#Interview 🌈 Künstler und Queer-Aktivist: Stefan Kuschner

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Foto: MAD FOX productions / www.madfoxproductions.de

Wenn am 27. Juli rund eine halbe Million Menschen für queere Rechte auf die Straße geht, ist einer, der für einen reibungslosen Ablauf der größten Demonstration der Hauptstadt verantwortlich ist, seit einem guten halben Jahr Stefan Kuschner. Worum er sich als Teil des CSD-Vorstandes genau kümmert und was eigentlich aus seiner umstrittenen Kunstfigur Hatice Özgür geworden ist, erzählte er uns bei einem Kaffee in Schöneberg.

Wie ging es eigentlich mit deiner Karriere als schwuler Künstler los?

Ich bin in Berlin geboren worden, in Belgien aufgewachsen, in Aachen aufs Gymnasium gegangen und in Maastricht habe ich Musik studiert. Moderne Musik und Gesang hieß der Studiengang. Den gab es so in Deutschland nicht. Da war es immer in Verbindung mit Tanz und Gesang. Das wollte ich gar nicht machen. Ich habe auch in Aachen dann schon eine kleine Karriere gemacht und durfte dort eine sehr renommierte Nachwuchsmodenschau moderieren und Musik komponieren.

Foto: F. Busch

Und wie kamst du dann zu Ades Zabel?

Ich hab schon wieder in Berlin gewohnt. Wir saßen beim Essen, Malediva und ich. Plötzlich geht sein Telefon und ich höre nur „Hallo Ades“ und dann war Lo ’ne viertel Stunde draußen und als er wieder reinkam, meinte er nur kurz: „Ach, der sucht noch jemanden für ein Programm. Wir können aber nicht, weil wir selber so viel um die Ohren haben.“ Dann haben wir erst mal weitergegessen. Nach wieder einer viertel Stunde hat Lo dann aufgeguckt und gesagt: „Na, aber du hast doch Zeit. Du kannst das doch machen.“ Ich völlig konsterniert: „Bei Ades Zabel?!? Ich hab studiert! Auf keinen Fall.“ Noch eine viertel Stunde später hab ich mir dann gedacht, dass ich doch völlig bescheuert wäre, so was abzulehnen. Natürlich mach ich das. Und ich hab das dann 13 Jahre lang gemacht. Ich bin unglaublich dankbar für diese Zeit. Ades hat mir freie Hand gelassen und ich konnte alles, was ich gelernt habe, umsetzen und ich habe bei Ades weit mehr gelernt als im Studium.

Foto: MAD FOX productions / www.madfoxproductions.de

Du hast jetzt aber damit aufgehört. Warum?

Also zuerst einmal hat alles seine Zeit. Es war wunderbar und ich bin mit Ades und Biggy weiter eng befreundet, aber es war auch genug. Ich finde außerdem, als CSD-Vorstandsmitglied muss ich noch mal neu sortieren, was geht und was nicht. Das Parkfest Friedrichshain werde ich weiter moderieren. Die Moderation und Planung von Shows ist eher das, was ich vermehrt und ja auch schon lange mache.

Deswegen die Entscheidung, in den CSD-Vorstand zu gehen?

Nein, ich hatte zwar im letzten Jahr den Song geschrieben, ihn mit Matthias Köninger produziert und als Marie Mondieu performt und moderiert, aber die Vorstandstätigkeit ist ja viel mehr: Vernetzung, Planung und verdammt viel Arbeit, weil wir ja ein geschäftsführender Vorstand sind und nicht „nur“ repräsentieren.

Welche Bereiche hast du dir ans Bein gehängt?

Ich bin maßgeblich an der Organisation des ersten Wagens und der Infostände rund um das Stadtfest Schönenberg beteiligt. Zusammen mit meinen Vorstandskollegen planen wir wieder einen Empfang kurz vor dem CSD und hinzu kommen viele kleine Aufgaben, die so ein Vorstand eben entscheiden und betreuen darf.

Machst du wieder einen Song?

Ja. Diesmal  für den CSD Deutschland e. V., den können dann die CSDs, die wollen, übernehmen. Wir produzieren das alles und stellen es zur Verfügung. Das wünsche ich mir auch für die Zukunft noch breiter aufgestellt: Ich würde gerne die Kulturschaffenden unserer Community, von schwulen Bläsern über die queeren Chöre bis zu den Musikern, einladen, sich jetzt schon bei mir zu melden, damit wir das wirklich zu einer Institution ausbauen und einen vielfältigen kreativen Input haben für die CSD-Songs der kommenden Jahre.

Foto: sergej

Was erhoffst du dir von deiner Vorstandstätigkeit für die Szene?

Ich bemerke, dass wir uns in der Gesellschaft sehr auf die Freiheit der Identitäten konzentrieren. Was immer gerne so ein wenig lächerlich gemacht wird, diese immer länger werdende Buchstabenreihe, ist eigentlich ein positives Ding: In den Köpfen passiert etwas, das Individualismus ganz grundsätzlich aus alten Denkschemata herauslöst und es erlaubt, tatsächlich so zu leben, wie jeder es für sich für richtig hält. Da sind Queers natürlich ganz vorne dabei und das ist auch kein ganz einfacher Prozess, der zu Missverständnissen und einem Auftrittsverbot führen kann.

Du sprichst deine Kunstfigur Hatice an ...

Ja. Ich kann nicht für meine Vorstands-, Team- und Künstlerkolleg*innen sprechen, aber ich muss sagen, dass mir das Auftrittsverbot, weil ich als weißer Cis-Mann keine Türkin spielen „darf“, über das gut gemeinte Ziel hinaus geschossen erscheint. Irgendwelche Menschen haben einen winzigen Ausschnitt aus dem Programm mit dem Handy gefilmt und ins Netz gestellt. Ich habe ein Auftrittsverbot bekommen und die Sache ist bis heute nicht abgeschlossen und wird immer wieder hervorgekramt. Und ich finde das gut! Diese Diskussion hat eine Debatte entfacht, wie man mit Humor und Identitäten umgeht. Wer ein Programm gesehen hat, wird mir zugestehen, dass ich Hatice mit großem Respekt, sensibel und liebevoll entworfen habe. Die Rückmeldungen gerade aus der türkischen Community waren durchweg positiv.

Hast du mit Idil Baydar mal darüber gesprochen?

Ja natürlich. Wir haben ja schon zusammengearbeitet in der Bar jeder Vernunft. Sie will unbedingt etwas mit Hatice zusammen machen und das wird auch so passieren. Aber um zum Punkt zurückzukommen, mein Ansatz ist der: Wie wollen wir in unseren westlichen Gesellschaften miteinander umgehen? Es geht nicht darum, wie ich die Menschen wahrnehme, sondern darum, wie der Mensch wahrgenommen werden will. Das ist neu und nicht einfach, da wir in immer größerer Diversität leben können. Im Zweifel hilft fragen. Und ganz sicher hilft bei aller Unsicherheit Humor. All die oft verbissene Ernsthaftigkeit zeigt nur, wie wichtig uns allen das Thema ist und sein soll. Wir leben in neuen Zeiten, in denen wir uns als queere Menschen nicht mehr zwingend brauchen, sondern füreinander entscheiden. Ich wäre glücklich, wenn ich dazu beitragen könnte, dass wir wieder ein wenig Leichtigkeit in unseren Debatten zulassen.

*Interview: Christian Knuth°

27.7., CSD Berlin, Start: Kurfürstendamm / Ecke Joachimsthaler Straße, 12 Uhr, Finale: Straße des 17. Juni / Brandenburger Tor, 16 Uhr, www.csd-berlin.de


°Transparenzhinweis: Autor Christian Knuth war von Anfang 2016 bis Anfang 2018 ehrenamtliches Mitglied des Vorstandes und ist bis heute einfaches Mitglied im Berliner CSD e.V.


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