Interview: Heribert Germeshausen, Intendant der Oper Dortmund

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Seit der Spielzeit 2018/19 leitet Heribert Germeshausen als Intendant die Oper Dortmund. Am 24. Mai feiert in seinem Hause die neueste Produktion, in der Inszenierung von Giuseppe Spota, Premiere: Echnaton. Die Oper von Philip Glass, die sich der Regierungszeit des ägyptischen Pharaos und seiner Hinwendung von der Gottheit Amun zu Gott Aton widmet, besticht durch ihre eindringliche Musik und wird in Kooperation mit dem Ballett Dortmund aufgeführt. Die Umsetzung verspricht eine Vorstellung in der sinnlich choreografierter Tanz und faszinierende Musik zu einem außergewöhnlichen Erlebnis verschmelzen.

Foto: Ruhr Tourismus / Frank Vinken

Herr Germeshausen, vielen Dank für dieses Interview. Um mal ganz knapp gefragt zu beginnen, warum Philip Glass’ „Echnaton“? Wenngleich von außergewöhnlicher Faszination, musikalisch keine leichte Kost, oder?

Doch, „Echnaton“ ist tatsächlich sehr leicht zugängliche Musik. Die rhythmischen pulsierenden Muster, die für Glass‘ Musik charakteristisch sind, sind eher untypisch für das, was man üblicherweise unter „Klassik“ versteht. Neben der inhaltlichen Faszination, die vom Alten Ägypten ausgeht, war gerade auch das ein Grund, warum ich „Echnaton“ zu Beginn meiner Intendanz auf den Spielplan gesetzt habe. Für ein Musical affines Publikum klingt die Musik sehr vertraut. Während meiner Operndirektion am Theater Heidelberg hatte ich bereits einmal „Echnaton“ produziert – es handelte sich um die erste szenische Realisation an einem deutschen Theater seit der Stuttgarter Uraufführung – und die überwältigende Publikumsresonanz zeigte bereits dort, dass „Echnaton“ der perfekte Erstkontakt zur Kunstform Oper für Menschen sein kann, denen die Welt der Oper bis dahin fremd war.

Foto: Björn Hickmann

Giuseppe Spota, Jahrgang 1983, Ballettmeister am Nationaltheater Mannheim, wird das erste Mal an ihrem Hause inszenieren und sicherlich starke tänzerische Akzente setzen. War dies Ihre Intention und wie kam es generell zu dieser Zusammenarbeit?

Das war definitiv der Fall und zwar aus zwei Gründen. Zum einen: Der pulsierende Beat von Glass’ Musik eignet sich einfach sehr gut zum Tanzen. Ich kenne keinen Choreographen, der Glass nicht liebt und nicht davon träumt, auf seine Musik zu choreographieren. Und „Echnaton“ hat von seiner Struktur her viele orchestrale Zwischenspiele. Die Musik schreit gerade dazu danach, vertanzt zu werden. Was läge da näher, als einen Choreographen mit der Inszenierung dieser Oper zu beauftragen? Zum anderen: Eines der großen Ziele meiner Intendanz ist ja die weitere Öffnung der Oper in die Stadtgesellschaft. Und die Verbindung von Ballett/Tanz mit Oper scheint mir auch vor dem Hintergrund meiner Erfahrung in Heidelberg ein probates Mittel zu sein, Berührungsängste vor der Kunstform Oper abzubauen und Menschen zu einem Opernbesuch zu verführen, die sonst vielleicht fürchten, sie könnten sich langweilen. Deshalb war mir die Zusammenarbeit mit dem Dortmunder Ballett in der ersten von mir geplanten Spielzeit programmatisch sehr wichtig und in diesem Kontext habe ich mich mit der Dortmunder Ballettleitung über verschiedene Choreographen ausgetauscht. So kamen wir schließlich auf Giuseppe Spota. Dass Spota ab 2019/2020 Ballettdirektor am MiR in Gelsenkirchen wird, war damals noch nicht abzusehen und ist eine schöne Fügung.

Claudio Monteverdis „L’Orfeo“ entstand im Jahr 1607. Die Oper als Kunstgattung im heutigen Sinne blickt damit auf eine Historie von über 400 Jahren zurück. „Aknaten“ bzw. „Echnaton“, wurde 1984 uraufgeführt. Also auch bereits vor rund 35 Jahren. Wie sehen Sie die Entwicklung der Oper aktuell? Und: hat sie das Potenzial künftige Generationen zu begeistern?

Jede Spielzeit verkaufen die öffentlich-rechtlichen Theater, bei denen die Oper traditionell die größte Untersparte vor Schauspiel und Ballett ist, etwa 34 Millionen Eintrittskarten. Die 1. Bundesliga Fußball in den Stadien im selben Zeitraum 12 bis 13,6 Millionen Karten. Ich bringe dieses Zahlenspiel gerne um zu zeigen, dass Oper nicht die elitäre und vom Aussterben bedrohte Minderheitenkunstform ist, als die sie manchmal aus unterschiedlichen Motivationen dargestellt wird. Und dennoch gab es einen Bruch in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Oper war schon bald nach Ihrer Erfindung durch die Florentiner Camerata vor etwas mehr als 400 Jahren die niveauvolle Unterhaltung für die Breite der Bevölkerung quer durch alle gesellschaftlichen Schichten, also das Kino bzw. das Fernsehen insbesondere des 18., 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Das hat sich eigentlich erst nach 1968 geändert, als „Oper“ plötzlich fast zu einer Art Schimpfwort für das wurde, was ein Teil der damaligen Gesellschaft als vermeintlichen Inbegriff bürgerlicher Spießigkeit bekämpfte. Das bezog sich aber weniger auf die Kunstform Oper an sich, als vielmehr auf die elitär empfundene Institution „Oper“ und die Art der Präsentation. Wobei ich gar nicht bestreiten möchte, dass die damalige Kritik zumindest zum Teil berechtigt war. Nur: Die Oper als Kunstform und als Institution hat sich seitdem stark weiterentwickelt. Das negative Clichée ist aber gerade bei den Leuten, die noch nie ein Opernhaus von Innen gesehen haben, häufig geblieben. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Oper als die multidisziplinärste Kunstform, die der menschliche Geist ersonnen hat, eine große Zukunft auch bei künftigen Generationen hat. Interessanterweise sind es ja in der Regel die „Klassiker“, die den größten Erfolg haben, ein neues Publikum anzulocken, „Die Zauberflöte“, „La Traviata“, „Carmen“. Die Musik von Mozart, Verdi oder Bizet ist zeitlos, zielt direkt ins Herz, und die von ihnen verhandelten Themen zeitlos modern. Es geht hier weniger um die Frage des Alters der Werke als um die Ästhetik deren Realisation. Dessen ungeachtet plane ich aber auch neue Werke in Auftrag zu geben, die heutige Themen für ein neues Publikum des 21. Jahrhunderts attraktiv behandeln. Generell gilt: Für Generationen, die Musik fast ausschließlich in Verbindung mit bewegten bunten Bildern konsumieren, über Video oder Youtube, ist Oper das perfekte Genre. Das haben nur noch nicht alle gemerkt, ich bin angetreten, das zu ändern.

Foto: Christian Kleiner

In vielen Familien war es damals üblich regelmäßig und auch zu besonderen Anlässen, wie der Konfirmation oder dem bestandenen Abitur usw., in die Oper zu gehen. Es scheint, die sich völlig verändert habende Mediennutzung und der gesellschaftliche Wandel hätten auch an dieser Stelle ihre Spuren hinterlassen. Manche Jugendliche setzen beim – oftmals sogar als lästig empfundenen – Pflichtbesuch im Schulklassenverbund das erste Mal überhaupt einen Fuß in eine Kulturinstitution. Wie kann man dem begegnen – kann man es überhaupt? Was unternehmen Sie, um Ihr Haus gerade jungem Publikum näher zu bringen, das dann auch regelmäßig wiederkehrt?

Sie sprechen hier einen entscheidenden Punkt an. Die veränderte Mediennutzung – bis 1990 gab es nur drei Programme öffentliches Fernsehen, die regemäßig zur besten Sendezeit Opern live übertragen haben, es gab weder private Fernsehkanäle noch Internet – und, ebenso problematisch, der weitgehende Wegfall von Musik als obligatorischem Unterrichtsfach, führen dazu, dass seit knapp 30 Jahren heranwachsende Menschen nicht mehr automatisch mit „Oper“ in Kontakt kommen. Die Opernhäuser sind seitdem in die Pflicht genommen, sich aktiv um den Publikumsnachwuchs zu kümmern, der früher eher automatisch von selbst kam. Das Dortmunder Theater hat bereits über 30 Partnerschulen. Um gerade den Opernbesuch auch unabhängig von mitunter als Pflicht empfundenen Schulbesuchen zu fördern, habe ich zu Beginn meiner Intendanz eine neue Abteilung für Outreach-Projekte gegründet. Eine besondere Stellung hierin nimmt Deutschlands erste institutionalisierte Bürgeroper ein: We DO Opera! Die Dortmunder Bürgeroper ermöglicht jedem Interessierten, bei einer Musiktheaterproduktion, die er/sie inhaltlich und musikalisch mitentwickeln kann, auf der Bühne zu stehen. Dabei nehmen wir dezidiert auch musikalisch Impulse außerhalb des klassischen Kanons auf, ohne unsere eigene Herkunft zu verleugnen.

Außerdem planen wir auch verstärkt mobile Produktionen um in die Kindergärten und Grundschulen zu gehen, so dass bereits für ganz junge Menschen Oper wieder etwas Selbstverständliches wird. Wir bringen im Rahmen der Jungen Oper Rhein-Ruhr mit unseren Partnern in Bonn und Düsseldorf/Duisburg jedes Jahr eine große Kinderoper auf die Bühne, bauen unsere Spielclubs „Oper erleben“ aus.

Nächste Spielzeit bündeln wir unsere Aktivitäten für ein neues, jugendliches Publikum in einem zweiwöchigen Festival im April: „Beyond Opera“

Mein Credo, das ich einmal mit dem Schlagwort „RuhrOper 21“ beschriebe habe, lautet: Ich möchte erreichen, dass sich die Demographie des Dortmunder Opernpublikums derjenigen der Stadtbevölkerung angleicht, und dass die Oper Dortmund nicht trotzdem, sondern gerade deswegen, als eines der spannendsten und innovativsten Opernhäuser Deutschlands angesehen wird.

Foto: M. Bigge / CC BY-SA 3.0 / wikimedia.org

Zum Abschluss noch einmal zurück zu den Werken von Philipp Glass: Können Sie sich weitere Produktionen vorstellen, in denen seine Arbeiten aufgeführt werden?

Glass wird auch über „Echnaton“ hinaus im Dortmunder Opernspielplan präsent sein Ich werde definitiv „Satyagraha“ – eine faszinierende Oper über Mahatma Ghandi – als Neuinszenierung in einigen Jahren herausbringen. Und wenn das Dortmunder Publikum auf Glass so reagiert, wie ich das hoffe, werde ich die Trilogie „Einstein on the beach“ „Satyagraha“ und „Echnaton“ zyklisch aufführen.

Wer große romantische Oper auf Weltniveau erleben möchte, dem empfehle ich diese Spielzeit noch „Turandot“ (bis 3. Mai auf dem Spielplan). Unser Sänger des Calaf hat letzte Spielzeit an der Metropolitan Opera New York als Romeo in „Romeo et Juliet“ debütiert und auch alle anderen Sänger bewegen sich auf einem internationalen Topniveau und sind in einer farbenprächtig-sinnlichen Inszenierung zu erleben. Zuschauern mit Interesse an Experimentellem empfehle ich die Deutsche Erstaufführung von Luca Francesconis „Quartett“, eine Oper nach Heiner Müllers gleichnamigem, auf „Liaisons dangereuses“ beruhendem Schauspiel, das um die sexuellen Abgründe in Paarbeziehungen kreist. Mit Allison Cook haben wir einen internationalen Star; sie sang bereits die Uraufführung dieser Oper an der Mailänder Scala.

Echnaton, Oper Dortmund, Theaterkarree 1 – 3, Dortmund, 24.5. – 29.6. an verschiedenen Spieltagen, www.theaterdo.de

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