Maren Kroymann: „Es reicht irgendwann, ‚die eine’ zu sein.“

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Anlässlich des #Weltfrauentages und der Kampagne #ActOut ein Interview aus dem hinnerk Archiv: Wir sprachen 2015 mit Maren Kroymann schon einmal ausführlich über Feminismus, Coming-out, lesbische Vorbilder, Rollen und Normen in Kultur und Gesellschaft und deren Entwicklung in der Bundesrepublik. Sind wir heute wirklich weiter?


Foto: Milena Schlösser

Interview I Erstveröffentlichung in hinnerk 3/2015

Maren Kroymann – Vergewaltigungswitze und Kryptolesben

Bei einem Ingwer-Orangen-Tee sprachen wir mit der wunderbaren Maren Kroymann über Feminismus, Dusty Springfield und kleinbürgerlichen Mief in der Gesellschaft. 

„IN MY SIXTIES" HEISST IHR AKTUELLES PROGRAMM. ES IST KEIN REINES GESANGSPROGRAMM, RICHTIG? Nein, ich singe die Lieder meiner Kindheit und aus der Jugend, die ich zu dieser Zeit geliebt habe. Dazwischen versuche ich, das Universum von damals durch Moderationen, kleine Szenen und Stand-up-Monologe wiederherzustellen. Die haben es in sich. 

DIE LIEDER, DIE GESUNGEN WERDEN, STAMMEN AUS DER ZEIT IHRER SPÄTEN TEENIEJAHRE. IHR ERSTES PROGRAMM HANDELTE VON DEN 1950ER-JAHREN UND KRITISIERTE DAS FRAUENBILD. WELCHES THEMA IST BEIM AKTUELLEN PROGRAMM DAS BESTIMMENDE? Egal welches Programm ich mache, das Frauenbild ist immer der tonangebende Mittelpunkt, der mich interessiert. Schlager und Popmusik sagen sehr viel über die Genderthematik und das gerade aktuelle Konzept Frau aus.

Foto: Milena Schlösser

In den 1950er-Jahren wurden in den Schlagern klare Handlungsanweisungen gegeben. Die Frau wartet sehnsüchtig zu Hause, während die Männer in der Weltgeschichte unterwegs waren. Das war selbstverständlich eine Metapher auf die Kriegsjahre und hat aber dieses Bild von der passiv abwartenden Ehefrau geprägt. Davon hat sich die Gesellschaft später mühsam emanzipieren müssen. 

WAR DAS IN DEN 1960ER-JAHREN SCHON MERKBAR? Ganz so platt war es nicht mehr. Es strahlte aber noch aus. „Wishin' and Hopin'" von Dusty Springfield ist so ein Song. Ein wunderschönes Lied, aber mit Ansagen wie ‚mach dir die Haare schön, mach was er will, dann eroberst du ihn' ist der Text ganz, ganz schrecklich 1950er. Die Veränderungen kommen erst zum Ende des Jahrzehnts zum Tragen. Darum geht es auch im zweiten Teil des Programms. Ich erzähle zum Beispiel Vergewaltigungswitze, die damals en vogue waren. Ganz schlimme Witze mit einem furchtbaren Frauenbild.

Ich erzähle das absichtlich, um das Klischee von Hippies, Drogen und freier Liebe zu kontrastieren.

Das war zwar das Neue, die Utopie, die wir erträumten, sie traf aber in den ganzen 1960ern noch auf eine Realität, die furchtbar verklemmt, verhuscht und reaktionär war – gerade, was das Frauenbild angeht. 

ES HAT NOCH DREISSIG JAHRE GEDAUERT, BIS „DER MARSCH DURCH DIE INSTITUTIONEN" DER 68ER-BEWEGUNG ZU ENDE WAR ... Es hat ewig gedauert. Dieses verklärte Bild der 1960er will ich korrigieren. Beispiel Minirock: Nur weil Twiggy einen Minirock getragen hat, hieß das für die damalige Frau doch nichts. Ich habe mich erst Jahre später getraut, einen Minirock zu tragen. Aber die Popmusik hat diese Visionen schon transportiert und hat sozusagen das Bild entwickelt, das wir uns erträumten. Britpop war total cool, Schlager war blöd. Dusty Springfield war zum Beispiel damals schon eine Ikone für mich mit ihrer Nähe zum Motown Sound und zur schwarzen Musik.

Dass sie – offiziell ist es ja nie gemacht worden – lesbisch war, also eine Schranklesbe, habe ich erst erfahren, als ich dieses Programm geschrieben habe. 

SIE IST AUCH EINE SCHWULENIKONE GEWORDEN, IN DEN 1980ERN, DURCH DIE ZUSAMMENARBEIT MIT DEN PET SHOP BOYS ... Genau. Ich singe „In Private" am Schluss des Programms. Das ist zwar nicht aus dem 1960ern, aber es passt so hervorragend. Was für ein genialer Schachzug, der schon leicht abgehalfterten Kryptolesbe zu einer zweiten Karriere zu verhelfen. Und das ausgerechnet mit einem so eindeutig zweideutigen Text, der zwar von einem Mann erzählt, der nicht zu seiner Beziehung steht – Geliebte versus Ehefrau – aber sich natürlich als Raster über jede homosexuelle Beziehung beiderlei Geschlechts stülpen lässt. Klar, dass Lesben und Schwule das verstanden haben und diesen Text über das „Nicht zu sich, nicht zu seinem Partner Stehen" auf sich bezogen haben 

... AUCH NEIL TENNANT WAR DAMALS SELBST NOCH SCHRANKSCHWESTER. ER HATTE ERST IN DEN 1990ERN SEIN OFFIZIELLES COMING-OUT ...  Es passt also wirklich auf allen Ebenen und schließt für mich den Kreis, wie wichtig Popmusik für das Transportieren von Utopien ist. Schwule sind übrigens unglaublich empathisch dafür. Nicht umsonst hat die Gay Community nicht nur Dusty Springfield, Marianne Rosenberg oder Zarah Leander und auch mir bei meinem ersten Programm „Auf du und du mit Stöckelschuh" zum Erfolg verholfen. Es war mir auch deshalb wichtig, das an den Schluss des Programms zu setzen. Auch wenn das Heteropublikum diesen Kontext vielleicht nicht ganz so einfach nachvollziehen kann, wie das homosexuelle. Außerdem wollte ich auch einfach noch einen anderen musikalischen Farbton ins Programm bringen – Disko! 

WIE VIEL VON DUSTY SPRINGFIELD IST DENN DABEI?

Das sind schon ein paar Lieder. Zwei der großen Bacherarach-Songs. Auch Coverversionen, die sie gesungen hat. Dann gibt es auch aus Ozons „8 Frauen" Catherine Deneuves „Toi jamais", weil ich den Film und den Text und überhaupt die französische Sprache sehr gerne mag. 

ALSO RECHT WENIG SCHLAGER. Stimmt. ICH BIN DURCHS SCHMIDT-THETAER-GEPRÄGT MIT DEN GANZEN SCHLAGER-REVUEN. Da bin ich nicht ganz unschuldig dran. Ich war ja quasi Vorreiterin dieses Genres mit dem ersten Programm. Wichtig ist mir im aktuellen Programm der Weg, die Katharsis, durch die ideologischen Rückschrittlichkeiten dieser Zeit, den das Publikum von mir geleitet durchlebt und am Schluss dann hoffentlich glücklich und befriedet abschließen kann. 

SIE BEGINNEN DAS PROGRAMM MIT DEM HINWEIS, SIE FEIERN IHRE FÜNFZIG JAHRE PUBERTÄT. WIE MEINEN SIE DAS? Ich bin durch das Nachdenken über das Klimakterium darauf gekommen. Ich habe in der Kleinserie „Klimawechsel" von Doris Dörrie über Frauen in den Wechseljahren die böse Frauenärztin gespielt, die ihrer Patientin die Vagina zunäht und ihr alles verbietet, um die Konkurrentin auszustechen. Bei der Pressearbeit musste ich mich zu dieser Thematik artikulieren und ich habe gesagt, Leute, es wird wieder besser. Pubertät und Wechseljahre haben viel miteinander gemeinsam und ich finde, man sollte sich die Neugier der Pubertät bewahren und die späte Wechselphase auch als Beginn von etwas Neuem begreifen.

Es ist eine viel freiere und bessere Situation. Ich habe zwar hier und da körperliche Zipperlein, aber insgesamt bin ich viel glücklicher als davor. Das möchte ich den Frauen auch mitgeben: sich zu befreien von den Zwängen, die man vorher mit sich herumtrug. Im Alter werden diese hinter sich gelassen, man hat seine soziale Situation erreicht, man kann viel entspannter Zeit mit Menschen verbringen, die man einfach geil findet. Da ist nicht mehr dieses strategische Denken, die Frage, ob das nun gleich wieder eine Beziehung wird. Auch sexuell findet dadurch eine Befreiung statt. Ich finde die Verknüpfung von sexueller Aktivität und sozialem Aufstieg grundpervers. Und das wird schwächer im Alter. 

WIE NEHMEN SIE DENN DIE AKTUELLE VERÄNDERUNG DER SZENE WAR, DIE PLÖTZLICH GENAU DIESE ERREICHTEN FREIHEITEN DER „ALT-68ER" WIEDER INFRAGE STELLT? DIESEN WUNSCH, DAS SEXUELLE WIEDER INS PRIVATE ZURÜCKZUDRÄNGEN. Wir haben in Frankreich diese riesigen Demonstrationen gegen die Eheöffnung gehabt. Das hat mich schon sehr gewundert. Auch als Carolin Emcke in der „Zeit" einen Artikel veröffentlicht hatte, in dem sie schrieb, dass sie keine Lust mehr habe, sich dafür zu rechtfertigen, dass auch Lesben gute Mütter sein könnten, waren die Reaktionen verheerend. Da gab es so widerliche, erzkonservative und rechte Leserbriefe im Kontext, dass bei der Familie, bei Kindern der „Spaß" doch aufhöre ... 

ANALOG DAZU HABEN WIR DIE „BESORGTEN ELTERN" AUF DEN STRASSEN, DIE GEGEN „PORNOUNTERRICHT" AN SCHULEN DEMONSTRIEREN. ICH KANN MICH NICHT DARAN ERINNERN, DASS MAN SICH VOR ZEHN JAHREN IM SOGENANNTEN BÜRGERTUM SO DEUTLICH HOMOPHOB POSITIONIERT HÄTTE. Das hängt wahrscheinlich auch mit dem großen Erfolg unserer Bewegung zusammen. Es ist etabliert, festgesetzt und das ist – auch dank der großartigen Arbeit von einzelnen Menschen wie zum Beispiel Volker Beck und Margot von Renesse – viel schneller gegangen, als wir uns das erträumt hatten. Und da liegt vielleicht das Problem. Die Gesellschaft hat sich selbst ein Stück weit überholt. Bei uns sieht es zum Glück etwas besser aus, weil wir eine jahrelange, breite Diskussion geführt haben in Talkshows, Zeitungen und im Privaten. Im zentralistischen Frankreich ist das eher von oben herab entschieden worden. Bei uns haben sie dann halt den Volker beleidigt oder der Norbert Geis durfte seine kruden Thesen präsentieren. Aber: Es wurde verhandelt. Ich meine, dass es bei uns dadurch zahmer ist. Aber ich bemerke auch, dass mit der zunehmenden Emanzipation der Gegenwind wieder stärker wird. Die Zeiten, in denen die heteronormative Gesellschaft uns von oben als Opfer über den Kopf tätscheln konnte, so nach dem Prinzip, „ich kenne auch Homosexuelle, die sind auch okay", sind vorbei.

Wir befinden uns als Community sozusagen in einer gleichberechtigten Konkurrenzsituation. Früher, als wir versteckt lebten, konnten „die anderen" schlecht sagen, die oder der hätte den Job, das Amt, den Erfolg nur, weil sie lesbisch oder schwul sind. Jetzt, wo wir offen dazu stehen, fällt es leichter, auch offen zu diskriminieren. 

WIE WAR DAS, ALS SIE SICH 1993 GEOUTET HABEN? Das war ganz ähnlich. Mein Feminismus wurde nach meinem Outing diskriminiert als lesbische Eigenart: „Die ist ja lesbisch und hat daher einen Hass auf Männer." Was für ein dümmliches, primitives Argument! Erstens habe ich die ersten zwanzig Jahre meines sexuell aktiven Lebens mit Männern verbracht und zweitens bin ich nicht Feministin, weil ich Männer nicht leiden kann, sondern weil Frauen ungleich behandelt werden – und das hab ich auch schon empfunden, bevor ich lesbisch wurde. Wer offen lebt, ist souverän. Das gefällt einigen konservativen Menschen manchmal nicht.

Es ist, als ob ihnen – „den rechtschaffenden Normalen" – ein Privileg abhanden kommt, wenn die „anderen" auf einmal die gleiche gesellschaftliche Achtung erfahren, wie sie. 

IST DAS EIN GRUND, WARUM AUSSER WENIGEN AUSNAHMEN JUNGE LESBISCHE VORBILDER SO SELTEN SIND? FAST ALLE AKTIVEN VORBILDER SIND JA SOZUSAGEN WIEDER „IN IHREN SECHZIGERN" ... Ich kenne viele Lesben, die immer noch eine große Angst davor haben, sich zu outen. Wir sind noch die erste Generation, die erst mal beweisen musste, dass es trotzdem funktioniert mit der Karriere, mit der Familie. Nicht umsonst halten sich Anne Will und andere ja auch so weit wie möglich aus der Diskussion raus. Ich bin ja fast die Einzige, die durch die Talkshows getingelt ist. (lacht) 

WAS JA DURCHAUS ERMÜDEND SEIN KANN ...

Ja! Es ist jetzt zwanzig Jahre her, und ich möchte ehrlich gesagt auch langsam wieder mehr über meine Schauspielkarriere als über meine Sexualität definiert werden. Es reicht irgendwann, „die eine" zu sein – oder besser gesagt „die andere" nach Hella von Sinnen und Cornelia Scheel. Ich dachte eigentlich damals, ich oute mich jetzt und nach zwei, drei Jahren kommt die Nächste und ich habe meine Ruhe. Das ist so nicht eingetreten. 

WORAN LIEGT DAS? Es sind die schon angesprochenen gesellschaftlichen Konventionen. Ich kenne einige, die zum Beispiel sagen, sie seien bisexuell und sich aber dann eben sozial über den Mann und das Kind definieren. Es ist natürlich völlig in Ordnung bi zu sein und das auch zu sagen. Aber komischerweise wird öffentlich meist nur die heterosexuelle Seite zur Schau gestellt. Das ist speziell bei Lesben, viel mehr als bei Schwulen, wahrscheinlich einer tief sitzenden Angst geschuldet. Frauen meiner Generation sind immer zum einen als Frauen unterdrückt worden und müssen sich als Lesben sozusagen gleich zweimal emanzipieren. Es war für viele ein Trauma, in der Pubertät festzustellen, dass sie anders sind. Die Kraft, dann öffentlich zu sich zu stehen, fehlte vielen Frauen wohl, vielleicht auch mangels Vorbildern. Oder sie nehmen wie Anne Will halt erst einmal Rücksicht auf die Karriere und warten den richtigen Zeitpunkt ab, an dem das Outing dann diese nicht mehr gefährden kann. Das haben sie und Miriam Meckel richtig gut gemacht. Je mehr nachfolgen, desto einfacher wird es. Ich kritisiere aber auch an einigen Frauen meiner Generation – einigen! Nicht allen! Es gibt ja auch die tollen Kämpferinnen! – aber an einigen, dass sie sich in dem kleinbürgerlichen Mief in gewisser Weise wohnlich eingerichtet haben.

Foto: Screenshot YouTube / SPD

Anders kann ich mir die Lebenswirklichkeit nicht erklären, wo die lesbische Großmutter zwar getrennt lebt, aber dennoch die Freundin erst nach Weihnachten eingeladen wird, wenn die „Blutsfamile" wieder abgereist ist. Lesbisch ist man erst wieder ab dem 27. Dezember – das ist doch furchtbar. Und unnötig, weil man ja, wie Eingangs erwähnt, in dieser Phase des Lebens eigentlich nicht mehr so viel an Karriere und sozialen Status zu denken bräuchte. Bei mir in der Branche kommt dann auch noch dazu, dass es eine große Angst gibt, für bestimmte heterosexuell definierte Rollen infrage zu kommen. 

IST DAS DENN SO? Ich bin stolz darauf, den Gegenbeweis zu führen mit meinen Rollen. Ich habe im letzten Jahr erst eine wunderbare Heterobeziehung gespielt und ich kann hervorragend eine Mutter spielen, obwohl ich das im echten Leben auch nicht bin. Das ist mein Anspruch, dass ich diese Karriere auch nach diesen zwanzig Jahren so entwickeln kann und das erfolgreich tun kann. In den Jahren nach dem Coming-out wurden mir diese Rollen nicht mehr angeboten. Jetzt, da ich auch öffentlich über das Klimakterium spreche, kommt man wieder eher auf mich als emanzipierte Frau zurück, wie das schon bei „Oh Gott, Herr Pfarrer" mal war.

Der Erfolg kann nicht sein, dass ich als Lesbe nur noch Lesben spiele, sondern ich muss genau die Rollen spielen dürfen, die ich vor dem Coming-out auch gespielt habe.

Ich freue mich, als offen lesbische Frau tolle und sexy heterosexuelle Rollen spielen zu können. Ich freue mich auch darüber, die coole Oma zu spielen, die mit der Enkelin kifft, während die Mutter – wegen ihrer Karriere – noch etwas spießiger ist. Alt-68er halt. So schließt sich der Kreis. Die werdet ihr noch vermissen! 

*Interview: Christian Knuth 

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