TENNESSEE: Hello Dolly!

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Von den Smoky Mountains im Osten über die Countrymusic-Metropole Nashville bis hin zu der am Ufer des Mississippi gelegenen Elvis-Presley-Stadt Memphis reicht die Bandbreite, die der US-Bundesstaat Tennessee seinen Besuchern zu bieten hat. Die wohl berühmteste LGBTIQ*-Ikone des Staates heißt Dolly Parton, und es gibt kaum einen Ort, an dem die Musiklegende nicht ihre Spuren hinterlassen hat.

Foto: Dirk Baumgartl

Sie heißen Barnstormer, Blazing Fury, Dragonflier, Tennessee Tornado oder Wild Eagle und sorgen für jede Menge Nervenkitzel. Wer laut TripAdvisor den besten Freizeitpark der USA besuchen will, darf nicht nach Florida oder Kalifornien zu Disney, Universal oder Six Flags reisen, sondern muss sich in die Wälder der Smoky Mountains nach Tennessee begeben. Hier, in einer kleinen Hütte oben in den Bergen des Sevier County, wurde am 19. Januar 1946 Dolly Rebecca Parton als viertes von zwölf Kindern geboren. Aus ärmlichen Verhältnissen kommend, gehört Dolly Parton heute zu den erfolgreichsten Musikerinnen der USA – und als nicht weniger talentierte Geschäftsfrau. „Dollywood“, ihr Freizeitpark unweit ihres Geburtsortes mit über fünfzig Attraktionen, zieht Jahr für Jahr etwa drei Millionen Besucher an und ist für die ansonsten strukturschwache Gegend ein echter Glücksfall. Zum Dollywood-Imperium gehören neben dem Themenpark auch mehrere Resorts, Berghütten und ein Wasserpark. 2023 steht dabei völlig im Zeichen eines ihrer größten Hits: „I Will Always Love You“, der Song, dessen Coverversion durch Whitney Houston weltbekannt wurde, wird fünfzig Jahre alt und entsprechend gefeiert. Im Gegensatz zu den oft steril wirkenden Themenparks von Disney & Co. hat Dollywood mit seiner Mischung aus Attraktionen und Freilichtmuseum einen ganz besonderen Charme, der irgendwo zwischen rustikal und kitschig liegt. Zudem ist der Park eine Reminiszenz an seine Besitzerin – Dollys Geburtshaus ist hier ebenso nachgebaut wie ihr damaliges Lieblingsrestaurant, zudem kann man einen Blick in eines ihrer Wohnmobile werfen, mit dem der Countrystar auf Tour ging.

Foto: Dirk Baumgartl

Ganz in Pink

Wer authentisch auf Dollys Spuren wandern will, macht einen Abstecher in das nicht weit vom Themenpark entfernte Stadtzentrum von Sevierville. Hier ging sie zur Schule, hatte als Teenager im The Pines Theater ihren ersten bezahlten Auftritt und kaufte sich ihr Make-up in Cas Walker’s Grocery Store. 1987 enthüllte die Stadt ihr zu Ehren eine Bronzestatue auf dem Platz vor dem imposanten Gerichtsgebäude. Umgeben von Schmetterlingen sitzt sie mit ihrer Gitarre auf einen Felsen und ist ein beliebtes Fotomotiv für ihre Fans. Wenige Meilen von Sevierville entfernt wird im Örtchen Pigeon Forge historische Siedlungsgeschichte lebendig. Rund um die Old Mill, eine alte Getreidemühle aus dem Jahr 1830, die auch heute noch Mehl produziert, haben sich Restaurants, Geschäfte, eine Töpferei und eine Brennerei angesiedelt, die hier den während der Prohibition schwarzgebrannten und auch heute noch so bezeichneten Moonshine in Einmachgläsern vertreibt. Das beliebte alkoholische Mitbringsel gibt es in Tennessee an vielen Ecken zu kaufen, doch bei Shine Girl hat man sich ein ganz besonderes Konzept einfallen lassen: Logo und Labels sind in Pink gehalten und sollen vor allem Frauen ansprechen. Süßlich aromatisierter Moonshine, unter anderem mit Lavendel, Kokosnuss oder Rosenwasser, ist ebenfalls auf die weibliche Zielgruppe zugeschnitten. Kein Wunder, dass hier beim Brennen und Vermarkten eine Frau am Werk ist. Dabei hat Danielle Parton nicht nur das Aussehen, sondern auch den Geschäftssinn ihrer Tante geerbt. Dollys Nichte, die eigentlich als Pilotin für die US-Streitkräfte und eine große amerikanische Airline arbeitet, hat sich mit ihrer neu gegründeten Destillerie sogleich in das von Discovery Channel produzierte Reality-Format „Moonshiners“ platziert und damit für die entsprechende Publicity gesorgt.

Foto: Dirk Baumgartl

Schwule Countrysänger

Vom Rande der Smoky Mountains bis nach Nashville sind es gut drei Autostunden. Die Hauptstadt von Tennessee rühmt sich als „Music City“ und ist in der Tat bis heute das Zentrum der Countrymusic. In der Country Music Hall of Fame, einem riesigen Komplex in der Stadtmitte, wird die Geschichte der Country- und Folkmusic anhand von Instrumenten, Kostümen und sonstigen Memorabilien von den Anfängen bis in die Gegenwart erzählt. Die Bandbreite reicht dabei von Hank Williams und Jimmie Rodgers über Johnny Cash, Loretta Lynn und – natürlich – Dolly Parton bis zu Taylor Swift und Garth Brooks. Während viele der Bühnenoutfits mit ihren Pailletten, Plateauschuhen und jeder Menge Glitzer an sich schon ziemlich camp erscheinen, ist den Brother Osbornes eine eigene, mit einer Regenbogenflagge geschmückte Vitrine gewidmet. Die Brüder John und T.J. Osborne wurden vor allem mit einer Neuaufnahme des Songs „Stay a Little Longer“ im Jahr 2015 bekannt, mit dem sie auf Platz vier der Countrycharts und in die Top 50 der offiziellen Single-Charts kamen und Platinstatus erreichten. Ihr 2016 veröffentlichtes Debütalbum Pawn Shop schaffte es auf Platz drei der Countrycharts und in die Top 20 der Billboard 200. Die Brüder wurden auf den Country Music Awards als Gesangsduo des Jahres ausgezeichnet. Doch vor allem das Coming-out von T.J. im Jahr 2021 sorgte in der Country- wie innerhalb der LGBTIQ*-Szene für große Aufmerksamkeit, da er laut Time Magazine der einzige offen schwule Künstler sei, der bei einem großen Countrylabel unter Vertrag stehe.

Foto: privat

Im Bus mit Dragqueens

„Schwul und Countrysänger zu sein ist immer noch ein heikles Thema“, erzählt Curtis Braly. Der 45-jährige Countrykünstler und Entertainer lebt seit 2015 mit seinem Mann in Nashville. „Die Stadt ist voller Talente, und wer in der Countryszene Erfolg haben will, kommt an Nashville nicht vorbei“, so Curtis. Er selbst hat es geschafft. Gemeinsam mit der Countrylegende Tanya Tucker ging er auf Tour und teilte sich bei dieser Gelegenheit die Bühne mit Dolly Parton. Als sich beide einmal zu Beginn seiner Karriere in einem Aufnahmestudio trafen, da beide mit demselben Produzenten arbeiteten, hielt sich Curtis an ihren Rat: „Du musst einfach der Letzte sein, der übrig bleibt“. Unter all den talentierten Musikern, die Abend für Abend in den Countrybars und -klubs entlang des Broadway in Nashville auftreten, hat sich die Ausdauer für Curtis ausgezahlt. Inzwischen hat er auch keine Angst mehr, offen schwul zu sein. „Seit 2016 gehe ich in queere Bars und Klubs und trete auch bei Pride-Festivals auf“, erzählt er während eines Besuchs in der Gay-Bar Tribe. Gleich nebenan liegt die Play Dance Bar, in dem Nashvilles bekannteste Dragqueens auftreten. „Drag ist ein großes Thema hier in Nashville“, erzählt Curtis. „Es gibt sogar einen eigenen Dragparty-Bus, der nachts durch die Stadt fährt.“

Foto: Dirk Baumgartl

Die Nation groovt

Neben dem Eintauchen in Nashvilles Nachtleben, darunter auch die Honky-Tonk-Bars entlang des Broadways, empfehlt Curtis natürlich den Besuch der Country Music Hall of Fame sowie einen Abend in Opryland. Die Konzerthalle am Rande von Nashville ist zugleich Heimat der Grand Ole Opry – der am längsten laufenden Radioshow der US-Rundfunkgeschichte, die seit 1925 jede Woche ausgestrahlt wird. Sämtliche Countrystars traten in der Show auf und sogar der junge Elvis Presley war hier einmal zu Gast. Vor dem Umzug nach Opryland wurde die Show bis 1974 aus dem im Stadtzentrum Nashvilles gelegenen Ryman Auditorium gesendet, das Ende des 19. Jahrhunderts als Kirche für 6.000 Besucher gebaut wurde. Im wohl legendärsten Konzertsaal der USA traten Größen wie Elvis Presley, Johnny Cash, Dolly Parton, Aretha Franklin und B.B. King auf, aber auch Künstler und Bands wie Coldplay, die Foo Fighters, Bob Dylan, Harry Styles, Lizzo und der kürzlich verstorbene, aus Tennessee stammende schwule Schauspieler und Comedian Leslie Jordan. Mit dem Programm „Trixie and Katya Live!“ erlebte das Ryman 2022 zudem seine erste Dragshow. Der Geheimtipp unter Nashvilles Museen ist jedoch das 2021 eröffnete National Museum of African American Musik (NMAAM), das direkt gegenüber dem Ryman Auditorium liegt. Unter dem Motto „One Nation Under A Groove“ wird hier Geschichte vor allem anhand von Musikbeispielen erzählt, aus denen man sich eine persönliche Playlist zusammenstellen kann. Von afrikanischen Stammesgesängen über Spirituals, Blues, Jazz, Gospel, Soul, R ’n’ B bis zu Hip-Hop reicht die Bandbreite jener über fünfzig Musikgenres, die von Afroamerikanern erfunden, beeinflusst oder inspiriert wurden. Zudem feiert das Museum mit Fotos, Kostümen und anderen Andenken Stars wie Louis Armstrong, James Brown, Isaac Hayes, Prince, Dr. Dre, Beyoncé und Hunderte andere.

Foto: Dirk Baumgartl

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Königsklasse

Etwa 340 Kilometer trennen das NMAAM vom eigentlichen Geburtsort der Soulmusik. In den 1960ern und 1970ern galt das in Memphis ansässige Studio Stax Records zu den trendsetzenden Plattenlabels für Soul und schaffte es innerhalb von 25 Jahren auf über 800 Singles und 300 Alben, darunter 15 Nummer-eins-Hits und acht Grammy-Preise. Aushängeschild war unter anderen Isaac Hayes, der für seinen Titelsong zum Film Shaft, für den er einen Oscar, einen Golden Globe und zwei Grammys gewann. Im Stax Museum, einem Nachbau der legendären Studios, ist dem exzentrischen Musiker ein ganzer Raum gewidmet, in dem neben Hayes gewagten Outfits sein Oscar und ein extra für ihn angefertigter, mit Gold verzierter Cadillac steht. Den wohl berühmtesten Cadillac der Musikgeschichte findet man nur wenige Kilometer entfernt: Im Automuseum von Graceland steht jener pinke Cadillac, den Elvis Presley in seinem 1955 veröffentlichten Song „Baby, Let’s Play House“ erwähnt und der als immer wieder zitierte Ikone der Popkultur gilt. Mit einer halben Million Besucher pro Jahr ist Presleys ehemaliges Wohnhaus und die dazugehörigen Museen Memphis’ bekannteste Attraktion. Während das Anwesen, auf dem Elvis und seine engsten Verwandten auch begraben sind, einer Zeitkapsel aus den 1970er-Jahren gleicht, die die Herzen von Designfans höherschlagen lässt, zeichnen die benachbarten Museen das Leben des King of Rock ’n’ Roll anhand Tausender Ausstellungsstücke nach. Neben seiner Autosammlung beeindruckt vor allem die Kollektion von glitzernden Jumpsuits, die er während seiner Zeit in Las Vegas zwischen 1969 und 1977 trug.

Foto: Dirk Baumgartl

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Rock ’n’ Roll & Regenbogen

Während eines Abstechers ins Stadtviertel Cooper-Young stößt man auf die queere Seite von Memphis. Neben dem Gay and Lesbian Community Center findet sich hier auch die Otherlands Coffee Bar und Tennessees erster Regenbogen-Zebrastreifen. Gleich um die Ecke liegt der kultige Plattenladen Groner Records mit seiner exzellenten Sammlung an Secondhandplatten aus Genres wie Soul und Rock ’n’ Roll. Und einer weiteren Musiklegende begegnet man ebenfalls auf den Straßen von Cooper-Young: Vor einer Kirche steht, in Bronze gegossen, Johnny Cash, der hier zum ersten Mal öffentlich auftrat und damit den Grundstein für seine Karriere als einer der erfolgreichsten Countrymusiker der USA legte. Einer seiner Bewunderinnen war 13, als sie Johnny Cash zum ersten Mal traf, und ihre Wege sollten sich in Zukunft viele Male kreuzen. „Er war das heißeste Ding, das ich jemals sah“, gestand Jahre später seine nicht weniger erfolgreiche Kollegin: Dolly Parton.

Foto: Dirk Baumgartl

INFO

www.tnvacations.com

ANREISE

Die niederländische Airline KLM fliegt ab zahlreichen deutschen Flughäfen (darunter Berlin, Hamburg, Nürnberg, Frankfurt und Düsseldorf) über ihr Drehkreuz Amsterdam nach Atlanta mit Anschlussflügen des Skyteam-Partners Delta nach Memphis oder Nashville. www.klm.de

Foto: Dirk Baumgartl

Mietwagen

Ein Mietwagen ist für eine Reise durch Tennessee unbedingt zu empfehlen. Angebote und zuverlässigen Service gibt es zum Beispiel bei Alamowww.alamo.de

HOTEL

Das allererste Hotel unter Hyatts neuer Lifestyle-Marke Caption wurde im Sommer 2022 im Stadtzentrum von Memphis nahe der Beale Street eröffnet. Einige der 136 Zimmer bieten einen grandiosen Blick auf den Mississippi, während andere der Skyline zugewandt sind. Die großzügige Lobby findet sich neben einem Café jede Menge Platz zum Arbeiten oder Abhängen. www.hyatt.de

Foto: hyatt.com

TIPP

Nicht weit von Dollywood entfernt fungiert das Bergstädtchen Gatlinburg als Tor zum Great Smoky Mountains National Park. Während der Ort selbst eher einem Vergnügungspark mit Gondelbahnen, Hängebrücke und der nächtlichen Lightshow Astra Lumina gleicht und auch für sportlich eher unmotivierte Besucher etwas zu bieten hat, kann man im Nationalpark auf insgesamt 1.400 Kilometer Wanderwegen einen der ältesten Wälder der Erde erkunden. www.gatlinburg.com

Foto: Dirk Baumgartl

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