SO36: „Schon ein Scheißgefühl ...“

by

Foto: M. Rädel

Die Corona-Fälle werden immer mehr, das Nachtleben wird wieder – und noch mehr – heruntergefahren. Höchste Zeit, mit denen zu sprechen, die in der Klub- und Konzertwelt arbeiten: Steff und Pasqual vom SO36 in der Oranienstraße in Kreuzberg.

Eigentlich wolltet ihr im Oktober eure Trinkhalle öffnen.

Pasqual: Genau, den Sommer über haben wir die Füße still gehalten, weil wir es nicht so sexy fanden, in unsere Halle einzuladen, wenn draußen super Wetter ist. Wir dachten, das macht keinen Sinn. Und jetzt, wo es kälter wird, wollten wir zumindest an den Wochenenden eine „große Kneipe“ anbieten, die an manchen Abenden von unseren Partyformaten wie „Gayhane“ inspiriert ist. Daran wollen wir auch festhalten – mit Hygienekonzept und Mindestabstand. Wir haben eine super Lüftungsanlage, das zahlt sich in der aktuellen Situation noch einmal mehr aus. Eine Voranmeldung wird nicht nötig sein.

Foto: M. Rädel

Fühlt ihr euch vom Senat alleingelassen? Gab es schon Geld?

Steff: Wir haben im Juni einen Antrag auf Schaffung von Homeoffice-Plätzen gestellt, im Juli einen Antrag auf Überbrückungsgeld. Ich bin überzeugt davon, dass uns dieses Geld zusteht, doch wann kommt es? Bisher nicht. Jetzt kommt noch dazu, dass für August und September das Kurzarbeitergeld nicht ausgezahlt wurde, wir mussten da in Vorleistung gehen. Die Lage ist extrem unsicher, die Kosten laufen weiter, Löhne und Versicherungen müssen ja bezahlt werden. Wenn das Geld kommt, dann halten wir bis Januar durch, dann muss man weitersehen.  

Wie hat sich der Arbeitsalltag verändert?

Pasqual: Es ist schon wichtig, sowohl für den Laden als auch für das eigene Gefühl, hierherzukommen. Wir haben E-Mail-Verkehr, Bookings ... Man muss schon kommen, man hat nicht mehr dieselbe Stundenzahl, aber wir versuchen, Montag bis Freitag das Büro offen zu halten. Was guttut, sind die lieben E-Mails, die man bekommt.

Steff: Was aber gerade so richtig nervt, ist, dass wir für die letzten vier Jahre eine Steuerprüfung bekommen haben. Alle sind in Kurzarbeit und niemand hat Zeit, dann kommt das Finanzamt ... Dieser Zeitpunkt ...

Pasqual: Wir sind hier intern echt bestrebt, das Arbeitsvolumen zu reduzieren, dann kommt so was.

Foto: M. Rädel

Rückte das Team enger zusammen?

Pasqual: Man sieht viele gar nicht mehr! Wir arbeiten in vielen Gewerken an vielen Orten. Wenn ich an meine Kolleg*innen vom Tresen und der Technik denke, die sehe ich nicht mehr. Das fehlt mir persönlich total. Und im Büro versuchen wir, darauf zu achten, dass nicht zu viele gleichzeitig im SO36 sind. Manches dauert jetzt dadurch auch einfach länger.

Habt Ihr einen Plan B für 2021?

Steff: Was es gibt, ist der „Neustart Kultur“-Antrag, den wir stellen werden für das erste halbe Jahr. Also Konzerte, interaktive Formen des Streamings. Selbst wenn ein Impfstoff im Januar käme, dauert ja alles, ich rechne nicht vor Sommer mit Normalbetrieb. Wir haben Türsteher*innen, die kontrollieren, wir haben eine tolle Lüftung.

Eure Merchandising-Produkte haben euch schon geholfen, oder?

Pasqual: Es fühlt sich allgemein etwas komisch an, sich von diesem Staat retten zu lassen. (lacht) Im März und April, als es losging mit den Spenden, da legte auch der Merch-Verkauf los. Das hat uns über den Sommer gerettet. Ohne diesen Verkauf wäre es eng geworden. Gerade hat es etwas nachgelassen, bei vielen ist unsere Lage nicht mehr im Bewusstsein, weil manche Adressen große finanzielle Unterstützung bekommen haben. Aber wir nicht! Zwar haben wir ein gutes Standing in der Szene und unsere Gäste ließen und lassen uns nicht hängen, aber bisher kam staatlich nichts an. Gerade die kleinen queeren Orte gehen momentan drauf. Deswegen gehen wir damit so raus, um unsere Stimme für alle zu erheben.

Vergleicht ihr das mit der Aids-Krise der 1980er?

Steff: Ich kann mir vorstellen, dass man damals noch eher die Kosten auf null setzen konnte. Heute geht das nicht mehr, die besetzten Klubs der 1980er hatten nicht Festkosten von 25.000 Euro im Monat, wir schon.

Denkt man da gar, dass Vermieter die Krise nutzen, dass die Klubs gehen?!

Pasqual: Manche Immobilienfirma wird so eine Denke haben. Ob die Stadt solche Hintergedanken hat, keine Ahnung.

Steff: Wir sind international bekannt, wir sind immer noch ein Tourismusfaktor, warum sollte man uns weghaben wollen? Aber es passiert einfach nichts. Aber ich denke nicht, dass der Senat Berlin sauber bekommen will.

Pasqual: Was uns deutlich von anderen unterscheidet, ohne die Bedeutung der anderen schmälern zu wollen, ist, dass beim SO36 ein Augenmerk darauf liegt, die Nachbarschaft mit einzubeziehen, dass wir versuchen, die Räume auch an Gruppen weiterzugeben, wo wir keinen finanziellen Gewinn rausziehen. Wir wollen auch diverse und politische Veranstaltungen. Jetzt keine Soli-Preise anbieten zu können, schmerzt uns auch, aber es geht gerade nicht. Das ist schon ein Scheißgefühl.

Wie hat Corona die Gäste verändert?

Pasqual: Man geht hier achtsamer miteinander um. Gemeinsam, aber man läuft der anderen Person nicht ins Revier. Es war schön zu sehen, dass alle ohne Diskussion Masken tragen. So schwer ist das ja nicht.

Steff: Man überlegt sich bei jeder Demo, ob man hingeht und wie das wird. Aber mit Abstand geht alles ...

Pasqual: Es kann ja auch nicht immer alles online gehen, echter Kontakt tut gut.

*Interview: Michael Rädel

www.so36.de


Back to topbutton