Harpy Fatale ist Diva Deluxe 2023

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Foto: Harpy Fatale

Mit außergewöhnlichen Looks und professionellen Dance-Skills konnte Harpy Fatale aus Berlin die Jury und das Publikum beim diesjährigen Diva Deluxe Drag-Contest überzeugen. Im Interview erzählt Harpy, wie sie zu der Person wurde, die sie heute ist.

Harpy, erzähl uns ein bisschen aus deinem Leben; du warst unter anderem lange Zeit in London – wie kam es dazu?

Das ist eine lange Geschichte. Ich komme ursprünglich aus Greifswald an der Ostsee. Als Kind und als Teenager habe ich viel Mobbing erfahren, in der Schule und so. Das hat mich aber auch sehr gepusht und letztendlich dazu gebracht, neue Optionen zu suchen, wie ich mich woanders entwickeln kann. Ich wollte Tänzer werden und bin nach dem Abi zuerst nach Warschau gezogen, um dann schließlich in einer Schule in Edinburgh Tanz und Choreografie zu studieren und meinen Bachelor zu machen. Das war schon immer mein Traum, aber die Gesellschaft hatte mir immer gesagt, das nicht zu tun, deswegen kam das alles so spät. Aber ich denke, wir sind alle auf unserer eigenen Reise. Die Erfahrungen, die ich vor dem Studium gesammelt habe, waren sehr hilfreich, um eine emotional erwachsene Person zu werden.

Wie ging es dann weiter?

Ich habe in Edinburgh meinen damaligen Partner getroffen. Die große Liebe! Er war auch Tänzer und wir sind dann gemeinsam nach London gezogen, weil dort die Jobs für Tänzer sind. Ja, das war sehr schön und ich war zehn Jahre in London. Ich habe die ersten acht Jahre nur als Tänzer und Choreograf gearbeitet, für Musikvideos, Kurzfilme und auch als Tanzlehrer – ich unterrichte heute immer noch. Irgendwann habe ich begonnen, für die Dragqueens von Ru Paul’s Drag Race UK als Backgroundtänzer zu tanzen. Dort habe ich viele Freunde kennengelernt, das war alles ganz süß, aber ich musste halt als Tänzer auch etwas sehr Maskulines darstellen, was mir als Person eigentlich gar nicht so liegt. In London haben die Dragqueens viel Livegesang und Comedy gemacht, aber nur wenig getanzt. Und ich dachte mir: ‚Ich kann das besser‘ – und ich hatte Recht! (lacht) London ist einfach so schön, es gibt viele kleine Orte für junge Dragkünstlerinnen, wo man sich ohne Druck einfach ausprobieren kann. Und vor allem war dort auch jede Form von Drag willkommen.

Foto: Harpy Fatale

Wie hast du dann als Drag in London begonnen?

Ich habe am Wettbewerb „Lipsync 1000“ teilgenommen und bin sofort ins Finale gekommen. Ich habe zwar nicht gewonnen, aber lustigerweise hat mich eine der Juroren-Person, die schwarze trans Aktivist*in Darkwah, gefragt, ob ich nicht ihre Drag-Daughter werden wolle. Darkwah hat mir auch beim Make-up geholfen, dafür hatte ich kein Talent (lacht). Aber ich wusste von Anfang an, dass ich etwas machen wollte, was von der Club-Kid-Kultur inspiriert war, die eher in Richtung Creature-Charakter geht. Ich möchte eben nicht unbedingt eine Frau darstellen. Bei Lipsync 1000 hatte ich so viel Spaß und habe viele verschiedene Facetten von Drag gesehen, weil man dort auf der Bühne alles machen konnte, was man wollte. Vom Tanzen war ich gewohnt, dass man mir sagt, was ich zu tun habe, wie ich mich darstellen soll, was ich anziehen soll. Und Drag war der totale Gegensatz: Eine kreative Explosion, nicht nur Tanz, sondern auch Fashion, Make-up und das fand ich interessant. Und vor allem habe ich meine geschlechtliche Identität, die sich damals entwickelt hat, durch Drag ausdrücken können. Ich habe dann ein paar Monate Drag gemacht, aber eher inoffiziell und nicht so ernsthaft. Ru Paul’s Drag Race hat auch die Londoner Szene extrem definiert. Natürlich auch zum Positiven, es gab zum Beispiel mehr Gigs, aber das Publikum hat dann auch etwas Bestimmtes von dir erwartet, nämlich das, was es im Fernsehen gesehen hat. Und das war besonders schwierig für mich, weil ich das eben nicht repräsentiere. Als meine Beziehung zu Ende ging, bin ich nach Berlin gezogen.

In Berlin hast du nicht nur als Drag gearbeitet, sondern auch als Boylesque-Tänzer – wie ging es also weiter?

Ich bin im September 2022 nach Berlin gekommen und habe ich mir gesagt: Harpy, du hast genau einen Plan A – du willst Drag Vollzeit machen. Und es gibt keinen Plan B. Also beweg‘ deinen Arsch! Und ich habe alle angeschrieben, alle Venues, alle Personen, alle Shows, bei denen ich dachte, die könnten Drag haben. Und weil ich halt vorher auch schon ein bisschen in der Burlesque-Sene unterwegs war, hatte ich nun das Privileg, in drei verschiedenen Szenen zu sein: die Drag-Szene, die Burlesque-Szene und die Club-Kid-Szene. Und das hilft mir! Als ich im September 2022 nach Berlin gekommen bin, hatte ich gleich am ersten Abend meinen ersten Gig. Das war „Dragaholic“ mit Judy Ladivina, und das ist für Drag-Anfänger. Da habe ich eine Comedy-Nummer mit Puppen gemacht und habe sofort Komplimente bekommen- „Du bist ein Star“! Als Tänzer in London habe ich das nie bekommen, es gab nie Komplimente, da hieß es immer nur, ich sei nicht gut genug. Und dann komme ich in Berlin an und die Leute freuen sich, dass ich da bin. Leute hören sich meine Geschichte an und ich denke, wow, ich habe also was zu sagen und zu geben, das finde ich einfach sehr wertvoll. In Berlin habe ich auch am Drag-Burlesque-Festival von Sheila Wolf im Wintergarten teilgenommen. Sie lädt internationale Künstler*innen ein und sie hat wirklich sehr schöne Sachen, viel Akrobatik, und da war ich als Harpy eingeladen. Das Drag-Burlesque-Festival ist echter Gender-Fuck, es ist nicht hetero-normativ. Und das fand‘ ich sehr interessant und ich bin sehr dankbar, dass ich dabei sein durfte.

Foto: Darren Black

Und wie bist du dann zu Diva Deluxe gekommen?

Noch eine lange Geschichte (lacht). Also, Drag ist ja mein Hauptberuf. Ich weiß, dass ich da wirklich sehr privilegiert bin, weil es schwer ist in Deutschland. Es ist wirklich schwer, weil es nicht genug Auftrittsmöglichkeiten gibt oder es normalerweise nicht gut genug bezahlt wird, aber ich liebe Drag so sehr. Ich habe mir gesagt, dass ich alles zumindest einmal gemacht haben möchte. Ich möchte einfach Erfahrung sammeln und mich noch mehr kennenlernen. Man entwickelt sich auch nicht weiter, wenn man sich nichts zutraut. Und dann habe ich den Aufruf zur Bewerbung für Diva Deluxe online entdeckt. Und ich bin ja so ein Mensch, ich erkundige mich meistens gar nicht so richtig, um was es dabei geht …

Du springst erstmal rein und guckst dann?

Genau. Und das war dann auch so ein bisschen zwiespältig, weil ich natürlich die Anleitung nicht richtig gelesen habe, dass man sich im Bewerbungsvideo vorstellen sollte. Ich hab einfach nur ein Performance-Video geschickt. Das ist mir erst aufgefallen, als ich ins Semi-Finale gekommen bin und dann gesehen habe, dass die anderen sich alle vorgestellt haben, und ich dachte nur: Moment, warte mal, oh … Naja. Ich fand das lustig. Aber das Video hat schon viel von mir gezeigt.

Foto: Leonor Vicente

Was bedeutet Drag für dich?

Ich würde sagen, dass Drag die größte Form meines Queer-Daseins und meines queeren Ausdrucks ist, weil ich wirklich alle 50 verschiedenen Facetten, die in mir schlummern, rauslassen und das als Unterhaltung auf der Bühne präsentieren kann.

Was ist deine Botschaft an die Community?

Also, ich hätte bestimmt 50.000 Botschaften, aber ich beschränke mich mal auf zwei Sachen! Erstens: Vergesst nicht, wer schon in der Vergangenheit für unsere Rechte gekämpft hat! Die Kultur der Travestie gehört dazu! All diese neuen Bewegungen sind wichtig, weil wir uns verändern und weiterhin für unsere Rechte kämpfen müssen, und es gibt vielleicht Travestie aus der Vergangenheit, die heute politisch nicht mehr ganz korrekt ist, aber ich finde, die Essenz der Travestie ist wirklich auch Teil dessen, was uns heute ausmacht. Diese Wertschätzung ist mir sehr wichtig. Zweitens: Wir müssen noch extrem mehr kämpfen für Inklusion und gegen Rassismus und vor allem gegen diese ganzen Mikro-Aggressionen innerhalb der Drag-Szene. Ich bin eine trans Person und habe die meiste Transphobie von schwulen Männern erfahren, nicht von Heterosexuellen. Ich finde es schade, dass innerhalb der Minderheit, die wir nun mal sind, immer noch auf den noch kleineren Gruppen rumtrampelt wird. Ich hätte es einfach gerne, dass die Community zusammenkommt und miteinander kämpft, und nicht gegeneinander.

www.instagram.com/harpyfatale/

www.diva-deluxe.com

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