ÖSTERREICH: Stößchen!

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Südlich der steirischen Landeshauptstadt Graz erstreckt sich eine mit Wäldern und Weinreben bewachsene Hügellandschaft, die das ganze Jahr über Besucher anlockt. Wer viel Wert auf Genuss und Entschleunigung legt, ist hier genau richtig.

Foto: Dirk Baumgartl

Wenn im Herbst die Weinlese ansteht, zeigen sich die Hänge der Südsteiermark in ihrer vollen Pracht. Von zartem Zitronengelb bis dunklem Rubinrot strahlt das Laub im warmen Licht der Nachmittagssonne. Mitten zwischen den Reben zu stehen und den Blick über die Landschaft bis nach Slowenien streifen zu lassen, ist einer jener Momente, die Holger Hagen nicht mehr missen möchte. Der schwule Winzer hat sich gemeinsam mit seinem Mann René den Traum vom eigenen Weingut erfüllt. Am Beginn der Südsteirischen Weinstraße, direkt an der Grenze zwischen Österreich und Slowenien gelegen, befindet sich am Hochgrassnitzberg ein Teil ihrer auf beiden Seiten der Grenze befindlichen sechs Hektar Anbaufläche. Die Lage ist berühmt für ihren Sauvignon blanc und den Morillon, deren Reben hier auf Boden aus Muschelkalk wachsen. Das eher mediterrane Klima in Kombination mit kühlen Nächten sorgt für nuancenreiche Weine, unter denen vor allem die Sauvigons zur Weltklasse gehören. Als Rieden- oder Lagenweine bilden sie im Qualitätsranking vor den Gebiets- und Ortsweinen die absolute Spitzenklasse. Mit 27 Jahren hat Holger nach seinem Weinbau- und Önologiestudium den Betrieb 2006 gegründet und von Anfang an auf Biowein gesetzt. Sein Wissen gibt der gebürtige Münchner gern an interessierte Weinliebhaber nach Voranmeldung bei Verkostungen weiter – am liebsten mitten im Weinberg. „Ich freue mich, mit den Leuten direkt ins Gespräch zu kommen, das erhöht die Aufmerksamkeit“, so der 41-Jährige. Nach 15 Jahren ist die Region an der österreichisch-slowenischen Grenze seine Heimat geworden und er fühlt sich richtig wohl. „In ihrer Herzlichkeit sind sich Steirer und Bayern ziemlich ähnlich“, so René. Der aus Graz stammende Friseur unterstützt seinen Mann im Büro und beim Marketing. Auf die Frage, wie man als schwules Paar in der österreichischen Provinz aufgenommen wird, fällt beiden die Antwort leicht. „Natürlich ist man hier in einem LGBT-Entwicklungsland, aber als ein regionales Magazin über unser Weingut berichtet hat, haben wir ganz offen über unsere Beziehung gesprochen. Das kam auch gut bei den Leuten an“, so Holger. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Steirer entspannt mit dem Thema umgehen.

Foto: Dirk Baumgartl

Schwules Landleben

Das können Martin und Christoph nur bestätigen. Das schwule Paar ist seit 2017 verpartnert und führt einen Bauernhof im beschaulichen Örtchen Burgstall in der Gemeinde Großklein. Neben vierzig Mutterkühen und Kälbern teilen sie den einigen Hundert Jahre alten Stelzerhof mit mehreren Hühnern, Gänsen und Enten sowie zwei Katzen und einem Hund. Während der gelernte Softwareentwickler Martin nebenbei in der Erwachsenenbildung arbeitet und mit dem „Genussquartier“ eine Art digitalen Hofladen für Produkte aus der Region betreibt, engagiert sich Christoph in der regionalen Politik. Als Mitglied der konservativen ÖVP ist er Vizebürgermeister von Großklein sowie Bezirkskammerobmann für Land- und Forstwirtschaft für den Bezirk Leibnitz und damit Vertreter der in dieser Gegend ansässigen Bauern. „Hätte man in der Region ein Problem meinem Schwulsein, hätte man mich sicher nicht zur Wahl aufgestellt“, so Christoph. „Die Gemeinde heißt wirklich jeden willkommen und die Gastfreundschaft steht an erster Stelle“, ergänzt Martin. „Man ist freundlich, offen und hilfsbereit.“

Foto: Dirk Baumgartl

In der Tat fällt einem bei einer Reise durch die Südsteiermark die Freundlichkeit der Menschen auf. Sei es bei den Gastgebern auf einem Biobauernhof, der Wirtin in einer typisch steirischen Buschenschenke oder bei einem Besuch eines der zahlreichen Weingüter. Auf alle Fälle sollte man sich für das Kennenlernen der Region etwas Zeit lassen. „Am besten erkundet man die Landschaft zu Fuß oder mit dem Rad“, so der Tipp von Martin. „Das aktive Erleben steht auf jeden Fall im Mittelpunkt.“ Einer seiner Empfehlungen ist eine Wanderung zu der auf 750 Höhenmetern stehenden Remschniggalm. „Die kleine Hütte könnte auch irgendwo in den Hochalpen stehen“, so Martin. Für Abwechslung abseits der Weinberge sorgt eine Wanderung durch die Altenbachklamm. Über Holzstege und -treppen sowie eine Hängebrücke führt der Weg durch eine bewaldete schmale Schlucht hinauf zu einem Aussichtspunkt. Die neben der Südsteirischen Weinstraße wohl schönste Panoramastrecke verläuft durch die Gemeinde Kitzeck im Sausal. Vorbei an den im Sommer blühenden Lavendelfeldern des Biobetriebs Wusum führt die kurvige Straße steil bergauf. Auf über 500 Metern befindet sich rund um Kitzeck das höchstgelegene Weinanbaugebiet Österreichs. Mit grandioser Sicht starten von dort etliche Wander- und Fahrradwege mitten durch die steil abfallenden Weinberge. Hier steht, in einem alten Bauernhaus, auch das 1. Steirische Weinmuseum, das anhand von Schautafeln und Werkzeugen einen Überblick über die Historie der Wein- und Kellerwirtschaft gibt. Buschenschenken wie die des Weinguts Schauer laden zur Einkehr ein. Im Gegensatz zu Restaurants bieten die Schenken ausschließlich kalte Speisen wie Wurst, Käse oder den traditionellen Käferbohnensalat an. Dazu natürlich jede Menge Wein aus eigener Produktion.

Foto: Dirk Baumgartl

Foto: Dirk Baumgartl

Foto: Dirk Baumgartl

Foto: Dirk Baumgartl

Tradition & Moderne

Nicht nur Weinkenner sollten sich die Zeit nehmen, zumindest zwei oder drei Weingüter anzusehen. Zum einen liegen viele davon malerisch zwischen den Weinbergen, zum anderen kommen auch Architekturfans auf ihre Kosten. Das bei Gamlitz stehendeWeingut Lackner Tinnacher gehört zu den renommiertesten Produzenten der Region. Seit knapp 250 Jahren wird in dem Familienbetrieb bis heute Wein angebaut. Grundlage für viele der Bioweine sind bis zu sechzig Jahre alte Reben, die sorgsam gepflegt und, wie in der gesamten Südsteiermark üblich, von Hand gelesen werden. Sehenswert ist neben dem stylishen Verkostungskeller, der sich in einem alten steirischen Bauernhaus befindet, auch der Fass und Tankkeller. Der moderne, aus Stahlbeton errichtete Bau fügt sich mit seinem begrünten Dach nahtlos in die ihn umgebende Landschaft ein.

Foto: Dirk Baumgartl

Wer es hochprozentiger mag, schaut bei der in einem ehemaligen Winzerhaus untergebrachten Destillerie von Aeijst in St. Nikolai im Sausal vorbei. Deren nach dem steirischen Dialektwort für Äste benannte Gin wird zu 100 Prozent aus biologischen Zutaten hergestellt. Neben dem puristischen Pale Gin hat das experimentierfreudige Familienunternehmen auch den perfekt zu Kaffee passenden, fruchtig-würzigen Umbra sowie den eigenwilligen Peat, bei dem der Wacholder vor der Destillation über steirischem Torf aus dem Hochmoor von Garanas geräuchert wird. Für Gruppen bietet das Team vom Aejist auch Workshops an, bei denen man seinen individuellen Gin destillieren kann.

Foto: Dirk Baumgartl

Flüssiges Gold

Während der Gin-Trend in der Steiermark relativ neu ist, spielt neben dem Wein ein anderes flüssiges Lebensmittel seit dem Ende des 18. Jahrhunderts für die Region eine besondere Rolle: Steirisches Kürbiskernöl ist ein echter Exportschlager und aus vielen Küchen dieser Welt nicht mehr wegzudenken. In der Ölmühle Hartlieb, die sich zum Teil in einer ehemaligen Getreidemühle aus dem 19. Jahrhundert befindet, lernt man anhand vieler Exponate alles über die Geschichte der Ölproduktion kennen. Während dem Besucher bei der Führung mit anschließender Verkostung der süßliche Geruch des Kernöls in die Nase steigt, werden im modernen Anbau der Mühle jährlich 200.000 Kilo Kürbis verarbeitet. Etwa 12.500 schalenlose Kerne des steirischen Ölkürbisses werden benötigt, um einen Liter der köstlichen Spezialität zu erhalten. Angebaut wird der Kürbis von vielen Bauern der Region, die die reifen Früchte dann an eine der gut siebzig Mühlen liefern und zum Teil das gepresste Öl auch wieder mitnehmen. So wie Christoph und Martin vom Stelzerhof. Das Öl ihrer Kürbisse landet dann in Martins Online-Shop des Genussquartiers. Dort finden sich neben selbst gemachten Fruchtaufstrichen auch viele andere Produkte aus der Region, etwa Kürbiskernpesto, Honig, Gin und Rum. „In dem Shop landet alles, was ich selbst mag“, so Martin. Auf der Seite mit einem regenbogenfarbenen G als Logo gibt es sogar eine Pride Box mit Pride-Tasse, Kaffee, dunkler Schokolade und einem Regenbogen-Schlüsselband. Natürlich darf das wichtigste Genussmittel der Region nicht fehlen: Unter der kleinen, aber feinen Auswahl an Weinen finden sich auch Holger Hagens Bio-Weine sowie dessen spritzige Schaum- und Perlweine. Stößchen!

INFO

www.suedsteiermark.com

www.austria.info

ANREISE

Die Südsteiermark lässt sich am besten mit dem eigenen Auto oder einem Mietwagen erkunden. Von Wien aus dauert die Fahrt in die Region gut 2,5 Stunden, von Graz aus nur etwa 30 Minuten. Austrian Airlines fliegt täglich ab Städten wie Berlin, Frankfurt, München und Hamburg nach Wien mit Anschluss nach Graz. www.austrian.com

Foto: Dirk Baumgartl

HOTEL

Nach dem umfangreichen Umbau eines ehemaligen Weingartenhauses bietet der Biobauernhof Gschmeidler seit 2020 insgesamt fünf Zimmer für Übernachtungen an. Minimalistisch im Design, sind die Zimmer ein perfekter Rückzugsort nach Ausflügen in die Umgebung. Die aufgeschlossenen Gastgeber servieren zum Frühstück frische Produkte aus eigenem Anbau sowie selbst gebackenes Brot und Kuchen. www.gschmeidler-greith.at

ESSEN

Das hoch über den Weinbergen gelegene Restaurant Kogel 3 begeistert nicht nur aufgrund der schönen Aussicht und seines ansprechenden Designs, sondern vor allem wegen seiner modern interpretierten steirischen Küche. Ob Huhn, Ochse oder Schwein, ob Salat, Steinpilze oder Maronen – hier wird mit frischen Produkten aus der Region gekocht. Dazu gibt es eine große Auswahl lokaler Weine. www.kogel3.at

Foto: kogel3.at

WEIN

Mit Weinbergen in der Südsteiermark und Slowenien bezeichnet sich Holger Hagen gerne als europäischen Weinmacher. Gemeinsam mit seinem Mann führt er seit 14 Jahren sein Weingut und bietet interessierten Besuchern nach Voranmeldung gerne Verkostungen seiner Bioweine an. www.holgerhagen.eu

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