„Echt, Mann?!“ – auf der Suche nach neuen Männerbildern

by

Foto: Daniel Dornhöfer

„Wann ist man ein Mann?“ hat Sänger Herbert Grönemeyer bereits 1984 gefragt und schon damals die sich wandelnde Männerrolle thematisiert. Mit metrosexuellen und retrosexuellen Männerbildern, zwischen #MeToo, neuer Homophobie, Fitnesswahn und Elternteilzeit hat sich an der „Krise der Männer“ nicht viel geändert.

Die Frankfurter Theatermacherin Carola Moritz hat mit ihrem Projekt Compagnie en Route und den Schauspielern Christoph Gérard Stein und Ives Pancera unter dem Titel „Echt, Mann?!“ vier Theaterstücke zusammengestellt, die sich auf unterschiedliche Art und Weise mit dem Thema Männlichkeit auseinandersetzen; dabei stellt sich das Ensemble die Fragen „Wie wollen wir heute unsere Sexualität leben?“ und „Ist das biologische Geschlecht noch wirklich wichtig?“.

Auf dem Spielplan stehen die Parabel „Striptease“ des polnischen satirischen Theaterschreibers Sławomir Mrożek, Manuel Puigs „Der Kuss der Spinnenfrau“, Bodo Kirchhoffs Solo-Einakter „Der Ansager einer Stripteasenummer gibt nicht auf“ sowie die musikalisch-theatralische Revue „Echt, Mann?!“, die sich mit Texten und Liedern von Aristophanes bis Herbert Grönemeyer auf eine Reise der Diversität geht. Ende April sollte mit „Striptease“ die Premiere des ersten der vier Stücke gefeiert werden – die konnte leider nicht stattfinden. Wir haben mit Christoph Gérard Stein über „Echt, Mann?!“ und die „neue Männlichkeit“ gesprochen.


Foto: Melina Johannsen

Christoph, wie ist der aktuelle Stand eurer Produktion?

Wir hatten schon die Termine für alle Stücke geplant, die mit dem neuen Lockdown leider alle hinfällig geworden sind. Im Moment sind wir ratlos, weil wir keine Planungssicherheit haben. Auf die Plakate haben wir „Coming soon“ gedruckt. Wir hoffen, dass wir im Laufe des Mai oder Juni spielen können, aber sicher ist das natürlich auch nicht.

Striptease“ habt ihr bereits als Video aufgezeichnet – wäre ein Stream für euch eine Alternative?

Ungerne. Von der Art der Stücke und wie wir sie inszeniert haben, ist es wichtig, dass das Publikum direkt vor Ort ist, um es besser miterleben zu können. Wir haben bei „Striptease“ und „Der Ansager“ zum Beispiel auch Vanessa P. eingebaut, die das Publikum in das Geschehen einführt und eine kleine Show gibt. In „Striptease“ geht es ja um zwei Personen, die in einem Raum gefangen sind, und da ist es natürlich ganz schön, wenn das Publikum diese Atmosphäre auch mitbekommt. Und das ist spürbarer wenn man direkt vor Ort ist und es nicht über einen Bildschirm sieht.

Striptease“ habt ihr inhaltlich umgestaltet: In eurer Version sitzen zwei Dragqueens in dieser besagten „Zelle“. Enthält das Stück in seiner ursprünglichen Form schon entsprechende Untertöne?

Nein, gar nicht, Das Stück wurde in den 60er Jahren geschrieben und beschreibt die Situation in Systemen, die das Individuum unterdrücken. Im Originaltext sind es zwei Herren in grauen Anzügen, die keine erkennbare Individualität besitzen. Beim Lesen ist uns das Thema quasi entgegengesprungen und wir haben gemerkt, dass zwei Dragqueens super passen. Es war mit Sicherheit nicht die Absicht des Autors. Aber dadurch, dass er sehr verrückte Stücke und Parabeln geschrieben hat, könnte ich mir vorstellen, dass er damit gar nicht so unglücklich wäre.

Wir sind ja auch davon beeinflusst, was gerade in Frankfurt und darüber hinaus passiert. Und gerade hatten wir hier in Frankfurt ja wieder ein unschönes Beispiel. Die Hemmungen zur Gewalt scheinen mittlerweile viel niedriger geworden zu sein. Man merkt, da ist eine hohe Aggression, und ich glaube, dass nicht wenige Menschen, die wie auch immer „anders“ aussehen, tatsächlich häufiger Gewalt erleben. Für uns war das Anlass, das auch ins Stück aufzunehmen. Und das funktioniert sehr gut. Wir haben zwei Figuren, die als Drags richtig aufgedonnert erscheinen, und die gar nicht wissen, was mit ihnen geschieht. Sie erfahren eine Demütigung nach der anderen. Sie werden dazu aufgefordert, das was sie als Dragqueens ausmacht, nach und nach abzulegen, bis sie quasi nackt sind. Zwei Häufchen Elend. Die Individualität geht verloren, all das was uns ausmacht geht verloren, es geht nur noch um Anpassung und Unterwerfung. Das ist das Thema des Stücks.

Foto: Daniel Dornhöfer

Wie passt „Der Ansager einer Stripteasenummer gibt nicht auf“ in eure Reihe?

Im Stück gibt es Andreas, der eine Stripteasetänzerin namens Andrea ankündigt. Im Laufe des Stücks kommt heraus, dass Andreas und Andrea vermutlich ein und dieselbe Person sind. In der Regel wird das von einem männlichen Darsteller gespielt. Wir haben das völlig verändert und die Rolle bewusst mit einer Frau besetzt, die sowohl männliche als auch weibliche Anteile in sich trägt. Wir werden dabei aber nicht in Richtung Travestie gehen. Wir haben daraus etwas anderes gemacht. Je mehr wir uns mit dem Text auseinandergesetzt haben, desto mehr Themen haben wir gefunden. Zum Beispiel geht es um die Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität, womit die Figur Andreas/Andrea offensichtlich ein Problem hat. Außerdem gibt es eine Andeutung einer inzestuösen Beziehung zur Mutter. Die Figur versucht, sowohl über Andreas als auch über Andrea bestimmte Aspekte ihres Lebens auszuleben und stößt dabei immer wieder an Grenzen. Das haben wir noch stärker herausgearbeitet: Wir haben jetzt eine Figur, von der wir nicht genau wissen, ob sie Mann oder Frau ist. Und wir wissen auch nicht, ob das überhaupt eine Rolle spielt. Die Figur ist irgendwo dazwischen, wobei ich da jetzt nicht von einer trans*identen Person sprechen würde, weil die Verhältnisse da nochmal anders liegen. Es ist eine Figur, die weder mit dem rein weiblichen noch mit dem rein männlichen Geschlecht leben kann oder will. Wir spielen immer wieder mit dieser Möglichkeit, sich der binären Ausrichtung zu verweigern, sich nicht festlegen zu wollen. Bin ich Andreas oder Andrea? Vielleicht bin ich beides oder auch etwas ganz anderes? Und damit passt es auch in unser Konzept. Wir haben da lange gezweifelt und gehadert, bis wir gemerkt haben, es ist völlig egal, ob es eine Frau oder ein Mann ist. Schauen wir mal, was der Autor Bodo Kirchhoff dazu sagt; der lebt ja in Frankfurt ...

Der Kuss der Spinnenfrau“ passt auf den ersten Blick in eure Reihe! 

Ja, das Stück und der Film sind sehr bekannt. Und es gibt „Der Kuss der Spinnenfrau“ inzwischen auch als Musical.

Wir sind mit unserer Inszenierung momentan noch im Findungsprozess und am Ausprobieren. Aber wir wollen das Ganze ein bisschen aus dem Kontext des Films und des Theaterstücks herauslösen. Es spielt ja eigentlich in einem südamerikanischen Gefängnis, aber wir wollen mehr eine Art Labor daraus machen. Die beiden Figuren sollen wie in einer Laboranordnung beobachtet werden und anstelle der Gefängniswärter wird es eher eine Labormitarbeiter*in geben. Was wirbelassen haben sind die beiden Figuren, die außerhalb der Gesellschaft stehen. Ursprünglich ist es ja so, dass der eine gegen das System arbeitet und einer Untergrundorganisation angehört. Der andere wird als pädophil bezeichnet, wobei das nicht genau erörtert wird. Zumindest soll er den anderen Insassen aushorchen und es entsteht eine Liebesbeziehung zwischen den beiden. Da schauen wir gerade noch, ob wir das so belassen wie es geschrieben steht. Aber diese Laboranordnung würde uns sehr reizen.

Als Klammer gibt es für alle Stücke ein gleiches Bühnensetting?

Ja, es ist ein Raum im Raum, der sowohl Showbühne, Zirkusarena, Tierkäfig oder goldener Käfig sein könnte. Dort sind Personen, die man sich gerne anschaut, aber man möchte sie vielleicht nicht so nah an sich heranlassen. Wir haben das bewusst gewählt, weil wir das Gefühl haben, dass viele denken, solange ich das exotische Wesen bin und sich alle über mich belustigen können, ist alles in Ordnung – aber wehe ich dringe in das Leben der anderen zu weit vor!

Was habt ihr denn jetzt über Männlichkeit rausgefunden? Wann ist ein Mann ein Mann?

In letzter Zeit tauchen immer wieder Zeitungsartikel mit Stichworten wie „toxische Männlichkeit“ auf, auch viele Fotografen setzen sich mit dem Thema Männlichkeit auseinander. Das ist im Grunde genommen alles nichts Neues, aber es scheint, als setze man sich gerade jetzt wieder verstärkt damit auseinander. Und da gibt es ganz unterschiedliche Herangehensweisen und mehr Fragen als Antworten! Ich persönlich sehe darin viele Chancen, weil man sich vom überlieferten archetypischen Männerbild verabschiedet.

Das ist auch generationenbedingt: Es gibt viele jüngere Männer, die neue Aspekte der Männlichkeit suchen und auch an sich ausprobieren. Wir sind zum Beispiel auf den Podcast des südamerikanischen Boxers Diego Garijo gestoßen. Genauer: er ist Mixed Martial Arts Kämpfer und damit genau das, was pure Männlichkeit verkörpert. Aber er bewegt sich auch als Dragqueen in Frauenklamotten und mit Makeup und Perücken. Das ist für ihn so passend wie komplementär. Sehr spannend, weil er erst mal sehr markant und gar nicht feminin aussieht, aber es passt trotzdem. Und er beschreibt, wie er auf Widerstände stößt, gerade in der südamerikanischen Männergesellschaft, wo das Männerbild ja nochmal etwas anders ist als bei uns zum Beispiel. Das ist interessant zu lesen. Eine Antwort darauf, was den Mann denn nun ausmacht, ist schwierig zu sagen. Ich glaube aber, es gibt heute viel mehr Möglichkeiten, sich selbst zu erleben und vielleicht auch sich selbst zu erfinden.

Die Genderdebatte hat es also auch nicht geklärt, sondern mehr diverse Möglichkeiten aufgeführt; damit kann man die Frage nach typischer Männlichkeit vielleicht einfach auch unbeantwortet lassen oder sogar auflösen?

Die vielen Möglichkeiten muss man sich allerdings auch immer noch hart erarbeiten. Und es kann ein Kampf sein, sich tagtäglich zu rechtfertigen.Es mangelt noch an Vorbildern, Es gibt zu wenige Männer, die das vorleben. Aber auch das entwickelt sich.

Der Mainstream tendiert im Gegensatz dazu aber auch wieder zurück zum klassischen Macho. Offensichtlich scheuen Männer die Weiblichkeit immer noch wie der Teufel das Weihwasser – wahrscheinlich auch, weil Weiblichkeit immer noch mit Schwäche assoziiert wird. 

Absolut, das stimmt. Diese Tendenzen nehmen stark zu. Es gibt immer noch sehr viele Kulturen auf der Welt, die mit einem veränderten Männlichkeitsbild überhaupt nicht klarkommen. Da sind die Probleme noch größer, wenn sie Männer sehen, die sich irgendwie feminin verhalten oder die feminin aussehen. Dieses Problem ist noch allgemeiner und wir bewegen uns da auf sehr dünnem Eis. Zum Beispiel all die Errungenschaften die wir als Homosexuelle haben sind zwar hart erkämpft, aber ob die so selbstverständlich sind und bleiben, sei mal sehr dahingestellt. Da braucht man gar nicht so weit zu schauen.


Mehr Infos und das Update der Termine zur Theaterreihe „Echt, Mann?!“ gibt’s über www.compagnie-en-route.eu und www.kulturhaus-frankfurt.de

Back to topbutton