich sehr dankbar für viele Dinge, die ich damals möglicherweise als selbstverständlich hingenommen habe. Ich habe eine Ausbildung genossen, das Musikmachen wurde mir beigebracht. Allerdings war es nie meine Absicht, Musik zu machen, um reich zu werden. Du kannst nicht zugleich Künstlerin und Geschäftsfrau sein.

GESCHÄFTSFRAU ODER NICHT - DENNOCH HABEN SIE MIT IHRER MUSIK SEHR VIEL GELD VERDIENT. IST DAS DER GRUND DAFÜR, DASS SIE SICH WELTWEIT FÜR HIV-POSITIVE, FRAUEN, FLÜCHTLINGE UND VIELE ANDERE DINGE ENGAGIEREN? HABEN SIE DAS GEFÜHL, ETWAS ZURÜCKGEBEN ZU MÜSSEN?

Das Gefühl habe ich tatsächlich. Wenn du die Mittel dazu hast, solltest du auch etwas zum Gemeinwohl beitragen. Auch wenn das nicht alle tun. Ich bin oft sehr verstört und frustriert von dem was in der Welt geschieht, fühle mich ohnmächtig. Manches ist unerträglich für mich.

WORAUF SICH VIELE LEUTE VERMUTLICH IN ZYNISMUS FLÜCHTEN ODER EINFACH NUR AUFGEBEN. SIE NICHT?

Ich bin auch nicht Mutter Teresa. Ich bin ein egoistischer, ein eitler Mensch und verfolge meine eigenen Interessen. Das ist aber etwas, was wir alle machen. Ich bin nicht altruistischer als andere.

SIE MEINEN, DASS SIE NICHT AUSSCHLIESSLICH ALTRUISTISCH SIND?

Vielleicht. Wenn ich gewisse Ressourcen besitze, sei es meine Zeit, meine Energie oder irgendeine Art von Plattform, dann muss ich jeden Tag entscheiden, wie und für was ich sie einsetze. In diesem Jahr habe ich mich ein wenig zurückgenommen, weil ich Musik machen wollte. Aber selbst dann engagiere ich mich noch. Sei es, dass ich Geld für eine bestimmte Aktion sammle, dass ich etwas für eine Auktion zur Verfügung stelle oder dass ich mich irgendwo zeige, um etwas Aufmerksamkeit für eine Sache zu generieren. Wenn ich das Gefühl habe, dass es um eine gute Sache geht und wenn ich etwas zum Erfolg dieser Sache beitragen kann Warum nicht? Das ist wichtig für mein Leben. Ich habe das Gefühl, dass ich es tun muss.

SIE HABEN EIN SEHR BEWEGTES, FARBENFROHES VIDEO ZUM SONG MOOD INDIGO GEDREHT. ZU IHREM KOSTÜM TRAGEN SIE DORT EINE SCHÄRPE MIT DER AUFSCHRIFT FEMINIST. WARUM?

Ich bin eben eine Feministin. Ich will erreichen, dass das Wort respektiert und wertgeschätzt wird und will nicht, dass Feminist ein Synonym für Diva wird. Als Mutter zweier Töchter spüre ich, dass es unglaublich viele Themen gibt, die Frauen berühren und um die wir uns kümmern müssen. So einfach ist das. Ein Mann kann Feminist sein. Sie können ein Feminist sein. Wenn Sie ein intelligenter Mann sind, können Sie ihre Lebensweise nach feministischen Gedanken ausrichten. Sie sind sich vielleicht nicht einmal bewusst, dass Sie das längst tun, aber dann sind sie eben unbewusst Feminist (lacht). Ich glaube, mit diesem Problem hatte der Feminismus schon immer zu kämpfen hatte. Männern ist die scheinbar strenge und mahnende Haltung des Feminismus fremd. Aber wenn es uns gelingt, Männer mit ins Boot zu holen, kommen wir leichter auf einen Erfolgskurs (lacht).

SIE WURDEN SCHON HÄUFIG ALS FEMINISTISCHE IKONE BEZEICHNET. WIE STEHEN SIE DAZU?

Ach, Ikone? Das ist nur ein Label. Sie müssen ihren Worten Taten folgen lassen. Darauf kommt es an. Es genügt nicht, sich auf dem Podest solcher Bezeichnungen auszuruhen.

SIE HABEN SICH SELBST KÜRZLICH ALS FEMINISTIN DIE MÄNNER LIEBT BEZEICHNET.

Ich wollte das nur noch einmal klarstellen. (lacht).

*Interview: Michael Ernst


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