Planten un Bullen

by ,

Hamburg und sein staatliches Verhältnis zur Homosexualität füllt schon Bände. Die Covid-19-Krise fügt neue Kapitel hinzu. Wir feiern die Wiederauferstehung von Sitte und Ordnung im nachpreußischen Stile. Ja, wir meinen auch nach Weimar, denn bei aller Liebe zur Volksgesundheit, ist es unverhältnismäßig, sich an vereinzelt kopulierenden Männern in Parks abzuarbeiten, während Horden von Betrunkenen schon wieder völlig unbehelligt durch die Straßen feiern.

Ein Déjà-vu in Hamburg 

Foto: Eva Burgdorf

Kai Reinecke war einer der ersten, der nicht nur bereitwillig eine dieser zur Zeit kursierenden Geschichten erzählt, er tut dies mit Klarnamen und Gesicht öffentlich. In bester Tradition schwuler Sichtbarkeit gegen die Prüderie der Gesellschaft also: Kai übernahm gemeinsam mit dem mittlerweile verstorbenen Effi Effinghausen am 1. Januar 1987 das Café Gnosa. Die beiden machten daraus das erste schwule Tagescafé auf der Langen Reihe in Hamburg. Mit Fenstern und Außenbestuhlung. Ein Novum, denn bis dahin versteckten sich Homosexuelle meist noch hinter verhangenen Fenstern in Türklingelklubs. Er war gelinde gesagt pikiert über das Verhalten zweier Polizisten im Gustav-Mahler-Park.

Foto: gemeinfrei / CC0

Als nicht (mehr) beteiligter Dritter beobachtete er von einer Bank aus, wie ein sexelndes Männerpaar von einer Polizeistreife förmlich hochgeschreckt und dann zusammengestaucht wurde. Psychisch nur, körperliche Gewalt wurde nicht angewendet. Allerdings beschreibt Kai die Situation als unangenehm und provozierend. Fast triumphierend wirken die Polizisten, als sie mit einer Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses eine Drohkulisse konstruieren.

Foto: C. Knuth

Wäre es „nur“ um eine Corona-Kontrolle gegangen, hätte Kai die Sache eher auf sich beruhen lassen können. So aber blieb der fade Geschmack des Erinnerns an überwunden Geglaubtes. Und der blieb nicht nur ihm.

Partisanenkrieg in Berliner Parks

Aus dem Hamburger Stadtpark, aus dem besagten ehemaligen BAT-Park in Hamburg und in Berlin aus Humboldthain und Friedrichshain sind uns Berichte über rüdes Einmarschieren der Ordnungshüter bekannt geworden, die allerdings – das wollen wir nicht unterschlagen – oftmals gar nicht dem anwesenden Cruising-Volk galten, sondern feiernden Jugendlichen mit ihren Ghettoblastern.

Ob dafür – und das nun wieder ein Augenzeugenbericht – eine bis an die Zähne bewaffnete und vermummte Zehnertruppe durch die Rabatten schleichen muss, um wie im Partisanenkrieg mit Scheinwerfern und Gebrüll loszuschlagen, sei ebenso in Frage gestellt, wie die Sinnhaftigkeit solcher Einsätze ganz generell.

Foto: C. Knuth


Muss die Staatsgewalt eben diese gegen ihren Souverän anwenden, wenn er in diesen Zeiten etwas Zerstreuung im Grünen sucht? Während sie gleichzeitig durchgeknallten Reichsbürgern mit Samthandschuhen und maximaler Medienaufmerksamkeit begegnet?

Die Polizei Hamburg antwortet

Selbstverständlich geht es der Redaktion nicht darum, Ressentiments gegen die Polizei zu füttern. Auch deshalb schrieben wir bereits Ende August an Ordnungsämter, Staatsanwaltschaft, LGBTIQ*-Ansprechpersonen und Polizeipressestelle, um die recherchierten und zugetragenen Berichte möglichst vollumfänglich von allen Seiten beleuchten zu können und ggf. in einen Dialog einsteigen zu können.

Foto: Polizei Hamburg

Ein Hamburger Ordnungsamt antwortete mit dem Hinweis auf Nichtzuständigkeit, die bis heute einzige weitere Antwort kam von der Pressestelle der Polizei Hamburg. Wir dokumentieren Anfrage und Antwort hier.


hinnerk am 31. August 2020

Die Schließung von sicheren Rückzugsräumen für Männer, die Sex mit Sex haben, führt dazu, dass „alte“ Cruising-Gebiete (in Hamburg unter anderem Stadtpark und Gustav-Mahler-Park) neu entdeckt werden. In Berlin und Hamburg habe ich für die diesbezügliche redaktionelle Begleitung in hinnerk und auf männer* recherchiert. Dabei sind - teilweise aktenkundige - Einzelfälle an mich herangetragen worden, die inzwischen auch in weiten Teilen der örtlichen schwulen Sexszenen die Runde machen.

Ihre Antworten auf diese Anfrage sollen dazu beitragen, mir und den Leser*innen ein ausgewogenes Bild der Realität zu verschaffen. „Sie“ steht hierbei jeweils stellvertretend für Polizei Hamburg bzw. das jeweilige Ordnungsamt des Bezirkes oder die Staatsanwaltschaft – nicht zutreffendes bitte einfach ignorieren.

  1. Führen Sie gezielt Patrouillen und/oder Personenkontrollen in Gebieten durch, die für die Anbahnung mann-männlicher Sexualität bekannt sind?
  2. Welchem konkreten Zweck dienen diese Kontrollen und/oder Patrouillen?
  3. Gibt es gegenüber den Vorjahren eine signifikante Erhöhung der Präsenz in benannten Gebieten?
  4. Wie viele Anzeigen nach § 183a StGB „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ sind im Zeitraum April bis Ende August über Mitarbeiter*innen der Ordnungsämter oder der Polizei aus benannten Gebieten aktenkundig geworden? (Also nicht durch Bürger*innen gestellt worden)

Ich bitte Sie um die Beantwortung bis möglichst Ende dieser Woche, wenn es die Mitte der kommende Woche wird, ist das auch noch ausreichend, um in den Bericht in hinnerk 10/2020 einfließen zu können. Gerne stehe ich für Rückfragen zur Verfügung und freue mich auch über Statements und Informationen, die über diese Fragen hinausgehen.

Pressestelle der Polizei Hamburg am 4. September 2020:

  1. Nein. Gezielte Maßnahmen aufgrund möglicher Anbahnungen mann-männlicher Sexualität fanden zu keinem Zeitpunkt statt.
  2. entfällt
  3. Zur Überwachung und Durchsetzung der Allgemeinverfügungen zur Eindämmung des Coronavirus in Hamburg bzw. der Hamburgischen SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung wurden verstärkt im ersten Halbjahr 2020 offene polizeiliche Präsenzmaßnahmen im gesamten Stadtgebiet mit dem Ziel der Gefahrenabwehr und ggf. Störungsbeseitigung durchgeführt. Darüber hinaus kann es natürlich immer mal wieder zu temporären Einsätzen in den Gebieten aus völlig unterschiedlichen Gründen kommen. In dem Moment hängt es von den Wahrnehmungen und den Bewertungen derjenigen Personen ab, die diese Einsätze mitbekamen.
  4. Die Polizei erfasst Straftaten gemäß dem Straftatenkatalog der Richtlinien für die Erfassung und Verarbeitung der Daten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Die räumliche Erfassung des Tatortes erfolgt in der PKS in der kleinsten Einheit nach Ortsteilen (OT). Nach Straßen oder Plätzen wird nicht differenziert. Daher sind die in der Anfrage genannte Örtlichkeiten anhand der PKS nicht auswertbar. Darüber hinaus wird nicht erfasst, ob die Anzeige nach § 183a StGB durch Bürger, durch Mitarbeiter der Ordnungsämter oder durch die Polizei erstattet wurde. Hierfür wäre deshalb eine Durchsicht aller Hand- und Ermittlungsakten des erfragten Zeitraums bei der Polizei notwendig. Dies ist aufgrund des damit verbundenen enormen Zeitaufwandes und der Vielzahl der journalistischen Anfragen/ Schriftlichen Kleinen Anfragen nicht möglich.

Die Ansprechpersonen für LSBTI* der Polizei Hamburg wollten sich gegenüber hinnerk nicht äußern, erkundigten sich aber für Kai nach dem von ihm beobachteten Vorgang. Dort wurde wohl auf die angedrohte Anzeige verzichtet.

Synopsis

Soweit so gut? Nein. Gut war es auch davor noch lange nicht. Dass es jetzt – wenn auch nur gefühlt – wieder schlechter ist, ist eine wirklich besorgniserregende Nebenwirkung der Pandemie.

Corona nimmt der Sexualität auch weiterhin und auf unabsehbare Zeit ihre gewohnten Spielplätze. Der ihr zugrundeliegende Trieb lässt sich aber weder ein- noch aussperren. Lassen wir es nicht zu, dass uns die grauen Männer Zeit und Lebensfreude stehlen um ihr trauriges Dasein zu rechtfertigen. 

*Stefan Kraushaar und Christian Knuth


Back to topbutton