Interview: „Nicht mehr jeden Tag daran denken müssen“

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Die HIV-Forschung macht weiter große Schritte. Nachdem jahrelang eine Reduzierung der Nebenwirkungen und die Verträglichkeit im Fokus standen, geht es seit einigen Jahren auch um die Verbesserung der Lebensqualität durch veränderte Einnahme-Modi. Nach der Ein-Tabletten-Therapie wird zurzeit an Depotspritzen geforscht. Wir sprachen mit einem Studienteilnehmer.

Foto: Gemeinfrei / CC0

Wie kam es zum Test?

Ich habe mich selbst nicht zur Hochrisikogruppe gezählt und bin daher auch nicht regelmäßig zum Test gegangen. Im Oktober 2013 hatte ich aber einfach ein mulmiges Gefühl und habe den Schnelltest gemacht, der dann positiv war.

Und wie hat sich das angefühlt?

Es gab noch die Hoffnung, dass der Schnelltest falsch sein könnte. Als dann aber der Labortest auch positiv war, war das schon eine erschütternde Diagnose. Es ist ambivalent: Einerseits hat man das Wissen, dass die Diagnose nicht mehr den Tod in absehbarer Zeit bedeutet, andererseits überkommt einen trotzdem das Gefühl, die körperliche Unversehrtheit verloren zu haben. Man stellt sich diese Fragen, warum man denn so doof war. Warum hat man nicht besser aufgepasst? Diese anfängliche Angst und der Selbstzweifel sind erst mit der Zeit durch intensive Beschäftigung mit dem Thema und durch viele Gespräche gewichen.

Wie kam es denn zur Studienteilnahme?

Ich wurde drauf angesprochen und fand die Idee der Teilnahme für mich sehr gut. Besonders die regelmäßigen Kontrollen waren für mein Sicherheitsgefühl ein ausschlaggebender Punkt. Da wird viel untersucht, und das sprach mich an.

Foto: Gemeinfrei / CC0

Obwohl die Studie der Erforschung einer Depotspritze dienen soll, wurden Sie fünf Monate mit Tabletten behandelt. Warum?

Um sicherzugehen, dass die Probanden auf alle Wirkstoffe der späteren Spritze gut reagieren und dass keine Allergien oder sonstige Unverträglichkeiten auftreten. Erst danach wurde dann in die drei Kontrollgruppen aufgeteilt: tägliche Tablettengabe, monatliche Depotspritze und zweimonatliche Depotspritze.

Wie fühlen Sie sich damit nach vier Jahren?

Ich fühle mich mit dieser Verabreichungsform sehr wohl. Ich habe natürlich nicht die Vergleichsmöglichkeiten, weil ich die täglichen Tabletten zuvor nicht lange nehmen musste. Ich weiß es aber sehr zu schätzen, dass ich eben nicht jeden Tag an die Infektion erinnert werde. Ich muss mir auch keine Gedanken machen, ob ich auf Reisen oder bei Übernachtungen nun auch die Tabletten eingesteckt habe. Das ist ein gewisses Stück Freiheit von Sorgen, die man mit den Tabletten sonst eventuell hat.

Gibt es Nachteile?

Die Injektion ist ein wenig unangenehm und kann bis zu einer Woche nachwirken. Sie wird in beide Gesäßseiten gegeben, und das fühlt sich an wie ein Muskelkater.

Die Studie endet nach fünf Jahren. Wissen Sie schon, wie es danach weitergeht? Würden Sie sich eine Fortbehandlung mit der Depotspritze wünschen?

Ich kann es mit meinem Lebensstil sicher vereinbaren, auch Tabletten zu nehmen. Aber alles, was eine Verbesserung bringt, würde ich gerne nutzen. Ich würde eine Fortführung der Depotbehandlung durchaus anstreben. Ich denke aber auch, dass diese Art der Behandlung nicht das Ende der Entwicklung sein wird. Sie ist mit einigen Haken versehen – der aufwendigen Überprüfung, ob die Wirkstoffe verträglich sind, dann die Verträglichkeit der Spritze an sich. Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Wie denken Sie heute über Schutz durch Therapie?

Es wäre sehr wichtig, dass dieses Thema breiter bekannt wird. Es würde helfen, über Safer Sex anders zu sprechen, als nur über „mit Kondom ist richtig, ohne falsch“. Wenn die Hysterie und das Moralisieren aus der Diskussion herausgenommen würden, wäre mehr Menschen geholfen.

Foto: Gemeinfrei CC0

Wie meinen Sie das?

Sexualität hat mit Kontrollverlust zu tun. Das kann jedem passieren. Die Moral führt leicht dazu, an sich selbst andere Maßstäbe anzulegen als an andere. Das bedeutet, dass man eventuell selbst Risiken eingeht, die man bei anderen kritisiert. Hier würde ein offenerer Umgang mit PrEP und Schutz durch Therapie, also „safer bare“, sicher helfen. Man muss über diese Dinge reden können, um die unbegründeten, stigmatisierenden Ängste zu überwinden. Nein, Sex mit einem HIV-Positiven unter Therapie ist nicht gefährlicher als mit einem negativ Getesteten.

*Interview: Christian Knuth

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