DIE FRAU, DIE SICH NICHT ZEIGEN WILL: SIA

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Es ist schon interessant, dass es Künstler gibt, bei denen man als Erstes daran denkt, dass man ihr Gesicht nicht kennt. Bei Sia geht das nur schwer, dafür macht Sia den Pop der Zukunft. Und ja, natürlich versteckt sie sich nicht hinter Masken, aber in der heutigen Welt ist es schon ein gewaltiges Stück Anonymität, wenn man sein Gesicht nicht bei jeder Gelegenheit in jede Kamera hält, nicht durch seine eigenen Videos tanzt und nicht jede halbe Stunde ein neues Selfie auf Instagram postet.

FOTO: SONY MUSIC

Für solche Kindereien ist Sia Furler auch schon zu lange im Geschäft – ihr erstes Album erschien bereits vor fast zehn Jahren, aber den meisten dürfte sie erst seit kurzem bekannt sein: seit dem letzten Album „1000 Forms of Fear“ und vor allem seit dem Video zur „Chandelier“, in dem einfach ein kleines Mädchen auf gar nicht einfache Art durch ein Haus tanzt und damit über eine Milliarde Views erreicht hat. Nicht nur deswegen ist Sias neue Platte „This Is Acting“ mehr als nur heiß erwartet – und die erste Single „Alive“ liefert dementsprechend groß ab. Das ist Pop für große Arenen und eine Lichtshow, die einem die Netzhaus weglasert. Man hört dem Lied an, dass eine gewisse Adele daran mitgearbeitet hat. Zu sehen ist Sia im Video zwar wieder nicht, aber alles weist darauf hin, dass sie bereit ist, ihrer Kollegin zu folgen und die Welt zu übernehmen. Prognose für 2016: Das könnte klappen.

Doch Sia ist einen langen Weg gegangen, um an diesen Punkt zu kommen. Anfangen hat sie in einer Acid-Jazz-Band in ihrer Heimatstadt Adelaide. Später, nachdem sie nach London gezogen war, sang sie für Jamiroquai und wurde Frontfrau für Zero 7. Sie begann damals auch schon ihre Solokarriere, die allerdings nie richtig in die Gänge kam (woran auch regelmäßiger Ärger und viel Unzufriedenheit mit ihren Labels schuld war). Dafür wurde sie umso erfolgreicher darin, für andere Sängerinnen zu schreiben, zum Beispiel für Christina Aguilera und Rihanna. Und dann kam endlich „1000 Forms of Fear“ und machte sie selbst zum Star.

Das Schönste an diesem Erfolg ist vielleicht, dass Sia damit die sonst üblichen Regeln, wie Karrieren im Popgeschäft ablaufen, komplett aushebelt: Seinen Durchbruch mit Ende dreißig haben – wie oft hört man eine solche Geschichte heutzutage schon? Wahrscheinlich ist Sia nur die Ausnahme, die die Regel bestätigt, aber gerade deshalb ist sie so spannend und so erfrischend. Dass ihre Musik dabei nicht auf Nummer sicher geht, sondern die Möglichkeiten des Pop der Gegenwart erweitert, ist umso schöner. Denn schon in „Alive“ – das nicht nur mit, sondern eigentlich für Adele geschrieben wurde – steckt mehr Tiefe und Gefühl und eine so umwerfende Produktion, dass man sich einfach ergeben will.

„Alive“ steht dabei auch gleich für das gesamte Konzept hinter „This Is Acting“, denn bei den neuen Liedern handelt es sich um Songs, die Sia eigentlich für andere Künstler geschrieben hat. Sie singt ganz bewusst Lieder und Texte, die nicht für sie gedacht waren und nicht Ausdruck ihrer Gedanken und Gefühle sind. Im Gegenteil. Und gerade deswegen hat sie bei diesem Album so viel Spaß gehabt, denn sie arbeitet hier ganz und gar wie eine Schauspielerin.

Da würde es nun nicht mehr überraschen, wenn sie demnächst eine Filmkarriere beginnt. Warum nicht, mit nur Anfang vierzig? Und dann wüsste auch endlich jeder auf der Welt, wie Sia Furler aussieht. •Hans Nixon

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