Fatale Folgen nach Diskriminierung beim Zahnarzt

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P. möchte anonym bleiben: „Weil nicht jeder wissen muss, dass ich HIV-positiv bin. Erst recht nicht nachdem, was ich erlebt habe.“ Mit Anfang Vierzig steht er erfolgreich im Leben, auf seine Gesundheit achtet er, wenn auch nicht übermäßig. Zweimal im Jahr zur Zahnprophylaxe ist allerdings Pflichtprogramm. Was er nicht wußte, ist, dass er jahrelang beim Zahnarzt diskriminiert wurde, mit fatalen Folgen für seine Gesundheit.

„Ich will es auch einfach nicht wahrhaben, dass ich mich so habe behandeln lassen.“

„Ich habe mich dort echt wohlgefühlt und das Team war auch sehr nett zu mir. Ich habe nie hinterfragt, dass die Prophylaxe wegen meines HIV-Status immer nur an besonderen Tagen und nach Ende der Schicht gemacht wurde.“

Die Zahnprophylaxe wird umgangssprachlich auch professionelle Zahnreinigung genannt, die Kosten von 75-130 Euro übernimmt die Krankenkasse nicht. Zahnoberflächen, Zahnzwischenräume und die Zahnfleischtaschen werden vorsorglich gereinigt, damit sich Karies nicht ausbreiten oder eine Parodontitis entsteht, also eine bakterielle Entzündung des Zahnbettes.

„Das hätte mein Zahnarzt und die Dame, die die Prophylaxe gemacht hat, doch sehen müssen. Warum haben die mich nicht anständig behandelt?“

Umso verwunderter war P., als er eines Tages von extremen Zahnschmerzen geplagt nachts in eine Zahn-Notklinik musste. Die dort behandelnden Ärzte schüttelten bei der Untersuchung vor Entsetzen die Köpfe. Acht Zähne waren von Karies angefressen, und das an Stellen, die schwer zu erreichen waren: Zahnzwischenräume auf der inneren Seite und an den Backen- und Weisheitszähnen, teilweise bis kurz an die Zahnwurzel vorangeschritten.

Foto: Jonathan Borba / Unsplash.com

Zusätzlich wurde eine Parodontitis im Anfangsstadium diagnostiziert. „Das hätte mein Zahnarzt und die Dame, die die Prophylaxe gemacht hat, doch sehen müssen. Warum haben die mich nicht anständig behandelt?“

„Ich nehme ja meine HIV-Medikamente, bin somit nicht ansteckend. Es gab nie einen Grund, die Geräte zur Zahnreinigung extra wegen mir zu desinfizieren. Im Prinzip ist es ein Skandal. Und es ist mir unglaublich peinlich.“

Gemeldet hat P. den Vorfall bis heute nicht, auch wenn er gutes Recht dazu hätte und eventuell anderen Patienten ein ähnlich schmerzhaftes Erlebnis ersparen könnte. „Ich will es auch einfach nicht wahrhaben, dass ich mich so habe behandeln lassen. Ich nehme ja meine HIV-Medikamente, bin somit nicht ansteckend. Es gab nie einen Grund, die Geräte zur Zahnreinigung extra wegen mir zu desinfizieren. Im Prinzip ist es ein Skandal. Und es ist mir unglaublich peinlich.“

Die schwierigen Reparaturen an seinen Zähnen hat P. dann bei einer neuen Zahnärztin durchführen lassen. Die Behandlung zog sich über Monate hin und kostete ihn weit über 1000 Euro für die Füllungen allein.


Wie P. geht es leider vielen und auch selbst behandelnde Zahnärzte sind nicht vor Diskriminierung gefeit. Lorenzo Ianello etwa arbeitete eine Weile als Assistenzarzt in einer Zahnklinik im Osten Berlins. „Ich bin schwul und queer und wollte natürlich auch meine Freunde informieren, dass sie sich bei uns behandeln lassen können.“

„Es wurde mir gesagt, dass wir Menschen mit HIV nur am Ende des Tages behandeln könnten, weil das Equipment eine spezielle Reinigung benötige.

Ein Freund von ihm, der trans* und auch HIV-positiv ist, kam daraufhin zur Behandlung und füllte das Aufnahmeformular wahrheitsgemäß aus. Zum großen Schock der Mitarbeiter*innen dort: „Sie hatten regelrecht Angst davor, jemanden mit HIV behandeln zu müssten.“

Doch selbst nachdem Lorenzo dem Team mitgeteilt hatte, dass die Person seit zehn Jahren regelmäßig Medikamente nimmt und daher nicht ansteckend ist, waren die Kolleg*innen nicht überzeugt. „Es wurde mir gesagt, dass wir Menschen mit HIV nur am Ende des Tages behandeln könnten, weil das Equipment eine spezielle Reinigung benötige. Ich war zwar misstrauisch, dachte aber dann, dass die Dinge hier wohl so geregelt werden.“

„Sie sagte, sie sei sicher, dass dies der richtige Weg sei, um Menschen mit HIV zu behandeln. Ich bemerkte dann auch eine Art Homophobie und mangelnde Empathie."

Als sich erneut ein HIV-Patient  mit einen regulären Termin zu ihm verirrte, kam die Chefin auf Lorenzo zu: „Sie war sehr aggressiv und sagte mir, dass es ihre Klinik sei und ich nicht einfach machen könne, was ich wollte. Sie sagte, sie sei sicher, dass dies der richtige Weg sei, um Menschen mit HIV zu behandeln. Ich bemerkte dann auch eine Art Homophobie und mangelnde Empathie. Sie machte wirklich seltsame und unwissenschaftliche Behauptungen, etwa dass wir den Stuhl desinfizieren müssen, weil HIV darüber weitergegeben werden könnte. Wie verrückt!“

„Im Prinzip sagte sie mir damit, dass Schwule und HIV-positive eine Bedrohung für Kinder sind. Danach habe ich meine Kündigung abgegeben und bin gegangen.“

Lorenzo bemühte sich zwar um eine Aufklärung und präsentierte Nachweise, dass Menschen, die regelmäßig ihre Medikamente nehmen, auch nicht ansteckend sind. Doch selbst auf knallharte Fakten ging die Zahnärztin nicht ein.

„Sie sagte dann noch, dass sie es nicht verantworten könne, wenn etwa ein Kind auf diesem Stuhl sitzt und dann HIV bekommt. Im Prinzip sagte sie mir damit, dass Schwule und HIV-positive eine Bedrohung für Kinder sind. Danach habe ich meine Kündigung abgegeben und bin gegangen.“

Strukturelle Diskriminierung

LSBTI* und Diskriminierung sind leider immer untrennbar verbunden. Betroffene können nicht immer gleich reagieren, teils aus Angst vor weiteren Schwierigkeiten, teils weil sie es für normal halten, anders behandelt zu werden.

Diskriminierung ist nichts, was einem einfach so „passiert“, sondern oft strukturell bedingt. Dagegen vorzugehen, gehört mit zu den Aufgaben einer Community, die lange für ihre Rechte und Akzeptanz kämpfen musste, und dies immer noch tun muss.

P. überlegt mittlerweile, den Vorfall offiziell zu melden oder zumindest seine frühere Arztpraxis über das Erlebte zu informieren.

Lorenzo eröffnet demnächst eine eigene Zahnarztpraxis in Berlin-Schöneberg, in der solche Diskriminierungen keinen Platz haben werden.

www.praxis-florenz.de


In vielen deutschen Städten gibt es Anlaufstellen für Menschen, denen Diskriminierung im Gesundheitsbereich widerfahren ist. Die Antidiskriminierungsstelle der Bundesregierung (www.antidiskriminierungsstelle.de) etwa bietet Online-Formulare  zur Meldung solcher Vorfälle. Auch Beratungsangebote aus der Community, wie das Berliner Netzwerk gegen Diskriminierung (www.lsbti-berlin.de), können dir weiterhelfen.

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