Am 17. September wird Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) die von ihrer Amtsvorgängerin und heutigen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen 2017 in Auftrag gegebene Studie „Zwischen Tabu und Toleranz. Der Umgang der Bundeswehr mit Homosexualität von 1955 bis zur Jahrtausendwende“ der Öffentlichkeit vorstellen.
Foto: Bundesministerium der Verteidigung
Ursula von der Leyen
„Es ist noch nie systematisch analysiert worden, wie wir in der Vergangenheit mit dem Thema umgegangen sind. Wir haben in der Vorbereitung zum Kongress versucht, Beispiele aus der Vergangenheit zu finden, die wir präsentieren können. Da haben wir gemerkt, wie schwer das ist. Deshalb ist diese Studie so wichtig, die akribisch die Zeit zwischen 1955 und 2002 aufbereiten soll, denn ganz oft war der offizielle Entlassungsgrund, wenn jemand sich outete oder geoutet wurde, ein ganz anderer. Gesundheitliche Gründe oder Ähnliches. Es ist darum für uns sehr schwer, die Wahrheit aus den Akten herauszulesen. Die sprechen gar nicht über Homosexualität. Deshalb muss man Menschen daran setzen, die Spuren aufnehmen, um dann die korrekten Geschichten erzählen zu können. Im Anschluss muss man überlegen, für festgestelltes Unrecht eine Art pauschalen Ausgleich zu leisten – aber ich brauche erst einmal eine Grundlage.“
Ursula von der Leyen 2017 im Interview für die Printmagazine der blu Mediengruppe
Oberstleutnant Klaus Storkmann vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) hat auf über 400 Seiten und mit mehr als 60 Zeitzeugengesprächen auch den gesellschaftspolitischen Hintergrund, vor dem sich der Kampf homosexueller Menschen um Anerkennung abspielte, ausgewertet. Ein Meilenstein im Umgang mit homosexuellen Soldatinnen und Soldaten überschreibt das Verteidigungsministerium seine diesbezügliche Mitteilung.
Kramp-Karrenbauer will Entschädigungsgesetz vorstellen
Wie bereits von ihr angekündigt, will die heutige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer auch an den Plänen von der Leyens weiterarbeiten, die Diskriminierung wieder gut zu machen, obwohl sie noch im Februar dieses Jahres klarstellen ließ, dass disziplinarrechtliche Folgen einer Verurteilung nach dem Paragrafen 175 StGB durch das Gesetz zur Aufhebung dieser Unrechtsurteile nicht betroffen seien und keine Rehabilitation geplant sei (wir berichteten). Die Verteidigungsministerin änderte ihre Meinung und entschuldigt sich in der Mitteilung des Ministeriums heute wiederholt für das Unrecht, das homosexuellen Soldat*innen widerfahren ist:
Foto: Deutscher Bundestag / Pascal Bastien
Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU)
„Diese Studie auf Eigeninitiative des Ministeriums setzt sich sehr kritisch mit der eigenen Geschichte des Hauses auseinander. Die Praxis der Diskriminierung Homosexueller in der Bundeswehr, die für die Politik der damaligen Zeit stand, bedauere ich sehr. Bei denen, die darunter zu leiden hatten, entschuldige ich mich. Ich möchte die Erkenntnisse der Studie nutzen, um die Vergangenheit weiter aufzuarbeiten und das Gesetzesvorhaben für die Rehabilitierung der Betroffenen voranzubringen. Dessen Eckpunkte werden auf der Veranstaltung gleichfalls vorgestellt.“
Annegret Kramp-Karrenbauer
Konsequent auf der Jagd nach warmen Brüdern
Die Auslegung eines dienstlichen Bezuges homosexuellen Verhaltens eröffnete der Bundeswehr laut Studie auch nach der weitgehenden Entkriminalisierung im Jahr 1969 einen wohl konsequent bis in die 1980er Jahre genutzten eigenen Handlungsspielraum zur Diskriminierung und Verfolgung homosexueller Soldaten. In den frühen 1970er Jahren galt der dienstliche Bezug demnach bereits als gegeben, wenn zwei Soldaten privat sexuelle Beziehungen unterhielten, ohne dienstliche Kontakte.
Diese Zusammenfassung zur Studie zum Umgang der Bundeswehr mit Homosexualität von 1955 bis zur Jahrtausendwende ist HIER herunterzuladen
Die bis 1969 von deutschen Gerichten in § 175-Fällen genutzten psychologischen Untersuchungen der homosexuellen Veranlagung, wurden laut Storkmann von Truppendienstgerichten noch bis 1980 angewendet. Erst im Jahr 2000 und gegen den Widerstand der Militärführung wurde unter der rot-grünen Kanzlerschaft Gerhard Schröders die Diskriminierung vollständig beendet:
„Wer danach fragt, warum die Bundeswehr ihren homosexuellen Soldaten nach Jahrzehnten plötzlich entgegenkam und alle alten Grundsätze binnen weniger Monate über Bord warf, findet die Antwort vor allem in Europa, im sich wandelnden europäischen Verständnis von Menschenrechten und Diskriminierungsfreiheit.“
Schlusswort der Zusammenfassung auf Seite 12
Eure Fragen an die Bundeswehr
Begleitet wird die Präsentation der Studie am 17. September von einer Diskussionsveranstaltung. Ab 18 Uhr wird sie per Livestream auf der Homepage des Verteidigungsministeriums und auf Twitter übertragen. Über Twitter und vorab unter BMVgPresseSocialMedia@bmvg.bund.de kann jeder Fragen an das Podium stellen. Antworten geben unter anderem die Wehrbeauftragte des Bundestages Eva Högl (SPD) und der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn. Auch Ex-Soldat und Zeitzeuge Dierk Koch und Leutnant Sven Bäring, Vorsitzenden des Vereins QueerBw stehen Rede und Antwort.