Gabriels: Beängstigend brillant

by

Foto: Amelia Troubridge

Das amerikanisch-englische Trio hat mit „Angels & Queens“ eines der bisher außergewöhnlichsten und besten Alben des Jahres abgeliefert. Wir unterhielten uns mit dem Sänger Jacob Lusk.

Jacob Lusk wuchs in einem Umfeld auf, in dem Pop verpönt war. „Meine Mutter und meine Großmutter haben weltliche Musik im Haus nicht gestattet“, sagt der Sänger von Gabriels, dessen Stimme man nicht mehr vergisst, sobald man sie auch nur einmal gehört hat. „Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass meine Familie wirklich sehr, sehr christlich war. Ich wurde praktisch in die Kirche hineingeboren.“ Lusk, der für das Gespräch um 9 Uhr morgens per Video aus London zugeschaltet ist, macht trotz der frühen Stunde einen sehr lebhaften Eindruck. Ein lustiger Kerl, fast schon übersprudelnd vor Begeisterung und Leidenschaft, hochmotiviert, um über sich selbst und seine Band zu sprechen. „Mein Spielplatz war der Kirchenchor. Ich sang drei, vier Mal die Woche, und das noch bevor ich überhaupt zur Schule ging.“

Lusk, der sein Alter nicht verrät, wuchs im berühmt-berüchtigten Compton auf, einem Stadtteil von Los Angeles, der gleichermaßen für Banden- und Drogenkriminalität sowie als eine der bedeutendsten Standorte für Rapmusik und Hip-Hop-Kultur.  Das 1988 veröffentlichte Debütalbum „Straight Outta Compton“ der Rap-Gruppe N.W.A. ist beispielsweise legendär. Auch Kendrick Lamar kommt aus Compton, er ging sogar auf dieselbe High School wie Jacob. „Ich selbst fing an, Popmusik zu hören und zu lieben, als ich fünfzehn war“, sagt er. „Ich war ganz verrückt nach Beyoncé, nach Jessica Simpson und ich liebte Stimme und Look von Gwen Stefani.“ 2011 entscheidet sich Jacob Lusk für eine Teilnahme in der Talentshow „American Idol“, er wird immerhin Fünfter und stellt fest, dass ihm das Leben außerhalb der Gospelchorblase zunehmend Freude bereitet. Als Backgroundsänger etwa von Nate Dogg hatte er sich zuvor bereits einen Namen gemacht, und eines Tages im Jahr 2015 machte er die Bekanntschaft des kalifornischen Musikkomponisten und Multiinstrumentalisten Ari Balouzian sowie des in England geborenen Regisseurs und Produzenten Ryan Hope. Für ein Projekt suchten die beiden einen Chor und fanden – nach einigen Irrungen und Wirrungen – Jacob Lusk. „Wir sind drei sehr unterschiedliche Charaktere“, sagt dieser, „aber es gibt definitiv mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen uns. Wir drei zusammen, wir sind Gabriels.“

Erst probten sie nur unregelmäßig, Jacob war inzwischen Leiter seines Kirchenchors, 2018 aber trugen sie ihren Song „Loyalty“ für einen Werbefilm von Prada bei, und seither ist der Aufstieg von Gabriels geradezu atemberaubend. „Ich versuche, mich von dem Druck und dem Hype nicht zu sehr beeindrucken zu lassen“, sagt Lusk, „und ich habe es auch bisher nur ein einziges Mal geschafft, mir unser Album anzuhören. Irgendwie habe ich Angst davor.“ Dabei ist „Angels & Queens“, das Debütwerk von Gabriels vor allem eins: beängstigend brillant. Die Songs bieten eine vollumfängliche Betörungserfahrung, sehr geschickt wandeln die drei zwischen einem leichten Vintage-Gefühl, cineastisch ausgeklügelten Arrangements, mitreißenden Melodien und einer durch und durch modernen Produktion (für die Kendrick-Mitarbeiter Sounwave mitverantwortlich war). Genres bedeuten hier nicht viel, Gospel, Soul, Jazz und Pop sind die stilistischen Leitplanken, zwischen denen die Stimme von Jacob Lusk funkelt und stahlt. Zu den Bewunderern von Gabriels zählen bereits Koryphäen wie Steven Tyler von Aerosmith („Ich muss weinen, wenn ich dich singen höre“) und Elton John. In seinen Texten beschäftigt sich der Fashion-vernarrte Lusk (aktuell liebt er vor allem die Kombi aus Smoking und Käppi) indes nicht nur mit göttlichen, sondern auch sehr weltlichen Überlegungen. In „Taboo“ etwa geht es um „die vertrackten Situationen, wenn du etwas mit einem Menschen anfängst, mit dem du besser nichts anfangen solltest“, der Titelsong ist eine warmherzige Ode an ein gefallenes Model (Lusk sagt nicht, wen er konkret im Sinn hatte), und die bislang bekannteste Nummer, das grandiose „Love And Hate In a Different Time“, schlägt einen weiten Bogen von Trauerfällen im Freundeskreis des Sängers bis zu den „Black Lives Matter“-Protesten und einer grundsätzlich hoffnungsvollen Einstellung bezüglich des Glaubens an eine Entwicklung hin zu mehr Gerechtigkeit und Diversität. *Interview: Steffen Rüth

Back to topbutton