Schlau zu HIV mit Dr. Thomas Buhk

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Laut Robert Koch-Institut hat sich die Anzahl der Menschen mit HIV über vierzig Jahre seit den 1990ern verfünffacht. Warum das so ist und welche Folgen das für die Therapie hat, erklärt uns Dr. Thomas Buhk, Facharzt für Innere Medizin und Infektiologe am Infektionsmedizinischen Centrum Hamburg (ICH / www.ich-hamburg.de). 

Warum gibt es so viel mehr über 40-jährige HIV-Positive?

Mit einer HIV-Infektion ist von einer nicht nur normalen Lebenserwartung auszugehen – auch, was zu betonen ich finde sich lohnt, von einer normalen Gesundheitserwartung. Menschen mit einer HIV-Infektion sind gesunde Menschen – die HIV-Infektion hat sich von einer potenziell tödlich verlaufenden und lebenszeitverkürzenden Infektion zu einer lebensbegleitenden Kondition gewandelt. Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass HIV-positive Menschen, die rauchen,ein deutlich erhöhtes Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko im Vergleich zur nicht rauchenden Bevölkerung haben! Trotz einer HIV-Infektion gesund leben zu können, trifft also nicht für jeden zu.

Zurück zur Frage: Unsere Patienten, die sich vor 20, 30, 40 Jahren mit HIV infizierten, können heute dank der Fortschritte in der HIV-Medizin stabil leben, so hat die Gruppe der über 40-Jährigen sich dadurch vergrößert, dass die damals Jungen diese Altersgrenze inzwischen überschritten haben. Die Neuinfektionen insgesamt nehmen zwar eher ab, doch prozentual ist nach den Berechnungen des RKI die Neuinfektionsrate bei älteren Altersgruppen leicht zunehmend, also erhöht!

Gibt es besondere Anforderungen an die HIV-Therapie bei älteren Menschen?

Je älter wir Menschen werden, desto höher ist das Risiko für Begleiterkrankungen und zusätzlicherMedikamenteneinnahmen, sodass Wechselwirkungen der unterschiedlichen Therapien unbedingt zu berücksichtigen sind! Wenn es geht, versuche ich bei den Patienten, die ich ärztlich begleite und die weitere Medikamente einnehmen müssen, boosterfreie Regime und ggf. Therapien zu verordnen, die unbedenklicher für Wechselwirkungen sind. Jeder Patient kann übrigens selber seine Therapien auf der Liverpoolseite https://www.hiv-druginteractions.org auf etwaige Wechselwirkungen überprüfen.

Was sollte Ihrer Meinung nach getan werden, um die Awareness für „HIV im Alter“ bei Nicht-Schwerpunktärzten und in der Pflege zu steigern?

An erster Stelle sollten alle Ärzte – aber auch andere Gruppen, die im Gesundheitswesen arbeiten – Indikatorerkrankungen oder Indikatorsymptome, die auf eine HIV-Infektion hinweisen, kennen. Etwa eine Gürtelrose, ein oraler Soor, eine Thrombozytopenie, eine Luesinfektion oder eine andere STD z. B. sollten immer Anlass sein, dem Patienten einen HIV-Test anzubieten. Sexualität gibt es in jedem Alter und in vielen bunten Farben. Bei älteren Menschen eine HIV-Infektion zu übersehen, sollte uns nicht passieren, bzw. auch ältere Patienten, die ein Risikoverhalten leben, eine HIV-Infektion zu erwerben, sollten über die Möglichkeit einer PrEP aufgeklärt werden, um sie vor einer HIV-Infektion besser schützen zu können. 

Sexuell aktiv oder passiv zu sein hat immer auch Momente des Kontrollverlustes, dies ist der Sexualität immanent und sollte mit Aufklärung und nicht mit Moral oder Appell an die Vernunft begegnet werden. In dem von Ihnen zu Anfang erwähnten RKI-Bericht ist auch ein anderer bedenklicher Punkt erwähnt worden, nämlich dass nach deren Berechnungen die Zahl der Menschen mit einer unbekannten HIV-Infektion in Deutschland auf 11.200 leicht nach oben korrigiert wurde. Auch und insbesondere bei älteren Patienten sollte also an eine HIV-Infektion gedacht werden.

Noch ein kurzes Statement von Ihnen zur Verringerung der Dunkelziffer und der Neuinfektionsraten in Deutschland?

Dieses Ziel können wir dann erreichen, wenn wir breiter an HIV-Tests denken, diese anbieten – wenn wir bei allen Menschen mit einer HIV-Infektion eine HIV-Therapie beginnen (Test and Treat) und für alle Menschen mit einem Risikoverhalten – und zwar ältere wie jüngere – eine PrEP in Erwägung ziehen, die ja seit September dieses Jahres eine allgemeine Kassenleistung bei spezialisierten Ärzten ist. Und zu guter Letzt können wir  es uns nicht leisten, Menschen von dieser HIV-Diagnostik und -Therapie auszuschließen. Jeder Mensch mit einer HIV-Infektion muss die Chance haben, eine HIV-Therapie zu erhalten. 

Foto: Deutsche Aidshilfe

Es ist irrsinnig, Menschen ohne Versicherung und ohne Papiere aus diesem Regelsystem auszuschließen. Dies geht aus menschenrechtlicher Sicht und aus ökonomischer Sicht gar nicht. Hier sehe ich einen dringenden Handlungsbedarf in den Kommunen, der auch von Herrn Spahn angegangen werden sollte. Das RKI hat diesen Handlungsbedarf in dem von Ihnen zu Anfang angesprochenem Bericht bereits ebenfalls angemahnt.

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