#Kommentar: Fetisch-Fegefeuer für CSD Bremen. Schämt Euch!

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Wer in Deutschland seine Freizeit nutzt um ehrenamtlich CSDs zu organisieren, macht sich nicht nur die üblichen Verdächtigen aus rechten und fundamentalistischen Kreisen zum Feind, sondern erfährt auch oft Gegenwind aus den eigenen Reihen. Gründe dafür gibt es viele.

Ein wichtiger Grund ist der, dass queer sein diverser ist, als einzelner mensch* sich das vielleicht vorstellen kann. Zahlreiche Beispiele vom Streit um trans* Personen im Darkroom über Klischees von Lesben und Tunten bis zum Streit um den „alten schwulen weißen Mann“ und die angebliche Identitätspolitik gibt es zu nennen, die für sich genommen jeweils ernste Debatten in den jeweiligen Communitys nach sich ziehen, für Nichtbetroffene oder Nichtinteressierte aber auch an der eigenen Lebensrealität vorbei gehen können. Für die Organisator*innen von CSDs ist daher eine der wichtigsten Eigenschaften, im Geist offen zu bleiben und sich neugierig gegenüber den vielen Buchstaben, Sternchen und Schneeflocken der LGBTIQA*-Communitys zu zeigen. Denn: Kleine Unachtsamkeiten oder auch unbeabsichtigte aber für einige in ihrem persönlichen Setting als schwer verletzend wahrgenommene Fehler, können dank gut vernetzter Aktivist*innen schnell zum schlagkräftigen Shitstorm anschwellen, der in seiner Wucht so drastisch sein kann, dass reihenweise der Rückzug ins Private oder sogar psychische Beeinträchtigungen, allemal aber ein ordentlicher Dämpfer in der persönlichen Motivation die Folgen sind. Was ab dem 16. Juli 2021 über das noch recht junge Orga-Team des CSD Bremen hereinbrach, war genau so ein Fall.

Der Beginn: Einladung zum Dialog

Im Herbst 2020 hatten dort die wenigen Engagierten das, was sie in den ersten vier Jahren des CSD Bremen gelernt und erarbeitet hatten, in ein Grundsatzpapier überführt, welches sie – und das sollte einige schreibende Kolleg*innen und Kommentierende in den Netzwerken wirklich nachdenklich stimmen – ganz deutlich zu Diskussion stellten. In der Präambel heißt es:

„Wir wollen transparent handeln und wir möchten in unseren Entscheidungen verstanden werden. Im Team decken wir nicht alle Dimensionen erfahrener gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ab. Deshalb ist es uns auch wichtig, über unsere Grundsätze öffentlich zu sprechen. Über die Annahmen, die hinter diesen Grundsätzen stehen und über die Sprache, mit der wir darüber reden. Um Feedback zu bekommen und unser Handeln zu reflektieren und daran zu arbeiten, wenn wir doch auf dem falschen Weg sind.“

Der Autor dieses Beitrages arbeitet seit 15 Jahren Vollzeit in den queeren Medien und hat sieben Jahre aktiv in einem CSD-Team mitgewirkt. Das ist eine der wohl am besten formuliertesten Einwandvorwegnahmen und offensten Einladungen zu einer konstruktiven Debatte, die er je in einem solchen Zusammenhang gelesen hat. Wie es trotzdem zu dem kam, was das Team des CSD Bremen am vorletzten Juliwochenende aushalten durfte, wird daher hoffentlich noch aufgeklärt. Aber worum geht es?

Der Streit: Sind Fetischhandlungen sexuelle Handlungen?

Ein Disput, der so alt ist wie die queere Emanzipationsbewegung selbst. Ein Disput, der auch die Mehrheitsgesellschaft bis heute in ein konservatives und ein progressives Lager spaltet. Ab wann ist die Darstellung von Vorlieben und Fetischen die Darstellung von sexuellen Handlungen und was davon hilft der Emanzipation im Rahmen einer Demonstration, was nicht. Das Orga-Team des CSD Bremen jedenfalls schrieb im Herbst 2020 neben die stringenten Verbote von Parteien, Kommerz und Party auch:

„Keine Fetischdarstellungen.

Wir wollen über die Probleme von queeren Menschen in der Gesellschaft aufklären. Wir wollen nicht bewerten, wessen Probleme größer oder kleiner sind. Aber das Darstellen von Fetischen in der Öffentlichkeit finden wir nicht hilfreich, wenn wir bei der gleichen Demonstration und Kundgebung über Themen wie Asylrecht, Trans*Recht oder queere Krankenversorgung sprechen möchten. Gerade bei Fetischen, die für Zuschauende sexuell gelesen werden können, stellt sich zusätzlich das Problem, dass das Publikum nicht einwilligen kann (fehlender Konsens im Sinne von Safe, sane, consensual). Ganz zu schweigen davon, dass die Sexualisierung von Frauen* im Allgemeinen und Minderheiten im Besonderen problematisch genug ist.“

Medien machen Meinung

Über diesen Absatz stolperte Mr. Fetish 2020 Torsten Burandt und postete seine nachvollziehbare Interpretation des Absatzes als Fetischverbot am 16. Juli 2021 um 20 Uhr wütend auf Facebook. Das Team des CSD Bremen bekam dies irgendwann am frühen Morgen des 17. Juli mit, denn queer.de veröffentlichte um 8:53 Uhr, also rund 12 Stunden nach dem Posting, einen umfassenden Artikel. Das – und das muss hier wiederholt werden – ehrenamtliche Team des CSD Bremen, hat dann um 11:37 Uhr auf Twitter mitgeteilt, dass die Fetischcommunitys beim CSD willkommen seien und man* sich zeitnah ausführlicher melde.

Micha Schulze, Geschäftsführer von queer.de, sendete drei Minuten später um 11:40 Uhr einen umfangreichen Fragenkatalog an den CSD Bremen. 12 Minuten gab er dem Team Zeit, bereits um 11:52 Uhr war in einem Update des Artikels zu lesen, dass „auch queer.de“ auf „die Beantwortung einiger Fragen zur Fetischklausel“ warte. Was passierte jetzt mutmaßlich?

Ein kleiner Exkurs in die Vereinsarbeit

Emails, Anrufe, SMS zwischen wenigen Personen, die ihre Freizeit regelmäßig in ordentlichen Sitzungen für die Community und die CSD-Organisation opfern, nun aber vielleicht gerade mit Freunden brunchen, ihren Schichtdienst absolvieren, in den Sommerferien weilen oder – auch das soll es geben – einfach mal ausschlafen. Streitgespräche, Diskussionen, Abwehrreaktionen, Vorwürfe und der Wille, das in der Präambel ausgeschrieben Versprechen der offenen Debatte und Lernbereitschaft einzulösen, von draußen eine Flut von Markierungen und Mentions auf allen digitalen Kanälen.

Wochenendschicht mit Ergebnis

Nur rund weitere 24 Stunden später stand sie, die Antwort per Pressemitteilung. Sie stellt fest:

Außerdem wurde die Änderung des betreffenden Eintrages angekündigt und nur wenig später zusammen mit einer Entschuldigung umgesetzt:

„Wir haben jetzt Fetisch durch Sex ersetzt. Wir entschuldigen uns dafür, dass wir zwei Sachen in einen Topf geworfen haben, die zwar Überschneidungen haben, aber nicht das Gleiche bedeuten.“

Im Update des auslösenden Berichtes bei queer.de am 18. Juli war dazu zu lesen: „27 Stunden nach seiner Ankündigung auf Twitter hat der CSD Bremen am Sonntagnachmittag doch noch eine Stellungnahme ... veröffentlicht.“

Die Entschuldigung des CSD Bremen und der geänderte Text sind bis heute, 19. Juli 14:15 Uhr, also fast weitere 24 Stunden später, nicht im betreffenden Artikel auf queer.de zu finden. Dafür tobt der digitale Sturm in den Kommentarspalten über angebliche Nicht-Entschuldigung und Victim-Blaming weiter. Auch so machen Medien Meinung. 


Update 19.7. 15:51 Uhr:

Rund 24 Stunden nach der Entschuldigung und der Änderung des Textes durch den CSD Bremen, hat queer.de doch noch in einem Update darüber berichtet. 

Murmeltier, Hamsterrad, Zeitschleifen und der freie Wille

Es gibt den Riss zwischen denen, die öffentliche sexuelle Handlungen zu ihrem persönlichen Freiheitskampf zählen und jenen, die das nicht tun. Der Ausschluss der ersten Gruppe muss einem nicht gefallen und darf auch kritisiert werden. Der Autor selbst findet es hoch kritisch, sich so festzulegen, genießt aber auch den Luxus in der Welthauptstadt der freien Liebe zu leben und nicht bei den Fischköppen in Bremen, die ein ganz eigenes protestantisch-prüdes** Moralempfinden bis tief in die Amtsstuben anzutreiben scheint.

Niemand ist übrigens gezwungen, die Vorgaben des CSD Vereins zu beachten, es sind nur Visionen und Ideen, die einige Wenige entwickeln – im Dienste der Community. In diesem Dienst gehen sie wie Hamster im Rad durch die gleichen Fegefeuer, die andere Teams teilweise schon in den 1980er Jahren durchlebten. Einen gravierenden Unterschied zu den Altvorderen der Bewegung gibt es aber: Die unendliche Übermacht des Schwarms. Die Erregung in den sozialen Medien, die Wucht des Hasses und der Überheblichkeit des eigenen, vorgeblich besseren, reineren und richtigeren Aktivismus. So war auch das angebliche Verbot der Teilnahme der „Pup Play“-Community 2019 kein Verbot, wie die der Redaktion vorliegende Email an die Puppies belegt. Auch damals ging es um die jetzt unmissverständlich formulierte Ächtung sexueller Handlungen beim CSD Bremen. Noch einmal: Die muss einem nicht gefallen. Niemand ist gezwungen, das zu beachten, es sind nur Visionen und Ideen, die einige Wenige entwickeln – im Dienste der Community.

Friss oder stirb, rutscht es dem Autor fast aus der Feder. Aber nur fast. Beißreflexe. Eigentlich wollen wir doch nur spielen. Happy Pride! *Christian Knuth


** A. d. R.: In der ursprünglichen Version stand hier „preußisches"

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